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Sport: Das ungeschriebene Gesetz der Sixdays heißt Hochdienen - Nobodies haben keine Chance

Man begebe sich nie zur Unzeit, sprich vor der Zeit, auf die Suche nach dem Sechstagesieger. Außer in Zürich, denn da sind die seit Jahren meisterhaft ihr Metier beherrschenden Schweizer Bruno Risi und Kurt Betschart seit jeher vorgebucht.

Man begebe sich nie zur Unzeit, sprich vor der Zeit, auf die Suche nach dem Sechstagesieger. Außer in Zürich, denn da sind die seit Jahren meisterhaft ihr Metier beherrschenden Schweizer Bruno Risi und Kurt Betschart seit jeher vorgebucht. Aber auch die erfüllen seit Jahrzehnten beflissen die bestehenden Regeln. Zwar nie schriftlich festgelegt, aber doch wie von Generationen überliefert und gleichermaßen geltend für die Fahrer sowie für die Veranstalter: 1. So gut wie ausgeschlossen ist ein Gesamtsieg eines Sechstage-Neulings; 2. Wird eine Mannschaft durch Ausscheiden eines Fahrers personell umbesetzt, erlischt meist der Siegesanspruch; 3. Verstöße gegen den oder die radelnden Chefs auf der Bahn oder gegen den Rennleiter lassen alle Chancen schwinden; 4. Das potenzielle Siegerpaar muss populär beim Publikum sein; 5. Etwaige Schwächen oder trickreiche Auszeiten in den großen Jagden werden so gut wie immer einstimmig von der Konkurrenz mit Rückstufung bestraft.

Also: Nur wer vom Startschuss bis zum Finalabend stets topfit ist, darf auch beim Roulettespiel vieler ungefähr gleich starker Fahrer seine Kugel einwerfen. Mit dem Placet der Veranstalter, versteht sich. Als Beispiel: Die Spanier Juan Llaneras und Isaac Galvez werden in Berlin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Sechstagerennen nicht gewinnen. Die beiden wurden zwar im Oktober im Velodrom Weltmeister im Zweier-Mannschaftsfahren und sind auch Gesamt-Weltcupsieger - aber in Berlin Nobodys im Sechstagerennen, ohne Lobby in diesem besonderen Geschäft. Man mag über derartige "Regeln" mit Fug und Recht hadern, aber es galt eben schon immer bei Sechstagerennen, den Buckel je nach Windrichtung zu krümmen. Sich also hochzudienen.

Wer nun hatte diese Vorgaben in der Premierennacht des ersten Sechstagerennens im neuen Jahrhundert erfüllt? Auf wen könnte man setzen? Es gibt ein paar Dinge, die durchaus überraschen. Da ist zum Beispiel das couragierte und selbstbewusste Auftreten des langen Berliners Robert Bartko zu nennen, der im Velodrom erst sein sechstes Sechstagerennen überhaupt fährt und dessen Vorbereitung nach dem Bundeswehrdienst bis Dezember im Oberallgäu alles andere als ideal war. Von der Figur her nicht gerade prädestiniert, Sechstagefahrer zu werden, hat Verfolgungs-Weltmeister Bartko den berühmten runden Tritt und zeigt schon erstaunliche Übersicht bei den Jagden. Dass er mit dem allseits begehrten Partner Scott McGrory eine Trumpfkarte gezogen hat, erwies sich schon schnell. Beide können bis zum Finale am nächsten Dienstag, auch mit der vorhandenen Unterstützung des Publikums, durchaus eine Rolle auf den vorderen Plätzen spielen. Siegesanwärter, wo immer sie starten, sind natürlich eher die Schweizer Bruno Risi/Kurt Betschart (aber noch nie in Berlin auf Rang eins) und die Italiener Silvio Martinello/Marco Villa (1998 Gewinner im Velodrom). Immer dichter zur Leistungsspitze im Sechstagerennen rückt der Italiener Andrea Collinelli auf, 1996 Olympiasieger in Atlanta in der Einzelverfolgung.

Schon im Vorjahr zählte Collinelli im Velodrom zu den elegantesten und effektivsten Fahrern. Adriano Baffi gibt an seiner Seite die Rolle des ausgebufften Routiniers. Aber Baffi/Collinelli als Sieger? Daran ist eher zu zweifeln. Der Senior im Feld, Etienne de Wilde aus Belgien, wird zumindest noch bis zu den Olympischen Spielen in Sydney aktiv sein und zur Vermehrung seines Hausstandes beitragen. 42 Jahre alt wird er im März, und es ist noch immer ein Genuss, ihm bei der Arbeit zuzuschauen. Mit dem gebürtigen Australier und naturalisierten Belgier Matthew Gilmore versteht sich de Wilde seit Jahren blind, beide werden am Ende mit vorn, aber wohl kaum ganz vorn sein. Andreas Kappes/Olaf Pollack, die Sprinter, sollen zum neuen deutschen Spitzenpaar werden, sind aber nicht unbedingt Dauerleister. Auch nicht unbedingt die kühlen Köpfe in heißen Jagden. Ein Sieg in Berlin käme schon sehr überraschend. Also: Es ist schwer, so schwer wie meist zuvor, einen Sieger schon am zweiten Abend auszumachen. Denn verspielt hat von den gemeinten Favoriten noch niemand seine Chancen.

Thomas Zellmer

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