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Der Ball ist drin. Mesut Özil überwindet Volkan Demirel und genießt still. Foto: dpa

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Sport: Das Schwierige macht er ganz leicht

Der perfekte Abend des Mesut Özil

Berlin - Es ist kurz vor halb elf, als der Moment kommt, vor dem Mesut Özil sich vielleicht ein wenig gefürchtet hat. Deutschland führt 1:0, die Türkei drängt auf den Ausgleich, da trägt der Deutsch-Türke aus Gelsenkirchen einen der raren Entlastungsangriffe vor. Kurzer Pass auf Thomas Müller, der spielt weiter zu Philipp Lahm, nach dessen Pass Özil allein auf das Tor zulaufen kann. Wenn er nervös ist in diesem Augenblick, so zeigt er es nicht. Locker wie im Training schiebt Özil ein zum 2:0 und schleicht sich zurück zu seinen Kollegen. Aus Respekt vor den Landsleuten seiner Großeltern gestattet er sich nicht mal einen Torjubel.

Das Spiel ist gelaufen, für Mesut Özil ist es kein leichtes gewesen, sportlich wie emotional. Die türkischen Fans pfeifen ihn bei jeder Gelegenheit aus, da trifft es sich gut für Özil, dass sich zunächst nicht so viele Gelegenheiten bieten. Im zentralen Mittelfeld läuft in der ersten Hälfte fast alles über Sami Khedira und Toni Kroos. Das Auffälligste an Özil ist zunächst, dass seine Schuhe im selben roten Farbton gehalten sind wie die Trikots der Türken. Einmal will er in halbrechter Position einen Freistoß ausführen, aber den reklamiert Thomas Müller für sich.

Seine erste auffällige Aktion aber bringt beinahe die deutsche Führung. Nach einem Doppelpass mit Khedira öffnet sich mal wieder eines der zahlreichen Löcher im türkischen Defensivgefüge. Özil läuft bis an den Strafraum heran, sein Rechtsschuss fliegt flach in Richtung linke Ecke, und Volkan Demirel hat schon einige Mühe, den Ball zur Ecke abzuwehren.

Özil läuft viel und bewirkt erst einmal wenig, mal abgesehen von den Sympathien der deutschen Zuschauer, die nach einem missratenen Diagonalpass auf Müller demonstrativ seinen Namen skandieren. Zehn Minuten vor der Pause gibt er eine kleine Sondervorstellung. In Höhe der Mittellinie, direkt vor der Ehrentribüne, wo nicht nur Angela Merkel sitzt sondern auch der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Özil steht also an der Mittellinie und duelliert sich mit seinem Freund Nuri Sahin. Übersteiger links, Drehung um die eigen Achse, nach rechts angetäuscht, dann den Ball mit der Sohle gestreichelt – so geht das eine Viertelminute lang. Im Hochgeschwindigkeitsfußball des dritten Jahrtausend ist das eine halbe Ewigkeit, und es passt nicht so recht in Joachim Löws schöne Statistik, nach der eine gute Sekunde genug ist für einen Ballkontakt.

Für dieses Spiel ist Özil wie geschaffen mit seiner Gabe, die schwierigsten Dinge ganz leicht aussehen zulassen. Mit jeder Minute und jedem Pfiff findet sich Özil immer besser zurecht im offensiven Gefüge. Bei Kloses Führungstor reduziert sich seine Rolle noch auf die des aufmerksamen Beobachters und Gratulanten. Aber in der zweiten Halbzeit läuft viel mehr über ihn, was auch daran liegen kann, dass Khedira und Kroos nachlassen. Özil taucht überall auf. Am linken Strafraumeck läuft er sich fest, eine erste Flanke von links landet nicht auf Klose Kopf, sondern in den Händen von Demirel. Von derselben Stelle zirkelt er zwanzig Minuten vor Schluss den Ball auf Lukas Podolski, der nur noch das leere Tor treffen müsste.

Es ist dies die beste Phase des Spielmachers, aber zugleich die am wenigsten überzeugende seiner Kollegen. Positiv gedacht: Allein Mesut Özil Spielkunst beschert einer schwächelnden Mannschaft die immer rareren Momente von Torgefahr. Dann schießt er sein Tor, die Türkei ist geschlagen. Als Özil eine Minute vor Schluss den Platz verlässt, gibt er dem Bundestrainer kurz die Hand und klatscht kurz und symbolisch in die Hände. Der Mann des Abends genießt still.

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