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Sport: Das Wunder von Provo

Deutsche Eishockey-Mannschaften und Olympische Spiele - da gibt es zwei Geschichten. Die von der Bronzemedaille 1976 in Innsbruck und die vom heldenhaften Penaltydrama 1992 in Albertville gegen Kanada.

Deutsche Eishockey-Mannschaften und Olympische Spiele - da gibt es zwei Geschichten. Die von der Bronzemedaille 1976 in Innsbruck und die vom heldenhaften Penaltydrama 1992 in Albertville gegen Kanada. Beide sind nicht frei von Makeln. In Innsbruck kamen die Deutschen vor 26 Jahren nur aufs Treppchen, weil die Stars aus der amerikanischen National Hockey League nicht mitspielen durften und die Großmacht Kanada gleich zu Hause geblieben war. Und 1992, im dramatischen Viertelfinale gegen Kanada, taten die Deutschen das, was sie seitdem in entscheidenden Situation immer getan haben: Sie versagten, wenn auch in Ehren. Beim letzten Penalty des Mannheimers Peter Draisaitl blieb der Puck auf der Torlinie liegen.

Seit Mittwoch gibt es noch eine dritte Geschichte. Es ist die Geschichte von Provo, der olympischen Außenstelle von Salt Lake City. Eine Geschichte ohne Makel, eine, die noch nicht zu Ende ist und doch schon über ein Happy-End verfügt. In den frühen Morgenstunden schaffte die deutsche Nationalmannschaft, was niemand von ihr erwartet hatte. Mit einem 4:1-Sieg über Lettland hielt sie Einzug in die olympische Finalrunde.

Mehr zum Thema Fotostrecke: Bilder aus Salt Lake City Tagesspiegel: Berichte von Olympia Newsticker: Aktuelle Nachrichten von den XIX. Winterspielen sowie weitere Sportmeldungen Das bemerkenserte an der Geschichte von Provo ist, dass schon in einer Woche niemand mehr von ihr reden wird. Provo hat eine neue Geschichte möglich gemacht, die von Salt Lake City. Die Finalrunde wird ab Freitag nicht in der Provinz, sondern direkt in Salt Lake City gespielt. Gegen Tschechien, Kanada und Schweden. Nicht gegen die zweite oder dritte Wahl, wie sie Jahr für Jahr im Frühling bei den WM-Turnieren aufläuft, weil dann die NHL ihre Play-offs ausspielt. Für das Olympiaturnier aber pausiert die beste Liga der Welt, alle Nationen bieten ihre Topstars auf. Die Tschechen ihren Wundertorhüter Dominik Hasek und Jaromir Jagr, den zurzeit vielleicht besten Stürmer der Welt. Die Schweden kommen mit Mats Sundin, der bei den Toronto Maple Leafs prominenter ist als alle Kanadier zusammen. Und die Eishockey-Nation Kanada hat die Mission Gold nicht irgendeinem Trainer, sondern dem Volkshelden Wayne Gretzky anvertraut. Wer in der Eishockey-Welt etwas gilt und nicht wie der Russe Pawel Bure oder der Schwede Peter Forsberg verletzungsbedingt verhindert ist, wird in der kommenden Woche seine Kreise auf dem Eis von Salt Lake City drehen. Und die Deutschen sind dabei.

Das Spektakuläre an der deutschen Erfolgsstory von Provo ist, wie unspektakulär sie zustande kam. Versagensangst? Dieser Begriff kommt im Wortschatz des Hans Zach nicht vor. Und was der Bundestrainer nicht mag, das haben seine Spieler auch nicht zu mögen. Das bekamen nach der Slowakei (3:0) und Österreich (3:2) auch die Letten zu spüren. Schon nach vier Minuten führten die Deutschen durch Tore von Martin Reichel und Leonard Soccio mit 2:0. Die Letten nutzten ihre einzige Torchance zum zwischenzeitlichen Anschluss, aber auch in dessen Folge ließen die Deutschen nie einen Zweifel daran aufkommen, welche Mannschaft das Eis als Sieger verlassen würde. Stefan Ustorf und Klaus Kathan trafen zum 4:1-Endstand.

Wer die Dimension dieses Erfolges nachvollziehen will, der muss fünf Jahre zurückschauen. Damals, bei der WM in Finnland, hatten die aus deutschen Zweit- und Drittligaspieler zusammengewürfelten Letten die Deutschen mit 8:0 gedemütigt. Damals hieß der Bundetrainer noch George Kingston. Ein ehrenwerter Mann, der seine Spieler stets als wundervolle Menschen lobte und über sportliche Mängel großzügig hinwegschaute. Kingston führte die Mannschaft zielsicher zum Abstieg aus der A-Gruppe. Das war 1998, und Nostalgiker klagten über das unselige Bosman-Urteil, in dessen Folge so viele Ausländer in Deutschland spielten, dass die Einheimischen nicht mehr zum Zuge kämen. Das deutsche Eishockey schien alles andere als ein zukunftsträchtiges Projekt zu sein.

Vier Jahre später sieht das ganz anders aus. "Eishockey ist viel besser dran als viele andere Sportarten in Deutschland", sagt Hans Zach. Vor dieser Saison verpflichtete die Deutsche Eishockey-Liga (DEL) ihre 16 Klubs, mindestens vier deutsche Spieler unter 23 Jahren einzusetzen. Die Nationalspieler Christoph Schubert (München), Dennis Seidenberg (Mannheim), Christian Ehrhoff (Krefeld) und Andreas Morczienietz (Augsburg) verdanken diesem Passus ihre Stammplätze. Andere wie der von den San Jose Sharks ausgewählte Marcel Goc (Mannheim) oder Thomas Greilinger (Nürnberg) stehen auf dem Sprung. Der deutsche Nachwuchs drängt in der aufgewerteten DEL nach oben.

In der olympischen Endrunde stoßen nun noch die NHL-Stars Marco Sturm (San Jose) und Jochen Hecht (Edmonton) dauerhaft zum deutschen Team, vielleicht kommt sogar Olaf Kölzig (Washington), einer der besten Torhüter der Welt. Statistisch gesehen sind die folgenden drei Spiele belanglos. Die acht Endrundenteilnehmer würfeln untereinander nur aus, wer gegen wen im Viertelfinale spielt. Gegen die Deutschen, die Außenseiter mit ihrem irritierend-diszipliniert vorgetragenen Defensivsystem will gewiss keiner der Etablierten spielen. Die Geschichte von Salt Lake City ist noch nicht geschrieben, aber sie wird noch oft erzählt werden.

Zu viel Erfolg: DEL verschiebt Spieltag

Die Deutsche Eishockey-Liga (DEL) hat auf den überraschenden Einzug der Nationalmannschaft ins Viertelfinale des Olympischen Eishockey-Turniers mit der Verlegung des 51. Spieltages reagiert. Wie der DEL-Aufsichtsratsvorsitzende Gerd Schröder am Mittwoch mitteilte, wird der ursprünglich für den 22. Februar geplante Spieltag auf den 5. März verschoben, damit die Klubs nicht auf ihre Nationalspieler verzichten müssen. Die Ligaleitung prüfe in Abstimmung mit Vereinen und Hallenbetreibern die Möglichkeit, auch den 52. Spieltag vom 24. Februar zu verlegen. Tsp

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