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Wie ein Geschenk des Himmels. Marcelinho begeisterte in seinen besten Zeiten nicht nur die Fans von Hertha BSC.

© AFP

Der Brasilianer Marcelinho beendet seine Karriere: Die größte Attraktion in der Geschichte von Hertha BSC

Seinetwegen sind Kinder Fans von Hertha BSC geworden. Jetzt hat Marcelinho in Brasilien seine Karriere beendet. Mit fast 45 Jahren und vielleicht endgültig.

In der vergangenen Saison, als er noch Trainer von Hertha BSC war, hat Pal Dardai einmal in Superlativen geschwelgt. Es ging um Marko Grujic, den Leihspieler vom FC Liverpool. Seitdem er bei Hertha sei, seit mehr als 20 Jahren also, erzählte Dardai, habe er keinen besseren Mittelfeldspieler in diesem Verein gesehen als Marko Grujic.

Und was ist mit Marcelinho?, wurde Dardai daraufhin gefragt.

Marcelinho, eigentlich Marcelo dos Santos Paraibo, hat von 2001 bis 2006 für Hertha BSC gespielt. In 155 Bundesligaeinsätzen erzielte er 65 Tore, so viele wie kein anderer Hertha-Spieler in dieser Zeit. Marcelinho trug die Nummer 10, er war Spielmacher des Berliner Fußball-Bundesligisten. Oder doch nicht? „Er war mehr Stürmer als Mittelfeldspieler“, sagte Pal Dardai.

So stand es auch im Tagesspiegel, als im April 2001 die ersten Gerüchte aufgekommen waren, dass Hertha den Brasilianer verpflichten könnte: „Marcelinho, 25 Jahre alt und 1,74 m groß, ist Stürmer.“ Der Linksfuß wurde kurz darauf als potenzieller Linksaußen verpflichtet, rutschte aber mehr und mehr in die Rolle des Zehners.

Marcelinho war vor allem ein Freigeist

Mittelfeldspieler? Stürmer? Marcelinho war vor allem ein Freigeist, auf und neben dem Fußballplatz. Und so hat er sich eben die Freiheit genommen, immer weiter zu spielen. Ja, auch weil er – aus finanziellen Gründen – immer weiterspielen musste, aber vor allem: weil er es wollte.

Jetzt aber, ziemlich genau drei Jahre nach seinem offiziellen Abschiedsspiel im Berliner Olympiastadion, ist wohl wirklich Schluss. Zwei Monate vor seinem 45. Geburtstag, nach insgesamt 29 Jahren im Profifußball, hat Marcelinho am Sonntag für Desportiva Perilima in der regionalen Meisterschaft des brasilianischen Bundeslandes Paraiba gegen CSP Joao Pessoa sein letztes Spiel bestritten. Künftig wird er als Co-Trainer für seinen bisherigen Verein arbeiten.

Für mehr als zwanzig Vereine hat Marcelinho in seiner langen Karriere gespielt, doch mit keinem wird er so sehr identifiziert wie mit Hertha BSC. Er steht für eine fußballerisch bessere Zeit, als Hertha eine echte Nummer im deutschen Fußball zu werden schien, als die Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb die Regel war und nicht die Ausnahme – und das vor allem dank Marcelinho und seinen Toren.

Der Brasilianer schnibbelte die Freistöße mit geradezu beängstigender Präzision genau in den Winkel, er traf volley und einmal auch aus dem Mittelkreis. Keiner spielte freudvoller, keiner spektakulärer. Wegen Marcelinho sind Kinder Hertha-Fans geworden.

Der Brasilianer wollte immer einfach nur Fußball spielen – das war seine große Stärke und vielleicht seine größte Schwäche zugleich. Marcelinho war ein Instinktfußballer; einer, der sich weder um Trainingspläne noch um Laufwege scherte – und der oft eben auch sein eigenes Spiel spielte.

Schrille Frisuren, wilde Partys - auch das war Marcelinho

In seiner Berliner Zeit feierte Marcelinho bis morgens um halb fünf Karneval – nachdem die Mannschaft gerade aus dem Uefa-Cup ausgeschieden war. Er fuhr betrunken über den Kaiserdamm – mit 120 Stundenkilometern. Er schlug Kapitän Arne Friedrich ins Gesicht, weil der ihn zu mehr Einsatz in der Defensive angehalten hatte – und kam tags darauf als Zeichen tätiger Reue eine halbe Stunde zu spät zum Training. Sonntags kam er oft gar nicht, weil er sich krankgemeldet hatte. Oder er brachte seine beiden Kinder mit, die dann auf dem Trainingsplatz herumtollten.

Im Sommer 2006 wechselte Marcelinho von Hertha BSC zu Trabzonspor in die Türkei. Dass er keinen Bock mehr auf seinen bisherigen Verein hatte, hatte er zuvor sehr deutlich und nicht allzu subtil zum Ausdruck gebracht: Mit zehn Tagen Verspätung kehrte Marcelinho damals aus seinem Sommerurlaub in Brasilien nach Berlin zurück. Und so mischte sich in die Enttäuschung über seinen Weggang auch eine gewisse Erleichterung. „Das Herz sagt: Er hat uns große Momente gegeben. Das hat hier keiner vergessen“, bekannte Herthas damaliger Manager Dieter Hoeneß. „Aber er hat auch große Probleme gemacht. Rational gab es keine andere Entscheidung.“

Nach einem halben Jahr war er zurück in der Bundesliga

Auch nach seiner Berliner Zeit wurde es selten ruhig um und langweilig mit Marcelinho. In Trabzon hielt er es nur ein halbes Jahr aus, ehe es ihn in die Bundesliga – zum VfL Wolfsburg – zurückzog. Selbst aus dem fernen Brasilien drangen später immer mal wieder Geschichten an die Öffentlichkeit, die nichts mit seinem begnadeten linken Fuß zu tun hatten. Eine Freiheitsstrafe von 30 Tagen wegen ausstehender Alimente konnte Marcelinho gerade noch abwenden. Der gegen ihn erhobene Vorwurf einer Vergewaltigung stellte sich immerhin als Lüge und letztlich missglückter Versuch einer Erpressung heraus.

Die schrillen Frisuren, die wilden Partys, das ausschweifende Leben – auch das hat Marcelinho ausgemacht. Und trotzdem hat er es verdient, dass man ihn vor allem als ausschweifenden Fußballer in Erinnerung behält.

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