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Sport: Das blaue Wunder

Wie Trainer Rangnick den FC Schalke 04 mit vier Siegen in vier Spielen auf Platz zwei führte

Mit nackten Zahlen war die Dramaturgie dieses Fußballspiels nicht zu erfassen. Matthias Sammer, der Cheftrainer des VfB Stuttgart, versuchte es trotzdem, und eine freundliche Hostess half ihm dabei. Die Dame hatte auf dem Podium des Presseraums Zettel mit allerlei Statistikmaterial bereitgelegt. Sammer stürzte sich darauf, und als ihm das Wort erteilt wurde, sah er sich gerüstet, aus der dritten Niederlage binnen acht Tagen das Beste zu machen. Seine Mannschaft hatte in Schalke 2:3 verloren, schön und gut, aber sie hatte ihren Teil zu einem außergewöhnlichen Fußballspiel beigetragen – allerdings auch mit einem kollektiven Blackout, den Ailton und Kobiaschwili in den ersten hundert Sekunden zu zwei Toren nutzten. Sammer referierte über die Daten, die für seine Mannschaft sprachen: mehr gewonnene Zweikämpfe, mehr Schüsse aufs Tor und vor allem mehr Spielanteile – 62 Prozent der Ballkontakte entfielen auf den VfB.

Aber was bedeuteten solche Rechenspiele schon? Die entscheidenden Eckdaten sprachen und sprechen in diesem Herbst für Schalke 04 – und für Ralf Rangnick, der die Mannschaft mit fünf Siegen nacheinander auf den zweiten Tabellenplatz führte. So entgegnete der neue Trainer, wie gleichgültig ihm das Zahlenspiel seines Kollegen sei. Nur 38 Prozent Ballbesitz? „Das kann gerne so bleiben, wenn wir immer so viele Chancen haben wie in der ersten Halbzeit dieses Spiels.“ Schon nach 25 Minuten führte Schalke 3:0. Aber auch diesmal vermochten die Schalker ihrem Anhang das große Zittern nicht zu ersparen und ließen den VfB bis zur 33. Minute auf 2:3 herankommen.

So blieb wieder der Befund, dass die Schalker auf dem Weg der Besserung sind, aber ein Symptom immer noch nicht erfolgreich bekämpft haben: Es gelingt ihnen immer noch nicht, einen klaren Vorsprung ohne Zittern und Bangen zu halten oder gar auszubauen (auch gegen Bochum hatten sie 3:0 geführt und am Ende nur knapp 3:2 gewonnen). Ralf Rangnick mag sich darüber nicht grämen, zumindest nicht solange am Ende drei Punkte zu Buche stehen. „Ist doch gut“, sagt er, die Zitterpartien zeigten, dass seine Mannschaft „noch jede Menge Luft nach oben“ habe. „Wenn es anders wäre, dann wäre ich jetzt nicht hier.“

Was Rangnick damit sagen will: Auch dieser eine halbe Stunde lang famose Auftritt hat ihm gezeigt, wie viel Arbeit noch vor ihm liegt, obwohl Schalke nur noch drei Punkte von der Tabellenspitze entfernt ist – auch diese Zahl mag mit Vorsicht zu genießen sein. Die größte Anstrengung wird der Trainer darauf verwenden müssen, ein qualitatives Gleichgewicht zwischen Offensive und Defensive zu schaffen. Bisher gelingt entweder das eine oder das andere.

Gegen Stuttgart waren die Vorzüge und Schwächen am akkuratesten getrennt: In der ersten Halbzeit brillierte der Angriff, nach der Pause wurde die Abwehr zum Garanten der Gefahrenabwehr – ganz besonders die beiden defensiven Mittelfeldspieler Poulsen und Kobiaschwili, die das Gebiet zwischen Mittelfeld und Strafraum für die Stuttgarter zu einem unwegsamen Terrain machten. „Wie die beiden in der zweiten Halbzeit gespielt haben – also, viel besser geht es nicht", sagte Rangnick. Der VfB Stuttgart kam trotz des von Sammer reklamierten häufigen Ballbesitzes nicht mehr zu nennenswerten Chancen.

Um Schalke für länger in der Spitzengruppe zu etablieren, muss Rangnick Angriffslust und Abwehrkraft in Einklang bringen. Erst wenn der Parallelschwung zwischen beiden Abteilungen gelingt, gehört die Mannschaft dahin, wo sie nach elf Runden steht. Das könnte noch ein weiter Weg sein – bei so viel Mut zur Offensive. Rangnick lässt mit drei Stürmern (Ailton, Sand und Asamoah) sowie dem Mittelfeldstrategen Lincoln spielen, der hinter den Spitzen postiert ist. Da sind gewisse Risiken beinahe systemimmanent. „Wenn man im ICE-Tempo nach vorn spielt“, sagt Zugführer Rangnick, „dann ist es schwierig, hinten auch noch zu stehen wie einst die Berliner Mauer.“

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