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Sport: Der ewige Hoffnungsträger Der Brite Tim Henman zieht ins Viertelfinale ein

London. Als Tim Henman im letzten Jahr in der zweiten Runde des Tennisturniers in Wimbledon die Kabine betrat, fiel ihm eine Seite auf, die an der Wand hing.

London. Als Tim Henman im letzten Jahr in der zweiten Runde des Tennisturniers in Wimbledon die Kabine betrat, fiel ihm eine Seite auf, die an der Wand hing. Es war eine jener englischen Zeitungen, die mit besonders großen Buchstaben zu Werke geht. Henman las: „Kein Druck, Timbo, aber wenn du jetzt patzt, werden wir dir nie vergeben."

Im Grunde ist es jedes Jahr das Gleiche. Kaum steht das zweiwöchige Turnier in Wimbledon an, legen die Briten ihrem besten Tennisspieler eine historische Last auf die Schultern. Seit 67 Jahren hat kein Brite mehr in Wimbledon gewonnen, weshalb Tim Henman das nun ändern soll. Neunmal hat Henman es bereits versucht, das wichtigste Tennisturnier der Welt zu gewinnen, viermal kam er ins Halbfinale, nie ins Finale. Gestern schlug er im Achtelfinale den Vorjahresfinalisten David Nalbandian aus Argentinien 6:2, 6:7 (4:7), 7:5, 6:3 und zog erneut ins Viertelfinale ein.

Bis jetzt musste Henman nicht gerade die bekanntesten Namen bezwingen, zwei Qualifikanten und ein Lucky Loser standen auf der anderen Seite des Netzes. Trotzdem hofft das ganze Land wieder auf den 28-Jährigen aus London. Der Hügel hinter dem Court Nummer eins, der eigentlich Aorangi Terrace heißt, wird seit einigen Jahren nur noch Henman Hill genannt. Weil dort die Fans mit jenen Tickets sitzen, die lediglich für die riesige Anlage gültig sind und auf einer riesigen Videowand die Spiele ihres ewigen Hoffnungsträgers lautstark beobachten.

Es ist keine einfache Beziehung zwischen Henman und den Briten. Vielen ist der Familienvater zu langweilig. Gerne hätten sie einen anderen, der die Schmach der siegerlosen Zeit beenden könnte. Greg Rusedski wäre einer, doch das Verhältnis der Engländer zu dem 29-Jährigen ist noch schwieriger. Der in Kanada geborene Rusedski hat sich 1995 einbürgern lassen, da er eine britische Mutter hat. Viele Engländer argwöhnen, dass er das nur tat, weil er mit dem neuen Pass bessere Vermarktungschancen sah. In diesem Jahr waren sie allerdings bereit, ihn als vollwertigen Briten zu akzeptieren – wenn er im Turnier weit gekommen wäre. Doch dann leistete er sich nicht nur eine Niederlage gegen Andy Roddick, sondern er fluchte dabei wie ein Londoner Pubbesitzer, wenn die Gäste nach der Sperrstunde nicht gehen wollen.

So ungehörig waren seine Ausdrücke, dass selbst die hartgesottenen englischen Boulevardzeitungen die Flüche nur mit Sternchen versehen wiedergaben. Es war eine Ausbürgerung in drei Sätzen. Kaum war das Spiel beendet, hielten die Briten Rusedski wieder für einen Kanadier. Nun versuchen sie, den Deutschen Alexander Popp zu umwerben, der ebenfalls eine britische Mutter hat. Popp besiegte am Montag den Belgier Olivier Rochus. Doch Popp sagt: „Ich schließe aus, dass ich für England Tennis spiele.“

So müssen die Briten nun doch wieder mit Tim Henman vorlieb nehmen. Allerdings ist der „Daily Mirror“ der Meinung, dass es Henman alleine wohl nicht schaffen wird. In seiner Montagsausgabe druckte die Zeitung eine Krawatte und eine Faust zum Ausschneiden ab, weil das dem Helden Glück bringen soll. Daneben prangt noch eine Anleitung: „Im Notfall nehmen Sie die Zeitung, halten sie in Richtung ihres Fernsehers und wiederholen Sie die Worte: Come on Tim.“ Wahrlich, die Not scheint groß zu sein im Staate Großbritannien.

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