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Sport: Das zweite Debüt

Sebastian Kehl steht im Nationalteam vor einem Comeback – nach zwei Jahren

Es kommt nicht häufig vor, dass Jürgen Klinsmann in Personalfragen eindeutige Festlegungen trifft. Entgegen seinen sonstigen Gepflogenheiten kündigte der Bundestrainer allerdings gestern an, dass der Debütant „seinen Platz im WM-Kader heute schon sicher“ habe. Trickreich und gewitzt sei er. Oliver Bierhoff, Manager der Nationalmannschaft, lobte zudem den guten Bewegungsablauf, von dem großen Talent ganz zu schweigen. Überragende Eigenschaften scheint dieser Paule zu haben, das neue Maskottchen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, das „eine zielgruppenübergreifende Sympathiefigur“ werden soll.

Eine ähnliche Karriere hat man vor ein paar Jahren auch Sebastian Kehl prophezeit. Nach seinem Länderspieldebüt im Mai 2001 lobte Rudi Völler den damals 21-Jährigen für „eine Art Fußball, wie wir sie in Deutschland schon lange nicht mehr gesehen haben“. In Völlers Kader der alten Recken verkörperte Kehl schon wegen seines jugendlichen Alters die Hoffnung auf ein bisschen Zukunft. Eine ganze Reihe junger Talente drängte damals in die Nationalmannschaft oder begehrte wichtige Positionen: Doch während sich Michael Ballack, Sebastian Deisler, Christoph Metzelder, Gerald Asamoah und Miroslav Klose in der Nationalelf weitgehend etablieren konnten, ist Kehl von einer Entwicklung überholt worden, die er einst selbst symbolisiert hat.

Im Juni 2004 hat Kehl sein 24. und bisher letztes Länderspiel bestritten. Seitdem Klinsmann Bundestrainer ist, hat Kehl zwar immer wieder gehört, dass er in seinen Planungen eine Rolle spiele, anders als bei Christian Wörns, Dietmar Hamann und Oliver Neuville hat es dafür bisher jedoch keine praktische Bestätigung gegeben. Der Dortmunder Mittelfeldspieler ist unter Klinsmann noch nicht zum Einsatz gekommen. „Das war keine leichte Zeit“, sagt Kehl. „Aber ich habe die Hoffnung nie aufgegeben.“ Am Mittwoch (20.30 Uhr, live im ZDF) gegen die USA wird Kehl wohl tatsächlich sein zweites Debüt in der Nationalmannschaft geben. Durch die Verletzung von Torsten Frings hat er sogar gute Chancen, in der Anfangself zu stehen.

Es ist ein wenig paradox. Während Wörns, Hamann und wahrscheinlich auch Neuville im Sommer nicht zu Klinsmanns Kader gehören werden, könnte Kehl doch noch eine vier Jahre alte Vorhersage erfüllen: dass er bei der WM 2006 auf jeden Fall dabei sein wird. Klinsmann bezeichnet Torsten Frings zwar als gesetzt im defensiven Mittelfeld, gerade auf dieser neuralgischen Position aber sind zuletzt Defizite offenbar geworden. Mit seiner offensiven Auslegung hat Frings beim 1:4 in Italien die Probleme der wackligen deutschen Abwehr verschärft.

Die Position vor der Abwehr könnte für die Deutschen bei der WM noch wichtiger werden, als sie es schon ist. Weil die junge und unerfahrene Verteidigung der Deutschen aus sich selbst heraus kaum noch an Festigkeit gewinnen wird, kommt der Besetzung im defensiven Mittelfeld entscheidende Bedeutung für die Stabilität der Hintermannschaft zu. Kehl füllt die Position in Dortmund seit Monaten überzeugend aus. „Er ist einer der wenigen deutschen Spieler, der die dafür notwendigen Qualitäten besitzt“, sagt sein Vereinstrainer Bert van Marwijk. Kehl ist stark im defensiven Zweikampf, hat eine hohe Spielintelligenz und eine überdurchschnittliche Technik. Dass er nicht besonders schnell ist, kompensiert er durch ein gutes Stellungsspiel.

„Sebastian hat die Sechserrolle verinnerlicht“, sagt Klinsmann. „Er kann sie so ausfüllen wie früher Guido Buchwald oder Carlos Dunga.“ Dass Kehl, inzwischen 26 Jahre alt, anders als die meisten jungen Nationalspieler schon eine WM miterlebt hat, spricht zusätzlich für ihn. Anderthalb Spiele hat er 2002 bestritten, und im Finale gegen Brasilien durfte er sich kurz warm laufen. Als der angeschlagene Jens Jeremies dann allerdings weitermachen konnte, warf Sebastian Kehl auf dem Weg zurück zur Ersatzbank vor Wut sein Leibchen auf den Boden. Mittlerweile hat er sich besser im Griff. „Ich bin reifer und erwachsener geworden“, sagt Sebastian Kehl. In einer jungen Mannschaft muss das nicht unbedingt ein Nachteil sein.

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