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Sport: Der Duft des Fliegens

Drachenflieger können die Erde riechen. Wie Wandervögel nutzen sie die Thermik und reisen ihr bis Australien nach

Sie fliegen los. In Richtung Thermik, den wichtigen Wettbewerben dieser Saison entgegen. Mehr als hundert der besten Drachenflieger Europas reisen Anfang November mit dem Flugzeug nach Australien. Wie Wandervögel nutzen sie den Erdball, um für ein paar Stunden aus der Luft auf den Boden zu blicken. Eine Suche nach der Faszination des Fliegens ohne Motor.

Am Flugplatz Altes Lager bei Jüterbog, 80 Kilometer südlich von Berlin, bilden die Wolken dicke Zigarren, hintereinander aufgereiht. „Das ist unsere Autobahn“ sagt Drachenfluglehrer Andreas Becker. Es ist Ende Oktober, die Kraft hat die Sonnenstrahlen verlassen. Drachenfliegen kann man nur an Tagen wie diesem, wenn kühle Luft aus den baltischen Ländern weht, über den aufgewärmten Herbstboden streift und so Thermik erzeugt.

Andreas Becker rollt seinen Drachen auf die Startbahn. Das wird sein letzter Flug sein, bevor auch er Deutschland in Richtung Südhalbkugel verlässt. Das Trike, ein Ultraleichtflugzeug, wird ihn hochziehen. Es geht ganz schnell: Kaum liegt der Pilot im Drachen, schwebend, die Seile halten ihn unter den Flügeln, da zieht das Trike an, das Verbindungsseil spannt sich, und beide heben ab.

Es sieht lustig aus: Das Trike eine Wespe, der Drachen eine Libelle. Die Wespe klein, kräftig, brummelnd. Sie sieht einem Liegefahrrad mit Motor ähnlich. Von der Erde aus wirkt der Drachen breiter geflügelt, vielleicht, weil nur ein kleiner Mensch, kein Motor, kein Sitz, unten im Gestänge schwebt? Dann löst sich das Verbindungsseil, und wie ein Papierflieger zieht der Drachen seine Bahnen. Dort oben könne man alle Erdgerüche riechen, erzählt Andreas Becker. In der Provence, da fliegt er im Sommer gerne, dort kann er in der Luft die Wälder, den Lavendel und manchmal Schweineställe riechen.

Beim Wettkampf ist Fliegen keine Sache der Sehnsucht mehr. Adrenalin steigt in den Kopf, wenn sich sechs oder sieben Leute zugleich in der Thermik hochdrehen. Hier zählen Schnelligkeit, Geschicklichkeit und das sinnvolle Nutzen der physikalischen Gesetze. 40 Piloten zählt die Bundesliga. Hinein kommt, wer seine langen Flüge per GPS dokumentiert. Die Daten werden zum Deutschen Hängegleiterverband geschickt; je länger ein Flug dauert, desto mehr Punkte gibt es.

Einmal im Jahr dürfen drei der besten Punktesammler in die Bundesliga der 40 besten Deutschen aufrücken. Die messen sich in Wettbewerben. Wo die sind, erfahren die Sportler erst einen Tag vorher: Das Wetter entscheidet, ob das Team in Italien, Deutschland oder Frankreich startet. Im Wettkampf kommt es vor allem auf Taktik an, sagt Andreas Becker. Es gibt für einen Teilnehmer viel zu überlegen: Fliege ich vor? Oder warte ich? Fliege ich schnell? Oder ist es besser, nur 50 Kilometer pro Stunde zu fliegen und weniger Meter Höhe zu verlieren? Bis 2002 startete Becker in der Bundesliga, gehörte zwei Jahre zur Nationalmannschaft. Die umfasst sechs Piloten.

Lukas Bader, 43 Jahre alt, ist Mitglied der aktuellen Nationalmannschaft. Sein Jeep und sein Wohnwagen warten schon in Australien auf ihn. Im 13. Jahr zieht es den Fluglehrer aus Saarmund, das ist 40 Kilometer südlich von Berlin, zur australischen Wettkampfsaison. Denn „wer international vorne mitfliegen will, muss nach Australien“, sagt die Teamchefin der deutschen Herrenmannschaft, Regina Glas. Lukas Bader wird dort zunächst trainieren, im Inland, wo keine Küstenwinde stören. Er zieht mit Freunden los, drei Piloten und einem Fahrer, immer dem besten Wetter nach. „Der Fahrer bewahrt uns vor dem Verhungern“, sagt Bader. Er liest die Flieger in Baumwollfeldern und Wüsten auf, eben dort, wo die Thermik sie im Stich gelassen hat. Am 20. November startet Bader in Gulgong, sieben Tage lang dauert der Wettkampf. Wie eine mehrtägige Radrundfahrt. Im Januar findet dann der wichtigste australische Wettbewerb statt, der Bogong Cup.

Dort wird die internationale Spitze sein, sagt Regina Glas. Und die sortiert sich neu, denn der dreimalige Weltmeister, der Österreicher Michael Ruhmer, ist nicht mehr dabei. Den Titel gewann zuletzt der Ukrainer Olek Bondartschuk. Regina Glas schätzt ihr Team hoch ein und rechnet sich für die nächste WM 2007 in Texas Chancen aus. Mit dem 29-jährigen Guido Gehrmann hätte man einen Joker im Ärmel. Der holte schon 1997 den Titel. Danach konzentrierte er sich auf seinen Beruf als Passagierpilot. Jetzt will er wieder vorne mitfliegen.

Los lässt es kaum einen, der einmal zum Volk der Drachenflieger gehörte. Die Szene ist so wie die der Surfer oder Snowboarder: Es sind Menschen, die sich völlig einem Element verschrieben haben. Die für Momente leben, in denen sie alleine am Himmel schweben. Und sich abends mit denen zusammensetzen, die ihre Faszination teilen. Wie einsame Cowboys am Lagerfeuer.

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