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DAS SPIEL DER WM Wie es wirklich war: Deutschland – Argentinien 1:1, 4:2 i. E.

Viertelfinale, Olympiastadion Berlin, 30. Juni 2006, 72 000 Zuschauer

Noch eine Stunde.

Ich stehe vor dem Olympiastadion und brauche eine Karte. Eine, die ich auch bezahlen kann. Am S-Bahn-Ausgang kann man für horrende Preise noch Tickets bekommen. Nach erstem Sondieren spricht mich plötzlich ein südländisch aussehender Typ in gebrochenem Englisch an, fragt, ob ich noch ein Ticket brauche, und zieht aus einem Umschlag ein goldenes Etwas. Ein Etwas mit Fifa-Emblem. Auf der Karte ist kein Preis angegeben, nur das eine Wort springt ins Auge: Ehrengast.

Der Typ sagt, für 400 Euro bekäme ich die Karte (gerade eben hat mir jemand eine Karte der Kategorie 3 für 500 Euro angeboten). Ich lehne ab – mein Limit sind 250. Er guckt mich entgeistert an und lässt mich kommentarlos stehen. Fünf Minuten später, als ich gerade ein anderes Ticket kaufen will, kommt er zurück: „Two-fifty, it’s yours.“ Die Aussicht auf einen Platz im Ehrenbereich überwiegt die Skepsis. Ich kaufe.

Noch vierzig Minuten.

Ab ins Stadion, natürlich nicht über die normalen Zugänge, ich gehe zum VIP- Eingang und stecke die Karte in den Automaten. Eine gefühlte Ewigkeit später: grün. Ich bin drin, und mein Herz springt aus der Brust. Drinnen merke ich, dass ich noch mein „Suche Ticket“-Schild vor mir her trage. So viel zu den Personenkontrollen.

Im Fanshop kaufe ich ein Deutschlandtrikot und gehe weiter zum VIP-Eingang. „Nein Sie sind nicht VIP, Sie sind Ehrengast“, sagt die Hostess und zeigt auf eine unscheinbare Tür. Dann geht alles ganz schnell: Tür auf, ich rein, Ehren- VIP-Bändchen an. Drinnen ist nichts mehr unscheinbar: Marmor und Mahagoni. Ich mache mich natürlich sofort auf zur Bar: Champagner aus der Fifa-Magnum-Flasche.

Noch zwanzig Minuten.

Eine der unzähligen Hostessen in Türkis bringt mich zu meinem Platz. Höhe Mittellinie, gut gepolsterter Sessel. Um mich herum nur Fifa-Funktionäre im Nadelstreifenanzug mit Fifa-Emblem auf der Brust. Eine Reihe über mir sitzen: Angela Merkel, Franz Beckenbauer, Lennart Johansson, Joao Havelange und all die anderen. Ich versuche, möglichst wenig aufzufallen, was in meinem Deutschlandtrikot nicht einfach ist. Man kann auch nicht gerade sagen, dass meine Sitznachbarn mich herzlich aufnehmen. Nach kurzem Gespräch stellt sich raus, dass ich inmitten der südamerikanischen Fraktion sitze.

Jetzt geht’s los.

Die Nationalhymnen. Ich singe die deutsche, meine Nachbarn die argentinische. In der ersten Halbzeit passiert nicht viel. Argentinien ist besser, aber das hilft meinen Nachbarn auch nicht weiter. Ich habe meinen Spaß, nicht nur am Spiel. Die Hostessen merken mit der Zeit, dass ich kein versnobter Funktionär bin wie fast alle anderen um mich herum. Ich bekomme jedes Mal ein neues Bier, wenn das alte leer ist. Die 250 Euro Eintritt haben sich schon jetzt gelohnt.

Halbzeit.

Ich ziehe mich zurück zu Marmor, Mahagoni und Buffet. Neben mir am Tisch sitzen Roger Milla (ja genau der Roger Milla!) und zwei Begleiterinnen. Gut gelaunt lasse ich mich zurück zu meinem gut gepolsterten Sessel führen.

Es geht weiter.

Und wie. Nach vier Minuten köpft Ayala die argentinische Mannschaft in Führung. Meine Nachbarn grinsen triumphierend zu mir herüber. Ansonsten ist die Stimmung auf der Ehrentribüne gesetzt. Bis, endlich!, zehn Minuten vor Schluss Miroklosefußballgott den Ausgleich köpft.

Verlängerung.

Elfmeterschießen.

Immer, wenn ein Argentinier schießt, wird es laut. Richtig laut. Verdammt laut! Wir pfeifen die Argentinier in den Wahnsinn, und als Cambiasso verschießt, liege ich mir mit den Bodyguards in den Armen. Die Südamerikaner kommen zu mir, gratulieren und wünschen viel Erfolg für das Halbfinale. Und natürlich bekomme ich auch noch das letzte Bier bei meinen Freundinnen im Marmor- und Mahagoni-Saal.

Maradona war nicht im Stadion, er wollte nicht, weil sein Freund nicht reindurfte. Vielleicht war mein goldenes Ticket ja seines. Mirko Bothien

Mirko Bothien

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