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Sport: Das Mysterium Cipollini

Von Vincenzo Delle Donne Mailand. „Mysteriös“ nannte es die „Gazetta dello Sport“, und Italiens Radsportfans konnten es sich auch nicht erklären.

Von Vincenzo Delle Donne

Mailand. „Mysteriös“ nannte es die „Gazetta dello Sport“, und Italiens Radsportfans konnten es sich auch nicht erklären. Der Sprinter, den die Italiener „Supermario“ nennen, will nicht mehr. Mario Cipollinis Rücktritt verblüffte umso mehr, als dass er zu einem äußerst seltsamen Zeitpunkt kommt. Sein Kontrakt mit seinem Rennstall Acqua & Sapone läuft schließlich noch bis zum Jahr 2003. Und warum fährt er nicht bis zur Weltmeisterschaft im September in Zolder, wo er sich große Chancen ausrechnete?

Während Italiens Radsportfans über die Motive des 35-Jährigen rätseln, ist die Sachlage für den italienischen Radsportverbandspräsidenten Giancarlo Cerruti eindeutig. „Es sind persönliche Gründe, die zu dieser Entscheidung geführt haben“, sagt Cerruti. „Da sind die Schwierigkeiten mit der neuen Mannschaft, nachdem er acht Jahre lang für eine starke Mannschaft wie Saeco gefahren ist. Und dann ist da noch die Enttäuschung, dass ein Star wie er von der Tour de France ausgeschlossen wurde. Mario ist schließlich nicht irgendein beliebiger Fahrer.“

Für Italien wird das Radsport-Jahr 2002 nun endgültig zu einem unvergesslichen werden – allerdings im negativen Sinne: Marco Pantani wurde wegen Dopings gesperrt, beim Giro starteten die Ermittler den großen Lauschangriff, zahlreiche Sponsoren sprangen ab, und jetzt hört auch noch Mario Cipollini auf.

Nicht nur die nationale Fangemeinde, sondern auch die Radsportfunktionäre hoffen nun, dass sie den in der Bevölkerung sehr beliebten Sprinter noch einmal umstimmen können. Der Rennstallchef von Cipollinis jetzigem Team Acqua & Sapone, Vincenzo Santoni, ist jedoch skeptisch. „Ich kenne ihn und bin mir verdammt sicher, dass er seine Entscheidungen nicht so leicht revidieren wird“, sagt Santoni. „Wir müssen es aber auf jeden Fall versuchen. Er muss die WM fahren und sie auch gewinnen.“ Eine Spitze kann sich Santoni jedoch nicht verkneifen: „Wir haben an ihn geglaubt, als ihn kein Team mehr haben wollte. Haben wir jetzt diese Behandlung verdient?“

Wahr ist allerdings auch, dass Cipollini durch seinen Wechsel finanzielle Einbußen hinnehmen musste. Einige Sponsoren seien abgesprungen, bedauert Santoni. Und die Organisatoren der Tour hätten nun mal wie im vergangenen Jahr sein Team nicht berücksichtigt und stattdessen zweitklassige französische Mannschaften nominiert. Tour-Chef Jean-Marie Leblanc, von Cippolini bei seiner Rücktrittserklärung heftig angegriffen, appellierte an den Sprinter: „Es sind doch nur noch zwei Monate bis zur Weltmeisterschaft. Glaubst du, Mario, dass du die richtige Entscheidung getroffen hast?“ Leblanc nutzte die Gelegenheit, um zu erklären, warum Cipollinis Team nicht bei der Tour de France mitfahren durfte. Es war ein offensichtlicher Seitenhieb auf den großen Mario Cipollini: „Die Mannschaft gab nicht genügend Garantien, dass sie die Tour bis zum Ende durchfahren würde“, sagte Leblanc. Cipollini selbst hatte sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit dem Sieg einiger Etappen begnügt und war dann stets vorzeitig ausgestiegen.

Die wahren Gründe für Cipollinis Rücktritt sind wohl finanzieller Natur. Das räumt auch sein Teamchef Santoni ein: „Vielleicht hoffte Mario nach den Siegen in diesem Jahr, dass wir seine Gage erhöhen würden.“ Aber auch ein großer Mann wie er müsse verstehen, dass der Radsport immer weniger Fans für sich begeistern könne und dass dadurch auch die Sponsoren kürzer treten müssten.

Dabei hatte das Jahr für Cipollini so gut begonnen wie lange nicht mehr. In unnachahmlicher Manier siegte er beim Frühjahrsklassiker Mailand – San Remo und bei Gand-Wevelgern, dazu gewann er sechs Etappen beim Giro d’Italia. Cipollinis Bilanz ist dennoch einzigartig: 175 Siege in 14 Profijahren. Zwei Etappensiege fehlen ihm noch, um als Rekordfahrer in die Annalen des Giro d’Italia einzugehen. Überzeugungsarbeit könnte nun der Trainer der italienischen Radsport-Nationalmannschaft, Franco Ballerini, leisten. „Italien braucht Mario bei der Weltmeisterschaft. Ohne ihn hätten wir im Sprint unseren wichtigsten Mann verloren“, sagt Ballerini. „Ein Champion wie er darf in unserem Sport nicht fehlen – besonders jetzt, da es dem Radsport so schlecht geht.“

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