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Die Bundesliga im TV.

© dpa

Debatte über TV-Bilder: Wie die Bundesliga ihr Image kontrolliert

Was wir auf der Couch von der Bundesliga sehen, entscheidet sie selbst. Sie produziert schließlich die TV-Bilder.

Hat reichlich Ärger gegeben am vergangenen Samstag in Dortmund. Als Pierre-Emerick Aubameyang das Führungstor für die Borussia gegen den FC Ingolstadt erzielte, aus knapper Abseitsposition, wie in Echtzeit zu vermuten und kurz darauf deutlich und in bewegten Bildern zu sehen war. Dummerweise lief die Zeitlupe auf dem riesigen Videowürfel des Westfalenstadions, was sehr zur Erheiterung der 80 000 Zuschauer beitrug, aber nicht eben zur Pazifizierung der erbosten Ingolstädter Spieler. Das war ziemlich peinlich für den Schiedsrichter Guido Winkmann, ein bisschen aber auch für die Borussia Dortmund GmbH & Co. Kommanditgesellschaft auf Aktien.

Nach Absprache mit der Deutschen Fußball-Liga (DFL) dürfen strittige und diskutable Szenen nämlich keinesfalls dem Publikum im Stadion zugänglich gemacht werden. Der Schaden hielt sich in erträglichen Grenzen, weil das Krawallpotenzial der wenigen mitgereisten Fans aus Ingolstadt überschaubar war. Bei einem irregulären Tor gegen die Borussia hätte das wohl anders ausgesehen. Die Dortmunder verwiesen auf den Dienstleister „Stadion Live“, dem die Brisanz der Angelegenheit nicht bewusst gewesen sei. Was sie nicht sagten, war, woher der arme Dienstleister über Umwege die entlarvend ehrlichen Bilder bezogen hatte. Die Kommunikationspanne war in ihrer Entstehung sozusagen eine digitale Eigenproduktion der Bundesliga. Angefertigt und bereitgestellt von der Gesellschaft Sportcast, die zu 100 Prozent der DFL gehört.

Anders als in der Öffentlichkeit gemeinhin vermutet, tritt in den Bundesligastadien nicht der Bezahlsender Sky als Produzent in Erscheinung, sondern der Interessenverband der 36 deutschen Profiklubs. Der deutsche Profifußball überträgt sich selbst, und das jetzt schon im zehnten Jahr. Die Sportcast wurde 2006 allein mit dem Ziel gegründet, die Bilder in den Bundesliga-Stadien zu produzieren und an Interessenten in Deutschland und der ganzen Welt zu verkaufen. Zur redaktionellen Aufbereitung hat die DFL gleich noch eine zweite Gesellschaft gegründet. Die DFL Digital Sports beschäftigt Redakteure und englische Kommentatoren, sie vermarktet das Produkt Bundesliga mit Trailern, Magazinen, Interviews und fertig produzierten Liveübertragungen. Wer lieber selbst kommentiert, bekommt als preisgünstige Variante auch das reine Bildsignal plus akustische Stadionatmosphäre geliefert. Mittlerweile gehören um die 200 Lizenznehmer zur Kundenkartei.

Das bringt der DFL neben einem zweistelligen Millionenbetrag auch „erstklassiges Marketing“ (DFL-Sprecher Christian Pfennig) ein – aber auch schon mal Kritik an einem Monopolisten, der sich seine schöne bunte Fußballwelt selbst schaffe, dabei langweiligen Einheitsbrei zubereite und zur Not alles unterdrücke, was seinem Produkt Schaden zufügen könnte. In diesem Sinne hatte die Panne von Dortmund auch ihr Gutes, jedenfalls für die DFL. Es finde eben keine bewusste Zensur statt, die Liga dokumentiere selbstverständlich auch unangenehme Situationen und überwache keineswegs in finaler Konsequenz, was die Abnehmer damit anstellten. „Der Verdacht der Zensur steht im Raum, seitdem es uns gibt“, sagt der Sportcast-Geschäftsführer Josef Nehl. „Aber kein einziges Mal ist der Vorwurf auch tatsächlich erhoben worden.“ Natürlich würden sie auch brennende Pyros dokumentieren oder randalierende Fans, „wir zoomen nur nicht in aller Deutlichkeit rauf, aber das können unsere Vertragspartner auch selbst machen, die sind ja über unser Equipment hinaus mit ihren eigenen Kameras im Stadion vertreten“.

Josef Nehl war früher selbst Fußballprofi, zwischen 1986 und 1996 schoss er in 201 Bundesligaspielen 28 Tore für den VfL Bochum und Leverkusen. Damals war Fußball ein anderes, sehr viel langsameres Spiel. Heribert Faßbender begrüßte das Fernsehpublikum mit „n’Abend allerseits“ und die öffentlich-rechtlichen Anstalten übernahmen mit drei Kameras das, was man heute mediale Aufbereitung nennt. 2016 sind an einem beliebigen Bundesligaspieltag um die 1000 Mitarbeiter im Einsatz und bei jedem Spiel mindestens zehn normale Kameras, zwei weitere in den Toren und dazu zwei Superzeitlupen.

Seit 2006 steht Nehl der Sportcast als Geschäftsführer vor. Es war dies ein Schlüsseljahr für den deutschen Fußball, nicht nur wegen der damals noch ohne Einschränkung als Märchen empfundenen Weltmeisterschaft. Schon nach der Kirch-Pleite habe die DFL erkannt, dass sie sich unabhängig machen müsse vom wirtschaftlichen Wohlergehen privater Partner. Aber erst Anfang 2006 wagte die Liga den großen Schritt. Das war, als Nehl beim frisch berufenen DFL-Geschäftsführer Christian Seifert anfragte, ob er nicht in eigene Übertragungswagen investieren wolle. „Eigentlich bin ich fest von einer Absage ausgegangen“, sagt er. Aber Seifert habe sofort Interesse gezeigt und nach der wirtschaftlichen Perspektive gefragt. Nehl stellte eine schwarze Null in Aussicht und bekam Prokura.

Was kommt als Nächstes? Spiele in 3 D haben sie bei Sportcast schon getestet

Heute verfügt Sportcast über jeweils zwei Übertragungs- und Rüstwagen, beide mit modernster HDI-Technik ausgestattet. Dazu kauft die Sportcast bei den bis zu neun parallel laufenden Bundesligaspielen technische Zulieferung von externen Dienstleistern ein. Ein Übertragungswagen steht zur Besichtigung auf dem Hof der Sportcast in Köln. Ein geschätzt 20 Meter langer Truck, in der Mitte führt ein Treppchen ins Innere mit Monitoren, Kabeln, Schaltern, von denen der Besucher bitte die Finger lassen möge, wie der zur Aufsicht abgestellte Techniker freundlich, aber bestimmt sagt. „Das war eine Investition im zweistelligen Millionenbereich“, sagt Josef Nehl, „die Wagen sind längst abbezahlt und haben sich amortisiert.“ Das Kerngeschäft sind Erste und Zweite Liga, außerdem DFB-Pokal, Frauen-Bundesliga und auch der eine oder andere Auftritt der Nationalmannschaft.

Sportcast und Digital Sports residieren in einem unscheinbaren Bürogebäude im Kölner Stadtteil Deutz, in Fußwegweite des Rheinufers, aber doch 200 Kilometer weit von der DFL-Zentrale in Frankfurt am Main entfernt. „Das hat logistische Gründe“, sagt Nehl. „Köln liegt sehr zentral, wir können von hier aus am besten alle Bundesligastadien erreichen.“ Und so ein Arbeitsplatz mit Blick auf den Rhein hat ja auch seinen Charme. Von Köln aus steuert Nehls Team Woche für Woche die Logistik der schönen neuen Fußballfernsehwelt. Um das Risiko von Staus und Unfällen zu minimieren, machen sich die Übertragungswagen schon nachts auf den Weg zu ihren Einsatzorten. „Ist noch nie was passiert“, sagt Josef Nehl. Das heißt: Einmal war da schon was. Im Herbst 2011, als die Sportcast aus Danzig das Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft übertragen wollte und ein nächtlicher Kurzschluss die Technik abfackeln ließ. Das ZDF übernahm kurzfristig das Signal der polnischen Kollegen, was dem Fernsehpublikum kaum auffiel, wohl aber der deutschen Werbewirtschaft, weil bei der Übertragung nur polnische Werbebanden zu sehen waren.

Und was kommt als Nächstes? Fußballspiele in 3D haben sie bei der Sportcast schon mal getestet, aber bis zur Marktreife werden die Kameras wohl noch reichlich Abseitstore einfangen. Der logische Qualitätssprung ist eher schon UHD-TV, Fernsehen in Ultra High Definition mit einer bis zu achtmal besseren Bildauflösung, als sie der jetzige Standard hergibt. Vielleicht ab Sommer 2018, wenn der neue Fernsehvertrag greift, für den die DFL gerade die Ausschreibung vorbereitet.

Längst hat die Ausleuchtung der Rasenfelder mit Zooms auf die letzten Grashalme an der Eckfahne dem Fußball auch das letzte Geheimnis genommen. Wo die Superzeitlupe allgegenwärtig ist, können schwerlich ewige Rätsel wie das Wembleytor wachsen. Der Fußball des dritten Jahrtausends produziert großartige Bilder, aber keine Mythen mehr. Aber so wie Romantiker die Welt noch nie gerettet haben, müssen sie auch nicht um ihren Fortbestand fürchten. Ja, für zur Bequemlichkeit neigende Fans mag das heimische Sofa eine ernsthafte Alternative zum Stadionbesuch sein. Auch Josef Nehl erfreut sich am heiligen Samstagnachmittag um 15.30 Uhr gern der Bilder, die seine Leute mit jährlich brillanter werdender Qualität produzieren. Doch dass die Sportcast eines Tages die Stadien leersenden wird, ist empirisch längst widerlegt. Als der Sky-Vorgänger Premiere im Sommer 2000 seine erste Konferenzschaltung ausstrahlte, lag der Zuschauerschnitt in der Bundesliga bei 31 100 pro Spiel. In der vergangenen Saison waren es 43 500, das entspricht einem Zuwachs von 40 Prozent.

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