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Sport: Das gespaltene Doppel

Jörg Roßkopf war einst Deutschlands Star im Tischtennis. Jetzt muss er seinem Kollegen Timo Boll den Vortritt lassen

Berlin. 15 Jahre lang hatte Tischtennis in Deutschland nur einen Namen: Roßkopf. Jörg Roßkopf. Der Mann mit der Lizenz zum Dauererfolg. Er war Doppel-Weltmeister, World-Cup-Sieger, Europameister und, und, und. Roßkopf war die Leitfigur im deutschen Tischtennis, immer zielstrebig, immer Führungsspieler und immer unumstritten Nummer eins. Dann passierten zwei Dinge.

Erstens: Der Rekordnationalspieler zog sich im November letzten Jahres eine Nervenentzündung am Ellenbogen seines Schlagarmes zu. Er musste ein gutes Jahr pausieren. Zweitens: In dieses Roßkopf-Vakuum drang der einstige Kronprinz des deutschen Tischtennis, Timo Boll, ein. Er löste den 33-Jährigen nach 15 Jahren als besten Deutschen in der Weltrangliste ab. Aber damit nicht genug. Roßkopfs 21-jähriger Klubkollege vom TTV Gönnern entwickelte sich 2002 zur aktuellen Nummer zwei der Welt und damit zum neuen Führungsspieler in Deutschland. Roßkopf musste tatenlos zusehen. Zurzeit kämpft der Linkshänder um sein Comeback. Im Endeffekt aber kämpft er um einen Platz hinter Boll. Der jetzt schon besser ist, als es Roßkopf je war, und der sich anschickt, im Januar die Nummer eins der Welt zu werden. Als erster Deutscher überhaupt. Wie fühlt sich ein alternder König, dem der Thron unter dem Hintern weggezogen wurde?

Nicht schlecht, bis auf die Verletzung: „Ich glaube nicht, dass sich mein Name in Deutschland verändert hat. Für den Nachfolger ist es immer schwieriger, in die Fußstapfen des Vorgängers zu treten.“ Und Roßkopf kennt seine Fußstapfen. Als er 1989 mit seinem Partner Steffen Fetzner in Dortmund Doppel-Weltmeister wurde und 1992 in Stuttgart den Europameistertitel im Einzel gewann, löste er in Deutschland einen regelrechten Tischtennis-Boom aus. Damals war der Rekordnationalspieler monatelang in den Medien präsent, Kinder und Jugendliche stürmten die Vereine. „Diese vier Jahre waren die besten bisher, weil es etwas Neues war in Deutschland.“ Bolls Europameistertitel in diesem Jahr veränderte dagegen die Sportlandschaft hierzulande nicht. Vielleicht ist Roßkopf auch deswegen so gelassen.

Aber da ist noch etwas anderes. Der Olympiadritte von 1996 orientiert sich nicht so sehr am direkten Vergleich. Eher ist er interessiert an Titeln. Und an seinem Erbe: die Popularität des Tischtennis. Dafür hat er gekämpft. Deshalb freut sich Roßkopf auch einfach über seinen Nachfolger: „Ich bin glücklich, dass Timo unsere Sportart so gut vertritt und viel mehr Erfolg hat als ich.“ Deshalb fällt es dem Hessen auch leicht zuzugeben, was für Experten ersichtlich ist. Boll ist ein „absolutes Ausnahmetalent“, er dagegen musste sich alles erarbeiten.

Aber genau diese Fähigkeit, sich zu schinden, hat er dem Talent Boll im täglichen Training vorgelebt und ihm mit weiteren Tipps geholfen. Roßkopf über Boll: „Es zeichnet auch einen guten Spieler aus, Ratschläge anzunehmen.“ Und es zeichnet ihn selbst aus, sie zu geben. Aber das ist für den Älteren selbstverständlich: „Wir haben ein sehr gutes Verhältnis und respektieren uns.“

Wenn Roßkopf seine Verletzung in den nächsten Wochen ausgeheilt haben wird, beginnt sein Kampf um die Rückkehr in die Weltspitze. Chef-Bundestrainer Dirk Schimmelpfennig traut seinem zweitbesten Spieler, immerhin noch auf Platz 25 der Weltrangliste, den Sprung wieder unter die Top Ten zu. Im nächsten Jahr finden die Europa- und Weltmeisterschaften statt, 2004 die Olympischen Spiele. Da will Roßkopf dabei sein. Im Einzel wird er kaum Chancen haben, aber mit der Mannschaft schon. Hinter oder neben Boll. Auf jeden Fall aber mit ihm.

Jörg Petrasch

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