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Sport: Das letzte Problem

Die deutsche Nationalmannschaft spielt heute gegen die Slowakei – und gegen ihre Auswärtsschwäche

Der deutsche Fußball hatte zuletzt einige Verluste zu beklagen. Nach und nach sind ihm seine schönsten Probleme abhanden gekommen. Die Wohnsitzdebatte – verschollen irgendwo an der kalifornischen Pazifikküste. Der Torwartkrieg – beendet im allgemeinen WM-Taumel. Das Abwehrproblem – nach vier Spielen ohne Gegentor erst einmal erledigt. Gut, dass die deutsche Nationalmannschaft wenigstens noch eine ausgewachsene Auswärtsschwäche mit sich herumschleppt. Das nicht satisfaktionsfähige 13:0 in San Marino einmal ausgenommen, haben die Deutschen seit 16 Monaten nicht mehr auf fremdem Platz gewonnen. Der letzte Auswärtssieg, ein 4:1 in Nordirland, datiert aus dem Juni 2005. Ein drängendes Thema also, könnte man meinen.

„Wir haben die Auswärtsschwäche nicht thematisiert“, sagt Bundestrainer Joachim Löw vor dem EM-Qualifikationsspiel in Bratislava gegen die Slowakei. Heute kehrt die deutsche Nationalmannschaft an den Ort zurück, an dem ihre missliche Serie mit einem 0:2 begonnen hat. „Schon länger her“, sagt Verteidiger Philipp Lahm. In Wirklichkeit liegt die Niederlage gerade 13 Monate zurück, rein gefühlsmäßig aber scheint sie aus einer fernen Zeit zu stammen, als Niederlagen für die deutsche Nationalmannschaft noch möglich waren. „Die Mannschaft ist während der WM reifer geworden“, sagt ihr Manager Oliver Bierhoff. „Das muss sie jetzt auch mal auswärts beweisen.“

Im Rückblick, nach der erfolgreichen Weltmeisterschaft, kommt einem die ganze Hysterie vor der WM geradezu lachhaft vor. Franz Beckenbauer zum Beispiel äußerte im Herbst 2005 ernste Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Deutschen Fußball-Bundes im Allgemeinen und Jürgen Klinsmanns im Besonderen. Er konnte nicht verstehen, dass die Nationalmannschaft überhaupt noch auswärts spielte, anstatt im Hinblick auf die WM im eigenen Land ausschließlich vor eigenem Publikum zu üben.

Das Paradoxe ist, dass die tatsächliche Auswärtsschwäche eine angenommene Heimstärke zur Folge hatte, die sich während der WM zu einer tatsächlichen Heimstärke verfestigt hat. „Es hat sich gezeigt, dass der Heimvorteil für uns bedeutsam ist“, sagt Bierhoff. Mit dem eigenen Publikum im Rücken haben die Deutschen die schlimmsten Fehlentwicklungen umgehend korrigieren können. Vier Tage nach dem 0:2 in Bratislava gewannen sie in Bremen 4:2 gegen Südafrika; dem 1:2 in der Türkei folgte ein Heimsieg gegen China, und drei Wochen nach dem 1:4 in Italien rettete der Sieg gegen die USA Bundestrainer Klinsmann vielleicht sogar den Arbeitsplatz.

Schon bei der Behebung ihrer Abwehrschwäche hat die Nationalmannschaft bewiesen, dass sie über ausreichende Selbstreinigungskräfte verfügt. Der Impuls zu mehr defensiver Disziplin kam aus dem Team heraus, und die Gewissheit, Schwierigkeiten meistern zu können, soll nun auch beim Kampf gegen die Auswärtsschwäche helfen. „Ich glaube schon, dass wir inzwischen die Mentalität haben sollten, auch in Bratislava gewinnen zu wollen“, sagt Torhüter Jens Lehmann.

Es ist nicht nur eine Frage der Mentalität, sondern auch des Spielsystems. „Wir können auch auswärts von unserer Kompaktheit leben und druckvoll nach vorne spielen“, sagt Bundestrainer Löw. Die Mannschaft sei stabiler geworden, sie habe, defensiv wie offensiv, Sicherheit in den Abläufen. Kapitän Michael Ballack sagt: „Jeder weiß, was er zu tun hat.“ Das ist anders als vor einem Jahr, als Klinsmann und sein Assistent Löw noch auf der Suche waren nach einer Mannschaft und einem funktionierenden System. Bei der WM hat sich beides gefunden. Von den 17 Spielern, die Klinsmann im September 2005 in Bratislava eingesetzt hat, sind nur noch sechs im aktuellen Kader dabei. Dafür wird die Mannschaft heute bis auf die fehlenden Innenverteidiger Christoph Metzelder und Per Mertesacker identisch sein mit der, die während der WM gespielt hat.

Die Verlängerung der Weltmeisterschaft in den Herbst hinein macht Michael Ballack fast ein bisschen Angst. „Ich bin überrascht, wie nahtlos wir den Schwung mitgenommen haben“, sagt er. „Im Moment strahlt die Mannschaft große Zuversicht aus. Aber das sind die gefährlichsten Situationen, die man im Sport haben kann: wenn alles gut ist.“ Dass der heutige Gegner sich im internationalen Fußball noch keinen großen Namen gemacht hat, könnte zusätzlich zur Sorglosigkeit beitragen. Dabei hat Joachim Löw bei den Slowaken „eine gute Offensivstärke“ ausgemacht und in Marek Mintal, Robert Vittek und Dusan Svento „Leute, die brandgefährlich sind“.

Es könnte also gut sein, dass die deutsche Nationalmannschaft heute Abend ihr Abwehrproblem zurückbekommt.

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