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Sport: Der Frühling, der ein Herbst ist

Im Oktober zwang Hertha in Rostock das Glück – und steht ein halbes Jahr später noch stärker unter Druck

Berlin. Frühling? Ein bisschen. Über dem Trainingsplatz von Hertha BSC scheint die Sonne, die Fußballer legen schützend die flache Hand über die Augenbrauen, wenn sie sehen wollen, wohin der Ball gerade fliegt. Und doch hat es der Frühling schwer in diesen Tagen. Die gefühlte Jahreszeit bei Hertha BSC ist der Herbst.

Das liegt vor allem daran, dass Hansa heute zum Bundesligaspiel ins Olympiastadion kommt (Spielbeginn 15.30 Uhr). Erinnerungen werden wach an den Herbst des vergangenen Jahres, als die Berliner nach einem schlechten Saisonstart mit aller Macht die Wende herbeiführen wollten. Kein Sieg war Hertha bis dahin gelungen, die Mannschaft Tabellenletzter. Und doch hielt Manager Dieter Hoeneß fest an Trainer Huub Stevens. Einen Tag nach der 1:4-Niederlage gegen Bayer Leverkusen kam es zur berühmten „ultimativen Vereinbarung“. Zwei Siege aus den nächsten beiden Spielen, beide beim damaligen Drittletzten Hansa Rostock, musste Hertha holen, andernfalls würde Trainer Stevens seinen Job verlieren.

Die Mannschaft bestand den Test. Beide Spiele wurden knapp gewonnen, das im Pokal nach Elfmeterschießen. Es gab Verbrüderungsszenen und Freudentränen, aber besser wurde es nicht. Ein halbes Jahr später ist Hertha Vorletzter und Stevens längst entlassen.Wenn sein Nachfolger Hans Meyer dieser Tage über verunsicherte Spieler spricht, dann ist auch immer die Rede „vom Herbst“.

Ein halbes Jahr nach der missglückten Zäsur spielt Hertha BSC wieder gegen Hansa Rostock. Immer noch steht die Mannschaft unter Druck. Doch diesmal ist es kein künstlich aufgebauter, er ist ungewollt und stärker. Damals ging es um den Trainer, diesmal geht es um den Verein. Mit dem heutigen Spiel beginnt für die Berliner die letzte Etappe im Kampf gegen den Abstieg. Von nun an geht es gegen die Mitkonkurrenten im Abstiegskampf. Wolfsburg, Kaiserslautern, 1860 München, Köln, insgesamt noch acht Spiele. „Wir müssen das Katastrophenjahr hinter uns bringen“, sagt Dieter Hoeneß.

Dass diese Katastrophe überhaupt in Sichtweite kommen würde, hatte Hertha damals mit der ultimativen Vereinbarung verhindern wollen. Die Mannschaft sollte in die Pflicht genommen werden, dadurch stärker zusammenrücken und endlich den Fußball spielen, den sie vor der Saison versprochen hatte. Doch diese Strategie war genauso erfolglos wie Herthas Mannschaft in den folgenden Monaten. Kein Reizpunkt hat die dramatische Entwicklung in Berlin gestoppt. Die Vereinsführung wechselte zwei Mal den Trainer, kritisierte öffentlich die vermeintlichen Führungsspieler Fredi Bobic und Niko Kovac, sie trennte sich vom unzufriedenen Brasilianer Luizao, der in den beiden Herbst-Spielen gegen Hansa Rostock mit zwei Toren zwischenzeitlich noch den Job von Trainer Huub Stevens gerettet hatte. Keine dieser Maßnahmen hat Erfolg gebracht. Auf der anderen Seite ist Hansa Rostock, der Aufbaugegner vom vergangenen Herbst, den Berlinern längst enteilt. Auf Platz neun stehen die Rostocker in Sichtkontakt zu den Uefa-Cup-Plätzen.

Noch immer hoffen die Zuschauer auf die Wende. Im Olympiastadion werden heute 50 000 Zuschauer erwartet. Wenn es so etwas wie einen Lieblingsgegner der Berliner gibt, dann ist es Hansa Rostock. Elf Siege, zwei Unentschieden, nur eine Niederlage – so lautet Herthas Bilanz gegen Rostock seit dem Aufstieg in die Bundesliga vor sieben Jahren. Es ist die Hoffnung wie damals im Herbst.

In dieser Woche hat Manager Hoeneß erstmals in dieser Saison öffentlich von Fehlern gesprochen, „die ich gemacht habe“. Einer sei es gewesen, „die Mannschaft nicht daran zu hindern“, dass sie sich die Champions League zum Ziel gesetzt hatte. Und doch bleibt Hoeneß Überzeugungstäter genug, die ultimative Vereinbarung vom Herbst nicht anzusprechen. Es hätte ja gut gehen können, sagt er dann. Heute steht Hertha vor der Situation, dass „wir gewinnen müssen“, sagt Hoeneß. Das hat er vor einem halben Jahr genauso gefordert wie angekündigt, dass es in der Trainerfrage erst nach dem Spiel eine Entscheidung geben wird. „Wir werden in Kürze bekannt geben, ob Hans Meyer auch nächste Saison unser Trainer bleibt“, sagt Hoeneß. Vor dem Spiel gegen Rostock wolle er sich „nicht dazu äußern“.

Der Manager blinzelt, draußen auf dem Trainingsplatz scheint die Sonne, und über die Telefonanlage der Geschäftsstelle läuft seit ein paar Tagen folgendes Tonband: „Liebe Rostocker, wenn ihr glaubt zu wissen, was ein Sturm ist, nur weil ihr von der Küste kommt, habt ihr euch getäuscht.“ Denn: „Am Samstag stürmt die Hertha.“ Mitten im Frühling.

André Görke

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