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Sport: Der 34-Jährige fehlt beim Sindelfinger Meeting und ist doch präsent

Die Szenerie neben dem "Glaspalast" in Sindelfingen hätte gespenstischer nicht sein können. Vom Nachthimmel herab schwebten die Schneeflocken, der Boden war von Pfützen übersät und im fahlen Licht der Beleuchter der Fernsehteams stand Dieter Baumann und redete sich den Mund fusselig.

Die Szenerie neben dem "Glaspalast" in Sindelfingen hätte gespenstischer nicht sein können. Vom Nachthimmel herab schwebten die Schneeflocken, der Boden war von Pfützen übersät und im fahlen Licht der Beleuchter der Fernsehteams stand Dieter Baumann und redete sich den Mund fusselig. Klammheimlich war er am späten Sonnabendnachmittag gekommen. Hergefahren aus Tübingen, wo der 34-Jährige seit einigen Jahren lebt. 25 Kilometer sind das gerade einmal. Baumann aber kam nicht in die Halle wie die Jahre zuvor, als ihn die Menschen auf Händen trugen. Dort hatte er diesmal einen Menschenauflauf befürchtet. Er wollte das nicht.

Baumann kam durch den Hintereingang, durch ein eisernes Tor - und er ging direkt in den Ü-Wagen des Süddeutschen Rundfunks. Er redete vom baldigen Freispruch durch den Rechtsausschuss des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Erst bei der ARD, dann bei einem Rundfunk-Sender und am Fuß der rutschigen Eisentreppe beim ZDF. Immer darauf bedacht, nichts Falsches zu sagen. "Hoffnung hatte ich, als ich erfahren habe, wie es funktioniert hat, eben mit der Zahnpasta", sagte er, machte Späßchen und sprach von den Olympischen Spielen in Sydney, "für die ich noch genug Zeit habe, mich zu qualifizieren".

Drinnen in der Halle ahnte niemand etwas von dieser ungewöhnlichen Open-Air-Pressekonferenz. Dort machte sich nicht nur Meeting-Direktor Herbert Bohr Sorgen um die Zukunft der Leichtathletik und seine Veranstaltung. Im "Glaspalast" von Sindelfingen rannten und sprangen sie. Doch niemand redete über Weiten und Zeiten, sondern um so mehr über Dieter Baumann und die Empfehlung des DLV-Präsidiums, den 5000-Meter-Olympiasieger zu sperren. "Das hat sich alles auf die Leichtathletik niedergeschlagen", vermutete Bohr. "Es kommen deshalb weniger Zuschauer."

Ganz Unrecht hatte er sicher nicht. Kaum einer der Athleten musste beim ersten Meeting des Jahres zu seinem Wettkampf Stellung nehmen - und die kleine Halle war nicht ausverkauft. "Alle fragen nur das eine. Dabei sind meine 19,43 m im ersten Wettkampf des Jahres doch nicht schlecht. Wenn das so weitergeht, gehe ich zur Hallen-EM", sagte Kugelstoß-Weltmeisterin Astrid Kumbernuss genervt. Auch wenn es die Athleten nicht wollten, es blieb dabei, in Sindelfingen gab es nur ein Thema.

Und es wurde auch klar, wie der "Fall Baumann" die gesamte Leichtathletik belastet. "Es ist eine beängstigende Atmosphäre da. Es herrscht gegenseitiges Misstrauen unter den Athleten", sagte Hürdensprinter Florian Schwarthoff, der sein Rennen mit einem Sturz beendete, weil ein Kampfrichter in die Bahn gelaufen war. "Alle haben jetzt doch Bammel, zur Dopingprobe zu gehen, obwohl sie wissen, dass sie sauber sind", sagte Schwarthoff. "Du musst alles in einen Koffer wegpacken", so Schwarthoff. "Für Baumann ist das, so wie es aussieht, das Karriereende."

Kumbernuss hat bereits Vorsichtsmaßnahmen getroffen. "Der Trainer passt mehr auf, wir nehmen Getränke von einem Kraftraum in den anderen mit, die Türen werden abgeschlossen. Toll ist das nicht, aber wohl leider notwendig", sagte Kumbernuss. "Du hast doch keine Chance, das Gegenteil zu beweisen. Ich glaube Baumann. Das wäre doch russisches Roulette gewesen, einfach völlig irre, so etwas zu riskieren."

Heike Drechsler war dagegen ganz froh, dass sie nicht soviel über ihre Vorstellung sprechen musste. "6,36 Meter, das klingt so fürchterlich weit weg von dem, was ich leisten kann", sagte die Weitsprung-Olympiasiegerin. "Es läuft noch nicht rund nach der Verletzung. Aber das wird schon." 6,36 m reichten ihr für Platz zwei hinter Siebenkampfweltmeisterin Eunice Barber aus Frankreich (6,73). Aber auch Drechsler spürte die seltsame Stimmung zwischen Ost- und West-Athleten. Sie sieht sogar ein großes Problem auf die deutsche Leichtathletik zukommen. "Die Sache mit Baumann ist für viele eine unglaubliche Genugtuung", sagte sie. "Mir fällt es schwer, das zu begreifen, aber, wenn es ein Ostdeutscher gewesen wäre, der wäre gleich im Eimer gewesen. Ich weiß nicht, ob alle diese Rückendeckung bekommen hätten."

Draußen stand immer noch Dieter Baumann und redete. Über die Schadenfreude im Osten zum Beispiel. Und davon, dass er von einem lange geplanten Anschlag ausgehe. Er lächelte noch einmal etwas und machte sich auf den Heimweg. Allein, durch die Pfützen, in eine ungewisse Zukunft und den Kopf voller Gedanken. Vom Himmel herab fielen Schneeflocken.

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