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Sport: Der einzige ostdeutsche Bundesligist versucht im Westen zu retten, was schwer zu retten ist

Rainer Jarohs war mal Fußballer. Ein ganz guter sogar.

Rainer Jarohs war mal Fußballer. Ein ganz guter sogar. Für den FC Hansa Rostock bestritt er über 400 Spiele bis hinein in die frühe Nachwendezeit. Jarohs war der profilierteste Hansa-Kicker der achtziger Jahre, einer mit Auswahlerfahrung. Der ehemalige DDR-Nationalspieler kennt sich aus zwischen den Hochs und Tiefs, die ein Fußballer in seiner Karriere durchlebt. Mit dem FC Hansa, einer der Fahrstuhlmannschaften der DDR-Oberliga der siebziger und achtziger Jahre, ist er oft genug ab- und aufgestiegen. Als Vereins-Vizepräsident lebt es sich jetzt etwas ruhiger und sicherer. Zumal Hansa seit 1995 die Klasse hält. Aber wie lange noch?

Heute müssen die Rostocker in Gelsenkirchen gegen Schalke 04 gewinnen, um sicher zu gehen, dass es sie nicht in die Zweite Liga spült. Nach dem verlorenen Heimspiel vergangenen Sonnabend gegen Stuttgart (1:4) fließt den Rostocker Profis Unbehagen kopfabwärts. Oder Angst gar?

"Angst", wiederholt Jarohs, "nein, das Wort passt nicht. Wir müssen da jetzt durch." Und was, wenn es nicht klappt, wenn Rostock absteigt? "Es gibt Schlimmeres", sagt der 42-Jährige, "der Verein ist wirtschaftlich gesund. Ein Abstieg würde unsere Existenz nicht gefährden. Alle Spieler besitzen einen Vertrag, der auch für die Zweite Liga gilt." Lediglich bei Uwe Ehlers läuft der Vertrag aus. Der 25-Jährige, der aus der eigenen Jugend stammt, wechselt zum TSV 1860 München. Sonst bleibt alles beim Alten, oder?

Der FC Hansa lebt noch jetzt von den gewaltigen Tranfer-Überschüssen der jüngeren Vergangenheit. Hansa plante diese Saison mit einem Etat von 48 Millionen Mark. Das ist Rekord für den Ostverein. Aber die Einnahmen zu Saisonbeginn konnten sich auch sehen lassen. Ingesamt 32 Millionen Mark, darunter rund 16 Millionen für die Verkäufe von Oliver Neuville, Marko Rehmer, Jens Dowe und Abder Ramdane. "Der Etat für die Zweite Liga würde um einiges geringer ausfallen", sagt Jarohs, "aber wir sind auch auf diesen Fall vorbereitet." Selbst die 55 Millionen Mark teure Sanierung des Ostseestadions, die eigentlich einem Neubau gleichkommt und am 2. April begann, ist gesichert. Die Fertigstellung ist für den Sommer 2001 vorgesehen.

Christian Brand schaut klaren Blickes aufs entscheidene Spiel und sagt: "Wir sind zwar punktgleich mit Ulm und haben ein besseres Torverhältnis, aber wir müssen unbedingt gewinnen. Denn wir können davon ausgehen, dass sich Ulm und Frankfurt ein schönes Ding auskegeln." Den beiden Mitkonkurrenten um den einen noch freien Abstiegsplatz, die Mannschaften aus Frankfurt und Ulm, treffen direkt aufeinander. Um drin zu bleiben, würde beiden ein Unentschieden reichen, vorausgesetzt, die Rostocker gewinnen im Westen nicht. "Wir gewinnen", sagt Brand.

Rostocks Trainer Andreas Zachhuber hatte das Wort Abstieg verboten. So etwas hemme die positive Denke für den finalen Kick. Kollektives Golfen und Grillen waren angesagt für den FC Hansa in einem Trainingslager in der Nähe von Kühlungsborn. Seine Profis hätten kein Problem in ihren Füßen, sondern in den Köpfen. Oder, wie Brand es nach der Pleite gegen Stuttgart ausdrückte: "Unser Selbstbewußtsein ist irgendwie in der Ostsee geblieben." Dahin zurückzugehen, an die Ostsee also, und dort einen ausgedehnten Spaziergang zu unternehmen, legte Brand jedem seiner Kollegen ans laue Herz. Wohl auch in der Hoffnung, dort jenes Gut vom Meeresgrund zu heben, was den Rostocker Fußballprofis irgendwann zwischen Weihnachten und Millennium abhanden gekommen sein muss. "Es gibt viele Gründe, warum wir immer noch nicht den Klassenerhalt gesichert haben", sagt Jarohs, "das arbeiten wir intern auf. Aber was mich an unserer jetzigen Situation ärgert, ist, dass wir einen Sieben-Punkte-Vorsprung aus der Winterpause aufgaben. Wir waren damals so gut wie gerettet."

Statistiken haben ihren speziellen Wert. Eine spricht nicht zwingend für die Rostocker. Hansa ist in fremden Stadien die liebe lange Saison über sieglos geblieben. Exakt seit dem 29. Mai 1999. Damals bejubelten rund 10 000 Fans einen 3:2-Sieg beim VfL Bochum, was Rettung im letzten Moment bedeutete. Mindestens ebenso viele Fans wollen auch diesmal wieder in den Ruhrpott aufbrechen. Regionale Rundfunksender haben Busse gechartert. "Ich bin sehr froh über diese große Unterstützung und hoffe, dass wir uns dafür wie im Vorjahr bedanken", sagt Trainer Zachhuber. Aber warum soll ausgerechnet am 34. und letzten Spieltag ein Auswärtssieg gelingen? "Vielleicht ist es Ironie des Schicksals", sagt Christian Brand, irgendwann müssen wir ja mal auswärts gewinnen."

Egal wohin die Reise nach dem Spiel am Sonnabend führt, "es wird auf jeden Fall Veränderungen geben", erzählt der Vizepräsident. "Wir werden nicht umhin kommen, neue Wege zu gehen", sagt Jarohs und meint damit die Einkaufs- und Gehaltspolitik des Vereins. Noch nie in den zurückliegenden Jahren hat Hansa nur annähernd das Geld aus den Millionen-Verkäufen von Spielern wie Stefan Beinlich, Jonathan Akpoborie oder etwa Sergej Barbarez in neue Stars gesteckt. "Sollten wir die Klasse halten, wovon ich ausgehe, werden wir in Dimensionen vorstoßen müssen, in denen andere Bundesligavereine längst sind. Dennoch müssen wir weiterhin Ausschau nach jungen Talenten halten, die sich bei uns entwickeln können, wie es in der Vergangenheit oft genug der Fall war. Nur gibt es davon nicht viele." Der Verein wird eine zu zaghafte Einkaufspolitik korrigieren. "Wenn man in einer solchen Situation ist wie wir, dann muss man sagen, dass jeder Fehler gemacht hat. Ich inklusive."

Die bis jetzt feststehenden Neuzugänge für die kommende Saison heißen René Rydlewicz und Rayk Schröder. Wer sich von den beiden verbessern kann, wird sich heute entscheiden. Rydlewicz kommt vom Erstliga-Absteiger Bielefeld, Schröder vom Vielleicht-Aufsteiger Cottbus.

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