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Erst schweigen, dann brüllen. Louis van Gaal wartet auf den Anpfiff. Am Ende wird er seine Spieler in der Kabine anschreien. Foto: Reuters

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Sport: Das Unerklärliche erklären

Bayerns Trainer Louis van Gaal wirkt beim 3:3 schwer getroffen von der Schlampigkeit seiner Spieler

Es ist bemerkenswert, zu welcher Meisterschaft in der deutschen Sprache es Louis van Gaal in knapp anderthalb Jahren gebracht hat. Seine Aussprache kommt zwar immer noch etwas tastend daher, van Gaals Wortschatz aber ist wirklich enorm, und er wird täglich größer. Am Samstag, nach dem 3:3 seiner Mannschaft in Mönchengladbach, hat der Trainer des FC Bayern München mal wieder einen neuen Ausdruck aus der Fußballfachsprache benutzt, den er wohl irgendwo aufgeschnappt hatte: verpatzt. Der Holländer blickte kurz in die Runde, ob man das wirklich so sagt, und als er im Auditorium Zeichen der Zustimmung vernahm, wirkte er ein bisschen zufrieden mit sich.

Genauso bemerkenswert war es, dass van Gaal bei all seinen sprachlichen Variationsmöglichkeiten am Samstag einen Satz wiederholte, den er in dieser Woche schon einmal, fast baugleich, verwendet hatte. „Ich war sehr enttäuscht, eigentlich auch ein bisschen böse“, sagte er. Was diesmal seiner Mannschaft und deren Auftreten gegen den Tabellenletzten galt, hatte sich Anfang der Woche auf Uli Hoeneß und seine Kritik an van Gaals Umgangsformen bezogen. Beides hatte ihn schwer getroffen, die Schlampigkeit seiner Spieler genauso wie Hoeneß Angriff scheinbar aus dem Nichts – weil es van Gaals Selbstverständnis als Trainer berührte.

Nach dem Abpfiff im Borussia-Park blieb der Holländer noch minutenlang auf der Bank sitzen, ganz allein, in seine Gedanken versunken. Dann ging er in die Kabine – und brüllte los. Seine Fundamentalkritik war bis in den Gang zu hören. Mittelfeldspieler Thomas Müller hatte seinen Trainer noch nie so geladen erlebt, „wir haben ja auch noch nie auf diese Art und Weise Punkte verschenkt“. Van Gaal selbst sprach später von einem bösen Ausfall, „aber ich habe gehört, dass die Spieler mich auch ein bisschen verstehen können“.

Auf die Einlassungen von Uli Hoeneß zu seiner Arbeitsweise hatte er ähnlich reagiert. Zuerst schwieg van Gaal auffällig lange. Er sortierte seine Gedanken, dann schlug er zurück, nicht laut wie am Samstag in der Kabine, sondern ganz leise, aber nicht weniger klar und deutlich. Der einzige Unterschied ist, dass Hoeneß anders als seine Spieler van Gaals Enttäuschung bis heute nicht verstanden hat und wohl auch nicht verstehen will. Doch wenn die Attacke des Präsidenten gegen den Trainer als Motivation der Mannschaft gedacht war und nicht nur Hoeneß’ verletzter Eitelkeit entsprungen ist, dann ist sie eindeutig ins Leere gegangen.

Die Bayern hecheln ihren Zielen weiter deutlich hinterher. „Es ist ein langer und steiniger Weg bis zur Spitze“, sagte Sportdirektor Christian Nerlinger. Und da ist es doppelt und dreifach ärgerlich, dass die Münchner beim Tabellenletzten zwei Punkte einbüßten, die in ihren Planungen bereits fest verbucht waren. „Das Unentschieden fühlt sich wie eine Niederlage an“, sagte Nerlinger. Drei Siege hatte Bayerns Sportdirektor aus den Spielen gegen Freiburg, in Mönchengladbach und gegen Nürnberg dekretiert. Diese Vorgabe aber ist schon jetzt nicht mehr zu erreichen. „In unserer Situation ist das Ergebnis dramatisch“, gestand Mittelfeldspieler Thomas Müller.

Noch dramatischer als das Ergebnis war sein Zustandekommen. „Das war fahrlässig“, sagte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Die Bayern hatten die Gladbacher in der ersten Halbzeit wie ein dressiertes Schoßhündchen durch deren Arena geführt. Ihre Ballbesitzquote näherte sich dem jemals gemessenen Spitzenwert, der Tabellenletzte stürzte von einer Verlegenheit in die nächste, so dass Louis van Gaal in der Halbzeit noch ganz angetan war von seiner Mannschaft: „Ich habe ihr ein Kompliment gemacht: So gut habe ich Bayern München in dieser Saison noch nicht gesehen.“

Doch die Gladbacher fanden nach der Pause zurück ins Spiel, sie schossen innerhalb von vier Minuten zwei Tore, führten plötzlich 3:2 und waren dem Sieg aus Münchner Sicht bereits gefährlich nahe. Philipp Lahm verhinderte mit seinem Tor kurz vor Schluss wenigstens ein noch größeres Unglück. Dass die Begegnung nach der Pause eine wahnwitzige Wende erlebte, zählt wohl zu den unergründlichen Mysterien des Fußballs. Selbst Louis van Gaal, ein ausgewiesener Experte, bemühte am Ende übersinnliche Kräfte, um das Unerklärliche zu erklären: „Vielleicht hat unser lieber Gott gedacht: Die Spieler müssen noch was lernen.“ Aber das war nur so dahergeredet. Louis van Gaal glaubt nicht an den lieben Gott.

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