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Sport: Das Alpha-Tier fehlt

Christoph Daum über Stefan Effenberg und die Probleme des FC Bayern München

Es ist ja in den vergangenen Wochen während der tatsächlichen oder nur übertrieben dargestellten Krise des FC Bayern viel geredet worden über den Führungsspieler beziehungsweise über das Fehlen eines Führungsspielers bei den Münchnern. Darüber, dass die Bayern schwächer geworden sind nach dem Weggang von Stefan Effenberg. Und darüber, dass die Wolfsburger, der Gegner der Bayern am Samstag, durch ihn oft gewonnen haben. Letzteres ist sicher so. Ersteres mag sein, wobei es allerdings höchst spekulativ ist anzunehmen, die Bayern wären mit Effenberg nicht so früh in der Champions League gescheitert.

Mit welchem Effenberg? Mit dem auf dem Platz unumstrittenen Leithammel? Gut möglich, sehr gut möglich, dass der sein Team noch einmal aufgeweckt hätte. Oder mit dem Effenberg der vergangenen Saison, in der früh feststand, dass er gehen würde? Gut möglich, sehr gut möglich, dass der die Mitspieler nicht mehr erreicht hätte mit Appellen und vorgelebtem Engagement im Spiel.

Es ist nämlich so, dass ein Spieler, der den Anspruch erhebt, den anderen seinen Willen aufzuzwingen und die Richtung vorzugeben, nicht unbedingt zu den beliebtesten Spielern innerhalb einer Mannschaft gehört. Wenn dann feststeht, dass dessen Zeit bald vorbei ist, dass er nur noch ein paar Monate lang den dicken Maxe macht, kann sich bei den Kollegen schon so etwas wie, sagen wir, Gehorsamsverweigerung einschleichen.

Da haben wir zwei nicht unwesentliche Punkte eines Führungsspielers: Er muss Rückendeckung haben von Verein und Trainer, und er muss die Bereitschaft haben, sich unbeliebt zu machen. Die meisten Spieler, wie ja auch die meisten Menschen, sind sehr harmoniebedürftig, der Teamleader aber kommt mit Harmonie nicht weiter. Weil er Spielweise, Tempo, Ausstrahlung vorgibt, und zwar in die Richtung, von der er überzeugt ist.

Das hat gerade Effenberg in seinen besten Zeiten vorbildlich gemacht. Es hat dieses Champions-League-Spiel gegen Manchester United gegeben, vor zwei Jahren war das, da hat Effenberg sozusagen das Schulbeispiel eines Alpha-Tiers auf dem Fußballplatz gegeben. Kopf der Engländer und Effenbergs Pendant war damals Roy Keane. Den hat sich Effenberg geschnappt, hat die Zweikämpfe mit ihm gesucht, hat sich angelegt mit ihm, seine gesamte Körpersprache hat ausgedrückt: „Pass auf, hier bin ich der Chef, ich, zusammen mit meinen zehn Kumpels.“ Das sind Zeichen, die in so einer Gruppe sehr wohl verstanden werden.

Im Übrigen macht dieses Beispiel deutlich, dass es für einen Torwart, also in unserem Fall für Oliver Kahn, schwierig ist, eine Mannschaft zu führen. Er kann eben da hinten in seinem Tor nicht neunzig Minuten lang den Häuptling der anderen bekämpfen. Und im Feld, das glaube ich kann man auch sagen, wenn man wie ich die Mannschaft nur von außen her kennt und betrachtet, fehlt den Bayern in dieser Saison so ein Alpha-Tier. Von Bixente Lizarazu habe ich mal geglaubt, dass er in so eine Rolle wachsen könnte, aber da steht vermutlich noch die Sprachhürde dazwischen. Und ob Michael Ballack diesen Part übernehmen will, muss man abwarten.

Was aber auf gar keinen Fall geht, ist, so einen wie Ballack in die Rolle zu zwängen. Ein Führungsspieler muss eine natürliche Autorität mitbringen – und vor allen Dingen muss er den Job wollen. Udo Lattek hat mir mal erzählt, wie er seine Führungsspieler ermittelt. Der hat seinen Spielern gesagt, wählt euren Kapitän, hat denen die Binde auf den Tisch gelegt – und der, der als Erster danach griff, der war sein Mann.

Ein Führungsspieler muss also Initiative ergreifen. Er muss egoistisch sein und ein Instinktmensch. Er muss agieren, und ihm muss es absolut egal sein, wenn zehn, fünfzehn andere sagen: „Was bildet der sich denn ein, spinnt der?“ Wenn man so will, ließe sich also diese Position innerhalb einer Mannschaft trefflich am Beispiel Effenbergs beschreiben.

Neben dem Willen, Führungsanspruch zu erfüllen, bedarf so ein Spieler allerdings auch ein paar fußballerischer Fähigkeiten, damit er überhaupt akzeptiert wird. Er muss vorausdenken und ein Spiel strategisch anlegen können. Ein Führungsspieler ist ein realistischer Spieler, der das Risiko meidet und zunächst an die Sicherheit denkt. Er muss unbedingt erfolgsorientiert sein und darf sich nicht durch kritische Äußerungen aus der Ruhe bringen lassen. Das setzt eine extrem hohe Frustrationstoleranz voraus.

Und schließlich muss er eine ausgeprägte Willensausdauer haben. Das darf man nicht verwechseln mit Willensstärke, die haben viele Spieler. Willensstärke aber bis zum Ende abzurufen, sie auch noch aufzubringen, wenn ein Spiel negativ verläuft, das unterscheidet den Führungsspieler von seinen Kollegen. Auch dies alles zeichnet Stefan Effenberg aus.

Daraus allerdings jetzt abzuleiten, dass der VfL Wolfsburg/Effenberg sein Spiel gegen die Bayern schon gewonnen hat, nein, bitte, darauf will ich mich doch nicht festlegen. Effenberg kann auch nicht alles alleine machen. Wohingegen die Bayern einen Kader haben, mit dem es auch mal zeitweise ohne Führungsspieler geht.

Aufgezeichnet von Helmut Schümann.

Christoph Daum

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