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Kurs Moskau. Julian Reus (l.) wird Deutscher Meister über 100 Meter. Foto: dpa

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Sport: Der entscheidende Schub

Sprinter Julian Reus überholt sich selbst.

Ulm - Julian Reus war die Sache selbst nicht ganz geheuer. Dass er schnell sprinten konnte, das wusste der Mann vom TV Wattenscheid – aber so schnell? Schon im Vorlauf der Deutschen Meisterschaften in Ulm hatte der 25-Jährige mit 10,17 Sekunden eine neue deutsche Jahresbestzeit aufgestellt und dabei womöglich eine noch schnellere Zeit verspielt, weil er vorzeitig austrudeln ließ. „Ich war dann doch ein bisschen erschrocken, wie schnell ich rennen kann. Es hat sich gar nicht so krass angefühlt“, sagte Reus. Dabei sollte das Beste erst noch kommen: Im Finale steigerte sich der Wattenscheider erneut und stellte mit 10,14 Sekunden einen neuen Veranstaltungsrekord auf. Nie zuvor war ein einheimischer Sprinter bei Deutschen Meisterschaften schneller gelaufen. Zudem unterbot Reus mit seinem Ergebnis die harte Norm für die Weltmeisterschaften im August in Moskau um eine Hundertstelsekunde.

Hinter dem Sieger überzeugte auch Martin Keller als Zweitplatzierter in 10,19 Sekunden – eine neue persönliche Bestzeit. Der Leipziger bewies damit im Donaustadion, dass die von zu viel Wind unterstützten 9,99 Sekunden, mit denen er Mitte Mai als erster Deutscher unter der Zehn-Sekunden-Marke geblieben war, kein einmaliger Ausreißer nach oben waren.

„Die Athleten haben den entscheidenden Schub, den wir in dieser Phase der Saison realisieren wollten, umsetzen können“, lobte der Cheftrainer des Deutschen Leichtathletik-Verbands, Cheick- Idriss Gonschinska. Er meinte auch Sprinterin Verena Sailer, die bei leichtem Gegenwind ebenfalls starke 11,09 Sekunden lief. Außerdem überzeugten in Ulm wieder die Werfer. Olympiasieger Robert Harting gewann das Diskuswerfen mit der Weite von 67,95 Meter, David Storl stieß die Kugel 21,04 Meter weit.

Für Julian Reus erfüllten sich die Hoffnungen auf einen weiteren Meistertitel zunächst nicht. Die Sprintstaffel seines TV Wattenscheid schied in ihrem Rennen aus, am Abend allerdings siegte Reus auch noch im 200-Meter-Lauf in 20,36 Sekunden – neue persönliche Bestleistung. Noch am Vortag hatte Reus erklärt, dass es gar nicht so einfach gewesen sei, sich nur anderthalb Stunden nach seinem famosen Vorlauf noch einmal voll zu konzentrieren. „Das Finale war kein Selbstläufer“, betonte er. Reus ist nun der erste Sprinter seit Tobias Unger im Jahr 2008, der in einer Saison sowohl den nationalen Hallen- als auch den Freilufttitel gewinnen konnte.

Der 25-Jährige hat damit wohl endgültig den Durchbruch geschafft. Schon als Jugendlicher war er 10,28 Sekunden gesprintet, doch Verletzungen ließen ihn danach lange nicht mehr an diese Leistung anknüpfen. Erst Borreliose, dann Probleme mit dem Oberschenkelmuskel, später eine Schambeinentzündung und zwei Knochenödeme – die Liste der Krankheiten und Verletzungen war in den Jahren 2008 bis 2011 zeitweilig länger als die seiner Erfolge. Erst 2012 kam der gebürtige Hesse wieder in die Spur. Doch durch die vielen Ausfälle fehlte ihm die Wettkampfhärte. „Das lerne ich gerade noch“, sagte Reus. „Vor ein, zwei Jahren hätte ich so ein Rennen wie jetzt in Ulm noch verloren.“ Als nächstes Ziel wartet nun der deutsche Rekord von DDR-Sprinter Frank Emmelmann, der seit 28 Jahren bei 10,06 Sekunden steht. Bereits in der vergangenen Saison war Reus einmal ganz nah dran, die Bestmarke des Magdeburgers zu unterbieten, als er in Weinheim 10,09 Sekunden lief. „Bombastisch“, jubelte er damals. Oder einfach ungeheuer schnell. Konstantin Jochens

Konstantin Jochens

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