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Sport: Das Ende des Rock ’n’ Roll

Stefan Kretzschmar wird für sein Handball-Lebenswerk ausgezeichnet

Berlin - Eng umschlungen standen sie mitten auf dem Feld – der alte Mann und der Rock ’n’ Roller. Bernhard Kempa ist jetzt 87 Jahre alt, sein Haar ist weiß, aber sein Gang immer noch aufrecht. Er ist ein Handball-Denkmal, zweimal Weltmeister auf dem Feld, damals in den Fünfzigerjahren einer der besten Spieler der Welt. In die Geschichte ist er auch mit dem Kempa-Trick eingegangen, einer besonders anspruchsvollen Wurfkombination mit Anspiel durch den Kreis. Der Mann, den er am Dienstagabend in der Max-Schmeling-Halle umarmte, gewann 2002 mit dem SC Magdeburg die Champions League, spielte 218 Mal für die deutsche Nationalmannschaft, warf 1697 Bundesliga-Tore, und der Rest der Erfolgsstatistik, den der Hallensprecher brüllte, ging im Lärm der 8561 Zuschauern unter. Es schien jedoch, als ob die beiden in diesen Sekunden ganz für sich allein wären. Stefan Kretzschmar, der Rebell des deutschen Handballs, tätowiert am ganzen Körper, drückte Bernhard Kempa so innig, wie man einen lange verloren geglaubten Freund drückt. Es war die größtmögliche Geste des Respekts für den Mann aus einer anderen Zeit. Der Star gab seine Hauptrolle ab, kurz nur, aber eindrucksvoll.

Es war die rührendste, die intensivste Szene an diesem Abend. Denn eigentlich feierten hier Tausende mit einer Riesen-Handball-Party das Ende von Kretzschmars Karriere. Das Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen ein All-Star-Team der Bundesliga war die Kulisse für diese Party. Natürlich hörte auch Jan Holpert, der Torhüter der SG Flensburg-Handewitt, am Dienstag auf; Goran Stojanovic (Hamburg), Jesper Larsson (Nordhorn) sowie Dmitri Kuzelev (Minden) auch. Aber hier berührte vor allem Kretzschmar die Herzen der Fans – der Mann des SC Magdeburg, den Kempa im Namen der Deutschen Handball-Liga für sein Lebenswerk auszeichnete. Kretzschmar rückt jetzt ins Management des SC Magdeburg, mit 34 Jahren.

Kretzschmar hat sich lange genug inszeniert, es war nicht nötig, dass er am Dienstag zusätzlich Emotionen bediente. Er warf im Trikot des All-Star-Teams einige spektakuläre Tore, er bediente den Gummersbacher Vedran Zrnic mit einem exzellenten Pass übers ganze Feld und er nahm zwei hanebüchene Fehler lässig hin. Einen Hauch seines Innenlebens zeigte er nur bei seiner Szene mit Kempa. „Das war ein wirklich kribbelndes Gefühl“, sagte er zu seiner Auszeichnung. „Diesen Abend werde ich nicht vergessen.“ Es war ein Abend mit grandioser Atmosphäre. Eine Party mit Handball-Spiel, mit einer Stimmung wie bei der WM. Der überdrehte Hallensprecher hätte sich in der ersten Halbzeit gar nicht bis zur Kollapsgrenze verausgaben müssen. Die Fans wussten schon, wie man feiert. Das Spiel gewann das All-Star-Team 36:31 – mit Stars wie dem Kieler Nikola Karabatic, ausgezeichnet als „Spieler der Saison 2006/2007“. Aber eigentlich interessierte das Ergebnis keinen, es ging nur um Freude am Sport. Und um Nostalgie.

Man musste nur ab und zu auf die Bank des All-Stars-Teams schauen, wenn Kretzschmar dort neben Christian Schwarzer saß. Beide kommentierten pausenlos die Spielzüge wie Radioreporter in kurzen Hosen. Schwarzer wurde 2007 Weltmeister, er ist danach aus der Nationalmannschaft endgültig zurückgetreten. Nun sagte er: „Ich darf überhaupt nicht daran denken, dass ich ihn nicht mehr treffe. Wir haben kommentiert, weil wir das alles noch mal genießen wollten.“

Für Lars Christiansen von der SG Flensburg-Handewitt, der beim All-Star-Team mitspielte, ist Kretzschmar „einfach ein Typ“. Der habe „nie Angst gehabt, sein Gesicht zu verlieren“. Nikola Karabatic fuhr sich mit der Hand über die verschwitzte Stirn, dachte einen Moment nach und sagte dann: „Er ist noch fit. Aber man muss auch wissen, wann man aufhören soll.“

Kretzschmar ins Management, diese Entscheidung ist richtig, jedenfalls für Schwarzer. „Ich glaube, dass Stefan der richtige Mann ist.“ Aber noch hat der Handballer Kretzschmar seinen ganz großen Auftritt, seine ganz persönliche Verabschiedung. Im Juli wird er in Magdeburg noch mal auftreten. Sein Abschied. Sein wirklich letztes Spiel.

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