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Sport: Der Ernstfall

Schon nach dem vierten Spieltag ist bei Hertha BSC die schöne neue Euphorie verflogen

Von Stefan Hermanns

Berlin. Es lief die 55. Minute im Spiel zwischen Hertha BSC und Borussia Mönchengladbach, als auch dem letzten Anhänger des Berliner Fußball-Bundesligisten klar geworden sein muss, dass es wieder nichts werden würde. Von der rechten Seite flog der Ball bei einer Flanke in den Gladbacher Strafraum, der Linienrichter hob seine Fahne, der Schiedsrichter pfiff abseits, doch in der Mitte versuchte Alex Alves, den Fakten zum Trotz, den Ball mit einem Fallrückzieher ins Tor zu lenken. Der Brasilianer stürzte bei seiner kunstvollen Einlage auf die Schulter, verletzte sich und musste daraufhin ausgewechselt werden. Die Szene wirkte wie eine symbolhafte Zuspitzung der aktuellen Situation bei Hertha BSC. Der Verein hat vor der Saison – mit neuem Trainer – zu einem schönen Höhenflug angesetzt und ist nach ein paar Wochen nur recht schmerzhaft auf dem Boden gelandet. „Jetzt haben wir den klassischen Fehlstart“, sagte Manager Dieter Hoeneß.

Fünf Pflichtspiele hat Hertha in dieser Saison bestritten und kein einziges davon gewonnen. „Es läuft nicht rund“, sagte Kapitän Michael Preetz, der bei der 1:2-Niederlage gegen Mönchengladbach das Anschlusstor für seine Mannschaft erzielt hatte. „Wir haben jetzt natürlich ein Problem.“ Eins?

Als Alex Alves nur zehn Minuten nach seiner Einwechslung wieder ausgewechselt wurde, verkündete der Stadionsprecher, dass der Brasilianer verletzt vom Platz müsse. Einige Zuschauer pfiffen trotzdem. Solchen Leuten kann vermutlich kein Trainer der Welt etwas recht machen, wenn er nicht mal einen verletzten Spieler auswechseln darf. In Berlin, so scheint es, gibt es sehr viele solcher Leute. Nach 40 Minuten – Hertha lag 0:1 zurück – fingen die Zuschauer an, Falko Götz zu feiern, den Interimstrainer aus der vergangenen Saison, der zwischen Jürgen Röber und Huub Stevens erfolgreich mit der Mannschaft gearbeitet hatte.

Es waren keine zaghaften Unmutsäußerungen einzelner Zuschauer. Die gesamte Ostkurve feierte Götz und schmähte Stevens. Vielleicht ist auch das ein spezifisch berlinisches Phänomen. In anderen Stadien regt sich die Unzufriedenheit zuerst auf den Haupttribünen, unter den Zuschauern, die Fußball vornehmlich als Unterhaltungsshow verstehen und für ihr Geld etwas geboten bekommen wollen. Die Fans in der Kurve hingegen beziehen einen Teil ihres Selbstverständnisses aus der Tatsache, dass sie gerade in schlechten Zeiten hinter ihrer Mannschaft stehen. Bei Hertha aber stehen die Erfolgsfans auch in der Kurve. Das macht die Situation nicht einfacher. „Die Pfiffe kommen schneller“, sagte Thorben Marx.

Gerade mal zwei Monate hat es gedauert, bis die schöne neue Euphorie bei Hertha schon wieder verflogen ist. Mit Huub Stevens, der als Trainer aus Schalke gekommen ist, verband sich die Hoffnung auf erfolgreicheren Fußball. Nach fünf Spielen fühlen sich die Fans bereits betrogen. Hertha ist im Moment alles, nur nicht erfolgreich. Thorben Marx, Herthas U-21-Nationalspieler, konnte die Fans daher sogar verstehen: „Das ist schon das zweite Mal, dass wir hier so eine Scheiße spielen.“ Michael Preetz hingegen fand die Reaktionen der Zuschauer „völlig ungerechtfertigt, völlig ärgerlich. Ich habe da kein Verständnis für.“

Stevens selbst sprach von Zusammenhalt, von „Unterstützung in guten und schlechten Zeiten. Die hat gefehlt.“ Doch Herthas Trainer meinte nicht die Fans im Stadion, sondern „die Spieler untereinander, füreinander, miteinander“. Über die Anfeindungen gegen seine Person sagte Stevens: „Ich hab’ das nicht gehört. Das hör’ ich nie. Da steh’ ich drüber.“ Huub Stevens ist für das aufgebrachte Publikum der erstbeste Buhmann. Doch Manager Hoeneß will nicht zulassen, dass sich die Mannschaft hinter dem Trainer verstecken kann. „Huub Stevens hat der Mannschaft nicht verboten, von Beginn an zu fighten“, sagte Hoeneß.

Das alles erinnert an das Ende der Ära Röber, an die Situation nach dem 2:3 gegen Cottbus im August 2001 oder das 0:4 beim HSV zwei Monate später. Niemand kann so recht erklären, warum nicht funktioniert, was eigentlich funktionieren müsste. „Wir spielen, spielen, spielen, und dann kommt nichts dabei heraus“, sagte Thorben Marx.

Für den Gladbacher Markus Münch ist Hertha immer noch „eine hervorragende Mannschaft“. Mag sein, doch sie hat es bisher nicht gezeigt. Genau das aber wird sie bald tun müssen, damit die Zeiten für die Spieler nicht noch ungemütlicher werden. Als erstes Zeichen der neuen Ernsthaftigkeit setzte der Manager am Tag nach dem Spiel die Prämien für den Gewinn des Ligacups aus. Und Hoeneß weiß, dass er am längeren Hebel sitzt. 14 Verträge laufen am Ende der Saison aus. „Dann werden wir sehen, wer hier im nächsten Jahr noch spielt.“

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