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Sport: Das Urteil: Ein halbes Jahr Training

Von Hartmut Scherzer  Les Deux Alpes. Die Skistation Les Deux Alpes ist zum Synonym für Jan Ullrichs Misere geworden.

Von Hartmut Scherzer 

Les Deux Alpes. Die Skistation Les Deux Alpes ist zum Synonym für Jan Ullrichs Misere geworden. Als sich das Peloton anschickte, die Serpentinen hinaufzuklettern, unterbrach der Tourticker auf den Monitoren im Pressesaal mit einem so genannten Flash die Angaben über den Etappenverlauf: „Ullrich sechs Monate gesperrt." Die Strafe für den positiven Dopingtest vom 12. Juni. Vor vier Jahren, als Les Deux Alpes erstmals Etappenziel der Tour war, hatte Vorjahressieger Ullrich, in Regen und Kälte von einem so genannten Hungerast geplagt, hier zehn Minuten gegen Marco Pantani, das Gelbe Trikot und die Tour verloren. Seine deprimierendste Niederlage. Der gestrauchelte Telekom-Star, obwohl nicht da und von der Mannschaft beurlaubt, war nach der ersten Alpenetappe beim Team Telekom nun wieder Hauptthema.

Denn jetzt ist klar, wie lange Jan Ullrich dafür büßen muss, dass er zwei Aufputschpillen geschluckt hatte: Ein halbes Jahr darf der deutsche Top-Radprofi an keinem Radrennen teilnehmen. Wegen Verstoßes gegen das Dopingkontrollreglement wurde dies vom Sportgericht des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) verfügt. Dem Olympiasieger 2000 und Tour-de-France-Sieger 1997 waren bei einem Dopingtest am 12. Juni in der Rehabilitationsklinik in Bad Wiessee verbotene Amphetamine nachgewiesen worden.

Daraufhin hatte ihn sein Arbeitgeber, das Team Telekom, erst einmal beurlaubt. Ein paar Tage später, am 6. Juli, gab der 28-Jährige dann zu, dass er bei einem Disko-Besuch zwei Tabletten geschluckt hatte. Die Substanzen habe er am Vorabend der unangemeldeten Trainingskontrolle eingenommen. Er habe sich wegen seines verletzten Knies depressiv gefühlt, deshalb habe er die Pillen geschluckt. Sie sollten ihn psychisch aufbauen.

Das Urteil fiel mit sechs Monaten Sperre vergleichsweise milde aus. Genauer gesagt: Es ist sogar das untere Strafmaß. Denn laut Reglement hätten ihn die Sportjuristen ein Jahr sperren können. Doch die BDR-Richter betrachteten Ullrichs Verstoß nicht als Doping im engeren Sinne. „Ullrich hat das Mittel nicht eingenommen, um sich einen Leistungsvorteil zu verschaffen“, sagte der Vorsitzende des Gerichts, Peter Barth. Allerdings sehe das Reglement vor, „dass im Rahmen des Trainings Amphetamine nichts zu suchen haben“. Deshalb habe Ullrich gesperrt werden müssen. Die Sperre gilt ab heute und dauert bis 23. März 2003. Da im Dezember und Februar keine Rennen geplant sind, wird die Sperre in dieser Zeit ausgesetzt. Rechtzeitig zu den Frühjahrsklassikern der Radprofis darf Ullrich wieder dabeisein.

Ruhe vor Juristen hat Ullrich damit nicht. Denn gegen ihn ermitteln auch noch Staatsanwälte, und die stellen für ihn eine weit größere Bedrohung dar als die Ankläger seines Verbands. Denn mit seinem Amphetaminkonsum verstieß er gegen das Betäubungsmittelgesetz, und deshalb untersucht jetzt die Staatsanwaltschaft II in München den Fall. Möglicherweise lässt sie auch die Blutprobe analysieren, die Ullrich in der Nacht zum 1. Mai in Freiburg hatte abgeben müssan, nachdem er alkoholisiert Auto gefahren und von der Polizei ertappt worden war. In dieser Probe könnte dann nachgewiesen werden, ob Ullrich wirklich nur einmal Amphetamine geschluckt hatte, wie er selber sagt, oder ob er schon damals regelmäßig verbotene Pillen eingenommen hat.

Die Forderung, diese Blutprobe zu untersuchen, hatte der Pharmakologe Fritz Sörgel erhoben, der Leiter des Instituts für pharmakologische Forschung. Sörgel hat nämlich masive Zweifel an der Darstellung von Ullrich. „Ich glaube ihm kein Wort“, hatte er dem Tagesspiegel gesagt. Zumindest seltsam klingt Ullrichs Erklärung für viele Beobachter auf jeden Fall, deshalb stehen sie seinen Aussagen auch skeptisch gegenüber. Zuerst hatte Ullrich erklärt, er habe die Pillen von einem Bekannten erhalten. Dieser habe gesagt, die Pillen seien gut gegen Depressionen. Ein paar Minuten später sagte er Ullrich dann, er habe die Amphetamine von einem Unbekannten erhalten. Immer bestritt Ullrich, dass er die Pillen zur Leistungssteigerung eingenommen habe. Oberflächlich betrachtet haben Amphetamine in einer Rehabilitationsphase keine direkte leistungssteigernde Bedeutung. Allerdings helfen sie, die Schmerzgrenze auszudehnen, so dass ein Athlet länger trainieren kann.

Ullrich selbst gab gestern keinen Kommentar zu dem Urteil ab. Er hat sich in die USA abgesetzt. Während der Hektik der Tour de France lehnte auch Telekoms Teamchef Walter Godefroot zunächst jeglichen Kommentar ab. „Ich muss mich erst sachkundig machen, mir die Unterlagen ansehen und mir eine Meinung bilden.“ Erst dann könne er über mögliche Konsequenzen - oder keine - etwas sagen. Teamsprecher Olaf Ludwig ergänzte lediglich: „Ob Ullrich Rechtsmittel gegen das Urteil einlegt, ist seine persönliche Sache und nicht Angelegenheit von Telekom.“ Im Zielauslauf wartete wie üblich der Pfleger Dieter Ruthenberg mit Handtüchern und Getränken und forderte die ausgelaugten Telekom-Fahrer zur direkten Kehrtwende ins Hotel auf. Ruthenberg sah das Ganze sogar noch positiv: „Jetzt hat Jan Ullrich Zeit, in Ruhe sein Knie auszuheilen, sportlich und moralisch an sich zu arbeiten.“

Von der ARD wurde Lance Armstrong nach der Trikot-Ehrung mit der Ullrich-Nachricht konfrontiert. Einmal mehr bekundete der Amerikaner seine Sympathie für den gestrauchelten Deutschen und die Hoffnung auf dessen Comeback. „Jan hat nur eine Party-Dummheit begangen. Wenn sie ihn aus dem Verkehr ziehen und kaputtmachen wollen, sollen sie es tun. Ich aber bin überzeugt, dass Jan zurückkommt."

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