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Sport: Der Fastvollendete

Für den Holländer van Nistelrooy ist diese WM die letzte Chance, in der Heimat unsterblich zu werden

So eine Fußball-WM fördert allerlei wertvolle Erkenntnisse zu Tage. Ruud van Nistelrooy zum Beispiel hat in der vergangenen Woche einen Einblick in seine Gewohnheiten der Körperpflege gewährt. Weil seine Kinnpartie nach dem Spiel gegen die Elfenbeinküste glänzte wie frisch geölt, war der Mittelstürmer der holländischen Nationalmannschaft von einem deutschen Radioreporter mit der bekannten deutschen Volksweisheit „Wer rasiert, verliert“ konfrontiert worden. „Ich rasiere mich immer“, berichtete van Nistelrooy. Und offensichtlich sieht er keine Veranlassung, an seinen Gepflogenheiten irgendetwas zu ändern.

Das ist durchaus bemerkenswert, weil Fußballer ja zu einer Art Aktionismus neigen, wenn sie keine Erklärungen mehr finden für Niederlagen oder Formschwäche. Ruud van Nistelrooy hat diesen Punkt noch nicht erreicht, obwohl die vergangenen Wochen nicht einfach gewesen sind für ihn. Aus Manchester ist er geflohen, weil er in der vergangenen Saison ungewohnt oft auf der Bank sitzen musste; und auch sein WM-Debüt war alles andere als verheißungsvoll verlaufen. Als van Nistelrooy beim 1:0 gegen Serbien-Montenegro nach 68 Minuten ausgewechselt wurde, hatte er nicht ein einziges Mal auf des Gegners Tor geschossen.

Rutgerus Johannes Martinus van Nistelrooy wird am 1. Juli 30 Jahre alt, und von den Wochen, die jetzt kommen, glaubt er, dass sie „die wichtigsten meiner Karriere“ sind. Der Holländer ist der vielleicht beste europäische Stürmer der vergangenen fünf Jahre, trotzdem nimmt er gerade zum ersten Mal an einer Weltmeisterschaft teil. 1998 war er zu jung, 2002 hatten sich die Niederlande nicht qualifiziert, und wer weiß, was in vier Jahren sein wird, wenn er knapp 34 ist? Realistisch betrachtet ist Deutschland 2006 seine letzte große Chance.

Van Nistelrooy spielt auch dagegen an, die Liste legendärer Fußballer fortzuschreiben, die in der Geschichte der Weltmeisterschaft gar nicht oder nur in den Fußnoten vorkommen. Alfredo di Stefano findet sich dort, der bei seiner einzigen WM, 1962 in Chile, nicht eine einzige Minute spielte, weil er sich mit Trainer Helenio Herrera überworfen hatte. Oder Günter Netzer, dessen gesamte Turniererfahrung sich auf einen Kurzeinsatz im trostlosen Spiel 1974 gegen die DDR reduziert. Kevin Keegan spielte 1982 mit 31 Jahren zum ersten Mal bei einer Endrunde, Eric Cantona nahm sogar nie an einer Weltmeisterschaft teil.

„Auf dieses Turnier habe ich lange hingearbeitet“, sagt van Nistelrooy, doch das Turnier weiß noch nicht so recht, ob es van Nistelrooy die gleiche Wertschätzung entgegenzubringen gedenkt. Gegen die Elfenbeinküste erzielte er seinen ersten WM-Treffer. „Ich war glücklich“, sagte van Nistelrooy. Andererseits wurde er im zweiten Spiel zum zweiten Mal ausgewechselt. Nach 71 Minuten, beim Stand von 2:1, holte Bondscoach Marco van Basten den Stürmer vom Feld, um das defensive Mittelfeld zu verstärken und den Vorsprung zu verteidigen.

Der Gedanke daran, verzichtbar zu sein, ist für Ruud van Nistelrooy kaum ertragbar. Vor drei Jahren war im Fernsehen deutlich zu hören, dass er nach seiner Auswechslung Trainer Dick Advocaat beschimpfte. „Feigling!“, rief er, dann trat er am Spielfeldrand gegen eine Trinkflasche. Van Nistelrooy ist ein Getriebener. Er besteht darauf, dass sein Nachname, entgegen der Eintragung in seinem Pass, mit –y und nicht –ij am Ende geschrieben wird, weil er das dynamischer findet, und auf dem Platz hält er fast jedes Mittel für zulässig, um zu gewinnen, Schwalben inklusive. In den Niederlanden hat ihm das zeitweise den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Matthäus“ eingebracht.

„Ruud ist unantastbar“, sagt Marco van Basten. Er wird auch heute gegen Argentinien wieder von Anfang an spielen. Arjen Robben, Linksaußen der holländischen Mannschaft, glaubt, dass es keinen besseren Strafraumstürmer gibt als van Nistelrooy. Mag sein, aber das holländische Spiel findet im Moment viel zu wenig im Strafraum des Gegners statt, als dass der Mittelstürmer seine Stärken einbringen könnte. Ruud van Nistelrooy ist der erste Leidtragende der eher defensiven Denkweise von Bondscoach van Basten. Gegen die Elfenbeinküste hatte er nicht einmal zwanzig Ballkontakte.

So wie es aussieht, könnte das Turnier, von dem Ruud van Nistelrooy immer geträumt hat, eine ernste Prüfung für ihn werden. Nach dem Sieg gegen die Elfenbeinküste hat er gesagt: „Wie wir verteidigt und gekämpft haben – das war auch schön anzusehen. Wir haben Charakter gezeigt.“ Das gilt im Moment vor allem für van Nistelrooy. Eine Trinkflasche ist nach seiner Auswechslung nicht geflogen.

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