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Naturwunder, harter Arbeiter, Showman: Usain Bolt's will mit Sport-Legenden wie Péle oder Muhammad Ali gemessen werden.

© AFP

Der Beherrscher der Leichtathletik: Usain Bolt: Athlet oder Legende?

Usain Bolt hat seine Sportart dominiert wie niemand zuvor, er wird mit den Größten aller Zeiten gemessen werden können. Und der Leichathletik drohen ohne seine Strahlkraft große Probleme.

Wie viele Medaillen muss man gewinnen, um der Größte aller Zeiten zu sein?  Ab wann ist man kein Athlet mehr, sondern eine Legende? Und wie misst man eigentlich Unsterblichkeit? Es sind schwierige Fragen, über die sich die Sportwelt in diesen Tagen den Kopf zerbricht. Der Grund für diese Fragen heißt Usain Bolt, der Anlass sind die Olympischen Spiele von Rio de Janeiro.

Am Freitagabend gewann der 29-Jährige mit der 4 x 100 Meter Staffel Jamaikas seine neunte olympische Goldmedaille in Serie. Das dreifache Triple von Peking, London und Rio sucht in der Leichtathletik seinesgleichen. Doch auf der Laufbahn hat Bolt längst keine Gegner mehr, keiner seiner drei Olympiasiege in Rio forderte ihn ernsthaft. Er will sich ganz bewusst mit Muhammad Ali oder Pelé messen, „mit den Größten aller Zeiten“, wie er selber sagt. "Da habt ihr es: Ich bin der Größte", sagte Bolt dann, nachdem er die jamaikanische Stafel als Schlussläufer zum Sieg gesprintet hatte. "Als ich angefangen habe, hätte ich mir das nie vorstellen können, aber ich habe mich nie zufrieden gegeben. "

Die perfekte Mischung aus Kraft und Leichtigkeit

Usain Bolt hat die Vorstellungen dessen verschoben, was für Menschen möglich ist. Nicht nur durch seine Weltrekorde und Siege, sondern auch durch die Art und Weise, wie er sie aufgestellt und errungen hat. Sein einmaliger Laufstil, diese Mischung aus gnadenloser Kraft und spielerischer Leichtigkeit, hat selbst Leichtathletik-Puristen für ihn eingenommen, die mit seinen Mätzchen und Faxen nichts anfangen können. Natürlich machen ihn seine überragenden Leistungen verdächtig, mit Doping aufgefallen ist Usain Bolt aber nie. Laufen, so viel ist klar, kann er wie kein Zweiter, mit oder ohne verbotene Unterstützung.

In Rio ist Bolt immer wieder nach Michael Phelps gefragt worden. Der US-amerikanische Schwimmer hat insgesamt 23 olympische Goldmedaillen gewonnen, 14 mehr als Bolt. Der Jamaikaner hat stets höflich geantwortet, er habe großen Respekt vor den Leistungen des Schwimmers, seinen Medaillen, dem Comeback, den langen Jahren der Dominanz. Vergleichen könne man die beiden Sportarten aber nicht, sagte Bolt – und hatte Recht damit. Auch Phelps ist ein Phänomen, ein Jahrhunderttalent, ein einmaliger Glücksfall für seine Sportart. Doch seine Leistungen sind für Laien schwerer nachzuvollziehen: Wer ist in seinem Leben jemals 400 Meter Lagen oder 200 Meter Schmetterling geschwommen?

Mehr sein als nur ein Sport-Idol

Es liegt auch an seiner Sportart, dass Usain Bolt so viele Menschen auf der ganzen Welt fasziniert. Wir sind eine Spezies der Läufer, jedes Kind hat das Bedürfnis zu rennen, der Sprint ist die ursprünglichste aller Sportdisziplinen. Das hat Bolt anderen legendären Athleten wie Phelps voraus. Muhammad Ali aber war nicht nur als Sportler ein Idol, sondern auch als Persönlichkeit, sein Wort hatte Gewicht. Bolt spricht gerne davon, dass man nie aufgeben darf und an sich glauben muss – eine echte Botschaft ist das nicht. Sportliche Unsterblichkeit hat Usain Bolt aber erreicht, spätestens seit diesem Freitagabend.

Er gibt seinem Publikum die Illusion, jedermann könne so schnell laufen wie er. Schließlich hat auch Bolt nur zwei Arme und zwei Beine, eine normale Hose und ein Hemd und ein Paar Spikes unter den Füßen. Was in Bolts Körper steckt – die jahrelange harte Arbeit und womöglich auch andere, verbotene Dinge – sieht man nicht. Man sieht nur diesen Mann, wie er Schritt für Schritt über die Laufbahn fliegt.

Auch Bolt musste hart arbeiten

Während der Olympischen Spiele hat Usain Bolt erzählt, wie leicht ihm am Anfang seiner Karriere alles fiel. Er sei faul gewesen, erst nach einiger Zeit habe er verstanden, was er tun müsse, um ganz oben anzukommen und oben zu bleiben. Diese Fähigkeit wird bei Bolt oft unterschätzt: Es zeugt von großem Fleiß und immenser Nervenstärke, über den Zeitraum von acht Jahren bis auf einen einzigen Fehlstart jedes wichtige Rennen zu gewinnen und bei drei Olympischen Spielen und vier Weltmeisterschaften zwischen 2008 und 2016 unglaubliche 20 von 21 möglichen Titel zu gewinnen. Bolt hat Rennen mit offenen Schuhen und breitem Grinsen gewonnen, manchmal hauchdünn und manchmal überdeutlich. Seine Weltrekorde über 100 Meter und 200 Meter aus dem Jahr 2009 sind nur in Gefahr gekommen, wenn er selbst an den Start ging.

Wann er eigentlich zuletzt verloren habe, wurde Bolt in Rio gefragt. Seine Unwissenheit wirkte nicht gespielt: Er hatte anscheinend wirklich keine Ahnung, es interessierte ihn auch nicht.

Im Gegensatz zu anderen Disziplinen wirkt die Leichtathletik in Rio wie ein Überbleibsel aus grauer Sportvorzeit. Zäh ziehen sich die Vorläufe, still ruht das Stadion, wenn Hammerwerfer und Stabhochspringer sich durch ihre Qualifikationswettbewerbe quälen oder zwischendurch einfach mal rein gar nichts passiert. Die Leichtathletik hat ein Problem, zehn Jahre lang hieß die Lösung dieses Problems Usain Bolt. Wenn er über die Bahn schoss, schien der Sog seiner Schritte die Staubschicht wegzupusten, die sich in Jahren des Stillstands auf die Sportart gelegt hatte. Man muss es nicht mögen, wie sich Bolt inszeniert, sein Talent als Entertainer und sein Wert für die Leichtathletik sind aber unbestritten.

Was kommt nach Bolt?

„Die jungen Sportler müssen verstehen, dass das Publikum die Energie der Athleten spüren will“, sagt Bolt gern. „Es will nicht nur zuschauen – es will teilnehmen.“ Wenn Bolt in Rio lief, war das Stadion voll. Wenn er einen Abend frei hatte, war es leer. Zurzeit ist kein Athlet – in keiner Sportart – zu sehen, der eine solche Anziehungskraft besitzt. Morgen wird der Jamaikaner 30 Jahre alt, im kommenden Jahr will er noch bei der WM in London antreten, danach will er seine Karriere beenden. Und dann?

Eine weitere Leichtathletik-Legende, der zweimalige Zehnkampf-Olympiasieger Ashton Eaton, macht sich keine Sorgen um die Zukunft. „Ich glaube nicht, dass Bolt ein Vakuum hinterlassen wird“, sagte Eaton in Rio, nachdem er zum zweiten Mal Gold gewonnen hatte. „Im Gegenteil: Er hat eine Plattform errichtet, die junge Athleten zum Absprung nutzen können.“ Viele künftige Stars würden genau jetzt hart arbeiten, weil sie Bolt inspiriert habe. Er selbst habe als achtjähriger Junge Michael Johnson, dem ehemaligen 200- und 400-Meter-Weltrekordler, nacheifern wollten. „Es hat aber zehn Jahre gedauert, bis ich wirklich oben angekommen war“, sagte Eaton. „Also wartet einfach ein Jahrzehnt ab.“ Dann werde es auch wieder einen Star wie Bolt geben.

Wahrscheinlich wird es ebenso lange dauern, bis man wirklich einordnen kann, welcher Platz Usain Bolt in der Geschichte des Sports zusteht. Das mag unter anderem mit der nachträglichen Untersuchung von Dopingproben zu tun haben und damit, ob er einen Weg findet, die Menschen auch nach seiner Karriere noch zu berühren. Vor allem aber mit der Leere, die er hinterlassen wird.

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