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Davie Selke (links) greift für Hertha BSC an.

© AFP

Davie Selke von Hertha BSC im Interview: "Die Nationalmannschaft traue ich mir zu"

Herthas Angreifer Davie Selke über seine schwere Lungenverletzung, Horst Hrubesch und seine Ambitionen für die Nationalmannschaft. Ein Interview.

Herr Selke, sind Sie jemand, der zum Jahreswechsel noch einmal bewusst zurückblickt und die vergangenen zwölf Monate Revue passieren lässt?

Eigentlich nicht. Ich bin ein Typ, der im Hier und Jetzt lebt. Ich schaue eher von Sommer zu Sommer und ziehe nach der Saison mein Fazit. Es sei denn, es war ein Jahr, in dem es ein Mega-Event gab wie 2016 die Silbermedaille bei Olympia. Dann guck ich schon mal zurück und freue mich.

Das wichtigste Ereignis 2018 war für Sie vermutlich ein negatives: die schwere Lungenverletzung, die Sie sich in der Saisonvorbereitung zugezogen haben. Wie blicken Sie darauf zurück?

Ich war im Sommer in einer guten Verfassung und habe mich gefreut, mit fast 24 zum ersten Mal in meinem Leben eine komplette Vorbereitung mit der Mannschaft bestreiten zu dürfen. Wahrscheinlich war ich der Einzige aus dem ganzen Kader, der sich darauf gefreut hat (lacht). Ich will nicht sagen, dass es ein Fluch ist. Aber ich habe wirklich schon oft Pech gehabt zu Saisonbeginn. Diesmal war es besonders schwer für mich, weil die Mannschaft sich dann in den ersten Spielen in einen Lauf gespielt hat und ich mich erst wieder rankämpfen musste.

Hat das mehr geschmerzt als die eigentliche Verletzung?

Ja, schon. In dieser Phase wäre ich gern auf dem Platz gewesen. Da zuschauen zu müssen, das war sehr hart für mich.

Aber die Verletzung an sich, der Lungenriss, war auch nicht ohne.

Das stimmt. Am Anfang habe ich noch gedacht: Gut, dass es mich nicht am Fuß erwischt hat oder am Knie. Aber nach den ersten Einsätzen hätte ich mir eher gewünscht, es wäre andersrum gewesen.

Wieso?

Das war schon krass. In Wolfsburg …

… wo Sie erstmals wieder bei Hertha BSC eingewechselt wurden …

… da war es für mich echt grenzwertig. Nach dem ersten Sprint habe ich mich fast so gefühlt, dass ich gleich wieder raus will. Ich habe ewig gebraucht, um mich von diesem Sprint zu erholen. Von außen muss das ganz witzig ausgesehen haben.

Hatten Sie mal Angst oder Panik?

Angst oder Panik nicht. Aber die Zeit im Krankenhaus, als ich einen Schlauch in der Lunge hatte, die war schon hart. Und die Ungewissheit. Als unser Arzt gesagt hat, dass die Verletzung für einen Fußballer untypisch sei, wusste ich nicht, was das bedeutet: Ist es extrem schlimm? Hat sie gravierende Auswirkungen auf meine Karriere?

Haben Sie trotzdem etwas Positives aus dieser Zeit mitgenommen? Vielleicht, dass Sie sich nicht unterkriegen lassen?

Das ja, aber viel wichtiger waren die Dinge, die gar nichts mit dem Fußball zu tun haben. Ich fand es richtig stark, wie Hertha sich in dieser Zeit um mich gekümmert hat, auch wenn es hier und da nur um Kleinigkeiten geht.

Zum Beispiel?

Ich hatte einfach immer das Gefühl, dass sich jemand um mich kümmert. Das hat einfach gutgetan. Oder, dass der Doc mir mal einen Burger aus dem Mannschaftshotel ins Krankenhaus gebracht hat. Nichts Weltbewegendes eigentlich, aber genau diese Kleinigkeiten schätzt man einfach in diesem Moment.

Haben Sie Geduld gelernt? Lernen müssen?

Ich bin echt nicht geduldig, in keinerlei Hinsicht. Auch auf dem Platz war Geduld nie meine Stärke. Schon in der Jugend galt ich als Heißsporn. Da hieß es: Der will zu viel. Der will zu früh zu viel. Mittlerweile ist es schon besser geworden. Aber ich glaube, ein geduldiger Mensch werde ich nie.

Sind Sie auch ungeduldig, was Ihre Ziele für das neue Jahr angeht?

Man sollte immer von sich überzeugt sein. Das bin ich. Deshalb ist mein erstes Ziel, einfach nur gesund zu bleiben. Und fit. Für alles andere auf dem Platz bin ich dann selbst verantwortlich.

Schon in der vergangenen Saison ist es für Sie ähnlich gelaufen. Auch da hatten Sie sich in der Vorbereitung verletzt, sind dann aber immer besser in Schwung gekommen. Am Ende haben Sie sogar Vedad Ibisevic aus dem Team verdrängt und waren die Nummer eins im Sturm. Wie entscheidend ist der Rhythmus, damit Sie erfolgreich Fußball spielen können?

Es ist vor allem Mentalität gefragt: die Mentalität, den Kampf immer wieder neu anzunehmen – selbst wenn du eigentlich schon vorne warst, dich gegen einen Konkurrenten behauptet hast, der nicht nur Kapitän ist, sondern auch schon das eine oder andere Tor in der Bundesliga erzielt hat und seinen Platz auch nicht einfach so hergeben möchte. Natürlich ist es anstrengend, wenn du ohne eigenes Verschulden wieder zurückfällst und dich wieder in die Mannschaft kämpfen musst. Erst recht in dieser Saison, in der wir eine deutlich höhere Qualität im Team haben.

Müssen Sie sich manchmal regelrecht dazu ermahnen, nicht zu überdrehen?

Mit der Zeit ist es besser geworden. Trotzdem muss ich es weiterhin hinbekommen, kanalisiert zu denken. Man muss versuchen, das zu zeigen, was möglich ist – und nicht zu denken: Ich muss in zehn Minuten fünf Tore machen und drei vorlegen.

"Horst Hrubesch ist einfach eine Autorität"

Mission erledigt. Selke jubelt über ein Tor bei der U21-EM 2017.
Mission erledigt. Selke jubelt über ein Tor bei der U21-EM 2017.

© Jan Woitas/dpa

Hatten Sie mal das Gefühl, dass Ihnen die Zeit davonläuft?

Nein. Darum geht es auch nicht. Mir war immer nur wichtig, dass ich wieder so zurückkomme, wie ich vorher war, dass ich wieder die Leistung bringen kann, die ich vor einer Verletzung gebracht habe. Wenn ich festgestellt hätte: Ich mache und tue, aber ich kriege es nicht mehr so hin wie früher – das wäre schlimm gewesen. Am Anfang habe ich mich gefragt: Regeneriert die Lunge schnell genug? Mittlerweile habe ich wieder ein gutes Gefühl. Denn wenn ich meine beste Leistung auf den Platz bringe, kann ich dem Team immer helfen. Das ist das, was ich will.

Könnten Sie auch der Nationalmannschaft helfen?

Natürlich ist die Nationalmannschaft ein Ziel für mich. Ich muss mich hier nicht hinstellen und sagen: Ich will kein Nationalspieler werden. Das wäre gelogen. Ich habe in den U-Mannschaften gespielt und bin im vergangenen Jahr mit der U 21 Europameister geworden, da ist es natürlich mein Ziel, A-Nationalspieler zu werden. Und ich traue es mir auch zu. Aber momentan ist die Nationalmannschaft kein Thema, das für mich präsent ist.

Was denken Sie eigentlich, wenn der Satz fällt: Wir haben in Deutschland leider keine richtigen Neuner mehr?

Dass das nicht stimmt. Ich finde, dass wir gute Mittelstürmer haben.

Was macht für Sie einen guten Mittelstürmer aus?

Natürlich sollte ein Mittelstürmer auch das eine oder andere Tor machen. Wichtiger ist für mich aber, dass die Mannschaft vorne jemanden hat, der für den Gegner eklig und einfach unangenehm ist, der Kopfballduelle gewinnt, der versucht, die Bälle zu halten und für Unruhe sorgt. Kurz: einfach ein Zielspieler. Solche Typen sind immer gefragt und tun jeder Mannschaft gut.

Waren Sie mal was anderes als Stürmer?

Ganz früher, in der F- oder E-Jugend, war ich Zehner. Wahrscheinlich ist mein erster Kontakt deshalb noch heute ausbaufähig – weil ich nie richtigen Gegnerdruck hatte, sondern einfach mit dem Ball durchgelaufen bin. Irgendwann bin ich dann eine Reihe weiter nach vorne gerückt.

Wie kam das?

Ich glaube, das lag daran, dass ich mit 13, 14 noch mal einen Wachstumsschub bekommen und einen richtigen Sprung gemacht habe. Dadurch bin ich auch schlaksiger geworden. Ich will nicht sagen, dass ich vorher pummelig war, aber ich war schon gut beieinander und hatte sogar ein kleines Bäuchlein. Wahrscheinlich war es nach dem Wachstumsschub mit der Koordination nicht mehr ganz so einfach, und deshalb hat man mich in den Sturm gestellt.

Aber es ist niemand auf die Idee gekommen, Sie wegen Ihrer Statur ins Tor zu stellen?

Nein, obwohl ich die Torwarttrikots früher eigentlich cooler fand. Es gab eins von den Stuttgarter Kickers, ein orangenes mit Schlangenmuster. Das sah echt richtig gut aus. Einmal, in der Halle, habe ich tatsächlich im Tor gestanden. Aber ich war so schlecht, dass es auch das letzte Mal war. Obwohl ich mein Lieblingstrikot getragen habe.

Wer hat Sie als Stürmer besonders geprägt?

Horst Hrubesch. Er war schon in der U 18 mein Trainer, später auch in der U 21 und bei Olympia. Von ihm habe ich mit am meisten gelernt. Hrubesch könnte man heute noch in den Sturm stellen. Mit dem Laufen wäre es vielleicht ein bisschen schwierig, aber Abschlüsse würde er immer noch hinkriegen. Im Training hat er sich die Bälle in den Strafraum schlagen lassen und sie reingeschädelt, aber richtig. Welche Wucht er dahinter bringt, das ist echt krass. Selbst mit 67 köpft Horst Hrubesch besser als ich. Von sechs Kopfbällen gehen bei ihm fünf rein – und einer ganz knapp am Tor vorbei.

Warum schwärmen eigentlich alle so von Horst Hrubesch?

Weil er einfach ein sehr ehrlicher Mensch ist. Mit seiner Riesenerfahrung kann er dir unheimlich viel mit auf den Weg geben. Für mich war das ganz wichtig. Ich hatte immer viel Respekt vor ihm. Dabei hatte ich in der U 18 alles andere als einen leichten Stand bei ihm. Obwohl ich eigentlich immer getroffen habe, hat er mich in jedem Spiel ausgewechselt. Ich hab’ getroffen – raus. Ich hab’ nicht getroffen – dann sowieso raus. Bei ihm wusste ich zu der Zeit nie genau, woran ich bin. Ich habe auch immer schön von ihm auf den Deckel bekommen. Heute weiß ich, warum er das gemacht hat. Er wusste, wenn ich klar in der Birne bleibe, kann ich meinen Weg machen. Am Anfang habe ich das nicht verstanden, aber im Nachhinein bin ich ihm sehr dankbar dafür.

Sind Sie nie auf die Idee gekommen, ihn mal darauf ansprechen?

Nein! Nein! Nein! Um Gottes willen! Horst Hrubesch ist einfach eine Autorität. Ich habe mich zwar gewundert, warum er das mit mir macht. Aber das war schon okay so.

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