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Sport: Das große Glück des Marc Rosset

NEW YORK .Im Hotelzimmer 1637 des "Parker Meridien" in Manhattan wollte sich Marc Rosset gerade zum Schlafen legen, als in der Nacht zum Donnerstag plötzlich das Telefon klingelte.

NEW YORK .Im Hotelzimmer 1637 des "Parker Meridien" in Manhattan wollte sich Marc Rosset gerade zum Schlafen legen, als in der Nacht zum Donnerstag plötzlich das Telefon klingelte.Am anderen Ende der Leitung war ein aufgeregter New Yorker Freund, der Rosset eine erschreckende Nachricht mitzuteilen hatte: "Da ist gerade eine Maschine der Swissair abgestürzt.Schalte sofort CNN ein", brüllte der alte Rosset-Spezi in den Hörer.Sekunden später, als das Fernsehbild die traurige Botschaft bestätigte, erstarrte der Schweizer Tennisstar in seinem Hotelraum "beinahe zur Salzsäule": Blitzartig realisierte der 27jährige, "daß es genau die Maschine war, die ich ursprünglich gebucht hatte".Nur um Haaresbreite sei er am "Tod vorbeigeschrammt", sagte Rosset am Donnerstag abend, als er sichtlich erschüttert vor die Weltpresse im US-Open-Interviewraum trat: "Daß ich noch lebe, ist reiner Zufall", befand der Zwei-Meter-Mann, der schon einmal auf Weltranglisten-Position neun gestanden hatte.

Bis zum frühen Mittwochmorgen hatte Rosset noch auf der Passagierliste des Unglücksfluges 111 der Swissair von New York nach Genf gestanden.Doch in einer spontanen Eingebung entschied sich Rosset, den Rückflug nach Europa zusammen mit seinem neuen Trainer Pierre Simsolo zu verschieben."Es ist verrückt", so Rosset, "du triffst ganz nebenbei irgendeine Entscheidung, und du bist noch am Leben." Doch von einem tiefen Glücksgefühl könne im Moment "keine Rede sein", sagte Rosset, "mir ist zwar das Leben geschenkt worden, aber 229 anderen Menschen ist es genommen worden".Er fühle eine "unendliche Trauer, daß so etwas passieren mußte".

Noch in der Unglücksnacht hatte Rosset um zwei Uhr morgens amerikanischer Ostküstenzeit seine Eltern in Genf angerufen, um sie zu informieren, "daß ich glücklicherweise noch hier in New York bin und den Flug nicht angetreten habe".Zu diesem Zeitpunkt hatte Rossets Vater, ein wohlhabender Bankier, bereits verzweifelt versucht, seinen Sohn im Hotel anzurufen.Seine Eltern seien zwar "wahnsinnig erleichtert" gewesen, seine Stimme zu hören, so Rosset, aber richtig gefreut hätten auch sie sich nicht: "Denen war total der Schreck in die Glieder gefahren." Am Montag abend hatte sich Rosset noch zerknirscht gezeigt über sein Erstrunden-Aus bei den US Open gegen den Slowaken Dominik Hrbaty, mit dem eine wahre Niederlagen-Serie nach Wimbledon ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hatte."So schlimm ist es mir im Profittennis noch nie ergangen", hatte Rosset nach dem achten Mißerfolg hintereinander gesagt und eine weitere sportliche Talfahrt befürchtet.Doch eine knappe halbe Woche später hatten sich die Enttäuschungen und Entbehrungen auf dem Tennisplatz mit einem Mal "völlig relativiert": "Wie kann ich diesen Frust noch ernst nehmen - nach dem, was mir jetzt passiert ist?"

Den Rest seiner Laufbahn werde er jetzt sicherlich "viel entspannter" angehen, sagte Rosset, der sich am Donnerstag abend noch nicht traute, einen Platz im Swissair-Flug 111 nach Genf zu belegen.Andererseits wußte auch Rosset, "daß du normalerweise eher in New York auf der Straße sterben kannst als in der Luft über Kanada".

Vor knapp zehn Jahren hatte der damalige Weltranglisten-Erste Mats Wilander schon einmal ähnliches Glück wie Rosset gehabt: Der Schwede stornierte damals eine Buchung für den PanAm Flug 103 von London nach New York, der dann nach einem Bombenattentat über der schottischen Stadt Lockerbie abstürzte.Zu den Opfern der jetzt abgestürzten MD-11 der Swissair vor dem kanadischen Neuschottland gehörte nach jüngsten Informationen auch der millionenschwere Tennis-Saitenfabrikant Pierre Babolat (52).Noch unklar ist, ob auch der Direktor des ATP-Turniers von Gstaad, Jaques Hermenjat, unter den 229 Toten der Flugzeugtragödie ist.

JÖRG ALLMEROTH

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