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Festnahmen, Anklagen, neue Vorwürfe: Die Fifa gerät immer wieder unter Druck. Diesmal wird es ernst.

© AFP

Der Fußball-Weltverband unter Joseph Blatter: Was macht der Korruptionsskandal mit der Fifa?

Zwei Tage vor der Präsidentenwahl erlebt der Fußball-Weltverband einen seiner größten Korruptionskandale. Sieben Spitzenmanager wurden festgenommen, sieben weitere sind angeklagt. Fifa-Chef Joseph Blatter lässt sich nichts anmerken. Doch auch für ihn steht viel auf dem Spiel. Die wichtigsten Fragen und Antworten

Der Tag begann friedlich. Im Hotel Baur au Lac am Ufer des Zürichsees schliefen viele Funktionäre des Fußball-Weltverbandes Fifa noch, als gegen sechs Uhr früh ein Dutzend Männer die Lobby betrat. Es waren Zivilbeamte der Züricher Polizei, die an der Rezeption nach Zimmernummern fragten und treppauf gingen. Sie kamen zurück mit sieben Spitzenfunktionären aus Süd- und Mittelamerika, ohne Widerstand, ohne Handschellen, aber festgenommen im Auftrag der US-Justiz, die ihnen Betrug, Erpressung und Geldwäsche vorwirft. Einer durfte noch sein Gepäck mit Fifa-Logos mitnehmen und verschwand durch einen Seiteneingang in einem bereitstehenden Auto zum Verhör.
Die meisten Fifa-Mitglieder, die zum Wahlkongress gekommen waren, weckte die Meldung, dass sieben ihrer höchsten Funktionäre in Auslieferungshaft sitzen und das FBI gegen sieben weitere Verdächtige ermittelt. Und dann standen plötzlich auch noch Schweizer Bundesanwälte vor der Tür. Sie forderten am Hauptsitz der Fifa, hoch oben auf dem Zürichberg, die Herausgabe von Akten. Die einheimischen Behörden hatten parallel ein Strafverfahren gegen unbekannt eingeleitet, um die WM-Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022 auf Korruption zu untersuchen. Die Konten mehrerer Funktionäre wurden gesperrt. Und plötzlich ging die Angst um in Zürich. Wen könnte es noch erwischen? Etwa auch den Fifa-Präsidenten? Joseph Blatter hatte sich eigentlich auf eine friedlichen Woche gefreut, an deren Ende am Freitag seine eindeutige Wiederwahl stehen sollte. Nun schien alles anders zu kommen.

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Wer sind die Beschuldigten?

Diese Funktionäre sollen zu den Angeklagten zählen
Diese Funktionäre sollen zu den Angeklagten zählen

© Reuters

Die Staatsanwaltschaft in New York hat Anklage gegen 14 Personen erhoben. Unter den Beschuldigten sind zwei Fifa-Vizepräsidenten: Jeffrey Webb von den Kaimaninseln. Er ist zudem Präsident der Konföderation für Nord- und Mittelamerika (Concacaf). Außerdem Eugenio Figueredo aus Uruguay, ebenfalls ein Vize aus dem Fifa-Exekutivkomitee, der sogenannten Fußball-Weltregierung. Zudem wurde Eduardo Li aus Costa Rica verhaftet, er wurde gerade erst in das Exekutivkomitee gewählt. Insgesamt handelt es sich also um die erste und zweite Reihe der Fifa-Vertreter. Einige stehen Joseph Blatter sehr nahe. Neben Webb und Figueredo sind dies zum Beispiel der Präsident des venezolanischen Fußballverbands, Rafael Esquivel, der ehemalige Verbandschef Brasiliens, Jose Maria Marin, sowie der Verbandspräsident Nicaraguas, Julio Rocha. Bekanntester unter den mutmaßlichen Tätern ist Jack Warner. Der 72-Jährige aus Trinidad und Tobago war bereits in zahlreiche Skandale verstrickt. Bis 2011 war er Vizepräsident der Fifa und Webbs Vorgänger. Warner war ein enger Vertrauter Blatters, ebenso Webb. Nachdem die Fifa zunächst die Unschuldsvermutung betonte, suspendierte sie am Mittwochabend von den 14 Verdächtigten elf Fußballfunktionäre.

Wie lauten die Vorwürfe?

Festnahmen, Anklagen, neue Vorwürfe: Die Fifa gerät immer wieder unter Druck. Diesmal wird es ernst.
Festnahmen, Anklagen, neue Vorwürfe: Die Fifa gerät immer wieder unter Druck. Diesmal wird es ernst.

© AFP

Den Funktionären wird unter anderem Geldwäsche, Betrug und Bestechung vorgeworfen. Für all die Verhaftungen der Fifa-Offiziellen und die Hausdurchsuchung in der Fifa-Zentrale gibt es jedoch unterschiedliche Ermittlungsgrundlagen. Die Verhaftungen beruhen auf Erkenntnissen des FBI, das schon seit Jahren gegen Verdächtige der Verbände in Nord- und Südamerika vorgeht. Von 1991 bis heute sollen die Beschuldigten zum Beispiel lukrative Verträge der Verbände an sich selbst vergeben haben. Dabei handelt es sich um Medien- und Marketingrechte für WM-Qualifikationsspiele sowie regionale Turniere, unter anderem die CONCACAF-Champions-League sowie die Copa Libertadores, die Champions League Südamerikas. Außerdem geht es um Bestechungsgelder im Zusammenhang mit dem Ausstatter der brasilianischen Nationalmannschaft, dem US-Giganten Nike, sowie der Vergabe für die Weltmeisterschaft 2010 nach Südafrika und zusätzlich noch um die Fifa-Präsidentenwahl 2011, die Joseph Blatter per Akklamation gewann.

Welche Rolle spielen die Schweizer Behörden?

Die Nervosität ist ihm bei der ersten Pressekonferenz am Morgen anzusehen: Fifa-Medienchef Walter de Gregorio
Die Nervosität ist ihm bei der ersten Pressekonferenz am Morgen anzusehen: Fifa-Medienchef Walter de Gregorio

© dpa

Eine weitere Spur verfolgen Schweizer Ermittler. Die Bundesanwaltschaft hat ein Verfahren gegen unbekannt eröffnet, um zu untersuchen, ob es auch bei der Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 Unregelmäßigkeiten gab. Konkret vermuten die Schweizer Veruntreuung und Geldwäsche. Unterlagen, die mittlerweile in der Fifa-Zentrale sichergestellt wurden, dienen dem Schweizer Strafverfahren sowie ausländischen Untersuchungen. Auch diese Aktion war mit den USA abgestimmt.
Die Schweizer Kriminalpolizei will nun zehn Personen als Zeugen befragen, die als Mitglieder des Exekutivkomitees 2010 an der umstrittenen Doppelvergabe der Weltmeisterschaften 2018 an Russland und 2022 an Katar beteiligt waren. Wer dies ist, wurde nicht bekannt gegeben. Allerdings wurde mitgeteilt, dass das Verfahren bereits am 10. März eröffnet wurde und die Fifa als Geschädigter auftritt.
Die Vergabe der Fußballweltmeisterschaftsturniere an Russland und Katar war 2010 die erste und einzige Doppelvergabe in der Geschichte der Fifa. Beide Ausrichter hatten zuvor die schlechtesten Bewertungen bekommen, zum Beispiel wegen des Klimas und der instabilen politischen Situation in den Nachbarländern. Außerdem wurden Korruptionsvorwürfe laut, nachdem sich britische Journalisten als Vertreter der US-Bewerbung für 2022 ausgaben und zwei Mitglieder des Exekutivkomitees einwilligten, für die USA zu stimmen, wenn sie dafür hohe Geldsummen bekämen. Auch soll der ehemalige katarische Fußball-Funktionär Mohamed bin Hammam fünf Millionen US-Dollar an Fifa-Vertreter gezahlt haben – und gemeinsam mit Jack Warner auf Stimmenfang gegangen sein. Daraufhin setzte die Fifa eine Ermittlungsgruppe unter dem US-Amerikaner Michael Garcia ein. Doch Verhaftungen resultierten daraus bisher nicht.

Welche anderen Skandale sind bereits bekannt?

Ein Blick auf den Haupteingang des Nobelhotels Baur au Lac, aus dem die festgenommenen Funktionäre am Mittwochmorgen abgeführt wurden.
Ein Blick auf den Haupteingang des Nobelhotels Baur au Lac, aus dem die festgenommenen Funktionäre am Mittwochmorgen abgeführt wurden.

© Dominik Bardow

Die Liste der Fifa-Skandale unter Joseph Blatter ist lang. Im Prinzip fing es schon mit seiner ersten Wahl zum Fifa-Präsidenten an. Im Jahr 1998 gewann er als Außenseiter überraschend gegen den favorisierten Schweden Lennart Johansson. Bis heute halten sich Gerüchte, das damals Briefumschläge voller Bestechungsgeld in letzter Minute das Votum maßgeblich gekippt hätten. Immer wieder gab es in Blatters Amtszeit Suspendierungen von korrupten Fifa-Mitgliedern – allerdings meist erst, nachdem sie sich gegen den Präsidenten gestellt hatten. Der größte Skandal war bisher der Schmiergeldprozess um die ISL (International Sport and Leisure). Die Vermarktungsagentur hatte im großen Stil Funktionäre bestochen, um Verträge mit dem Weltverband abzuschließen. Nach dem Zusammenbruch der ISL kamen Dokumente an die Öffentlichkeit und vor Gericht. Gegen eine Zahlung von 5,5 Millionen Franken wurde das Verfahren 2010 eingestellt. Blatter musste zugeben, von den Schmiergeldern gewusst zu haben. Diese seien damals jedoch noch nicht strafbar gewesen. Die Korruptionsvorwürfe um die WM-Vergaben nach Russland 2018 und Katar 2022 nahm Blatter zum Anlass, sich als Reformer zu geben. Er setzte hauseigene Ermittler und eine Ethik-Kommission ein. Doch geändert hat sich seitdem wenig. Blatter benutzte die neuen Instrumente sogar, um Gegenkandidaten wie den Katarer Mohamed bin Hammam auszuschalten. Hammam wurde 2012 vom Internationalen Sportgerichtshof von Korruptionsvorwürfen freigesprochen, von der Fifa jedoch trotzdem lebenslang gesperrt. Danach trat er von allen Ämtern zurück.

Wo ist Blatter?

Macht weiter als wäre nichts gewesen: Fifa-Präsident Joseph Blatter
Macht weiter als wäre nichts gewesen: Fifa-Präsident Joseph Blatter

© AFP

Nur fünf Stunden nach der Festnahme der Funktionäre setzte die Fifa eine Pressekonferenz an. Joseph Blatter erschien dort nicht, auch nicht wie angekündigt bei der Sitzung der afrikanischen Verbände. Blatter musste in den Zentrale des Weltverbandes sitzen bleiben und bei Rückfragen den Beamten zur Verfügung stehen, verriet ein afrikanischer Sprecher. Dafür saß Walter de Gregorio vor einer Hundertschaft Reportern auf dem Podium. Der Fifa-Sprecher war auf der Pressekonferenz sichtlich nervös, zögerte vor Antworten lange, viele hatte er ohnehin nicht. Dafür wiederholte er die immer gleichen Botschaften:
„Die Fifa ist hier die Geschädigte.“
„Blatter ist nicht involviert.“
„Das ist ein guter Tag für die Fifa.“
Der Sprecher verwies darauf, dass der Weltverband selbst im vergangenen November die Schweizer Behörden eingeschaltet habe, um bei der Aufklärung zu helfen. Alles weitere sei ein laufender Prozess, keiner der Vorwürfe sei bisher bewiesen und daher könne in den kommenden Tagen alles weitergehen wie geplant. Das heißt, dass der Kongress und die Präsidentenwahl am Freitag wie geplant durchgeführt werden sollen. Auch wenn mehrere stimmberechtigte Mitglieder nicht mitwählen können, da sie ja nun einmal im Gefängnis sitzen. Auch bei den WM-Turnieren in Russland und Katar solle es bleiben.
Am Abend meldete sich Blatter dann mit einer Mitteilung zu Wort. Es sei „eine schwierige Zeit für Fußball, Fans und Fifa“, aber er begrüßte die Ermittlungen der US-amerikanischen und Schweizer Behörden, sie seien sogar im Sinne seiner Reformpolitik.  „Solch ein Fehlverhalten hat keinen Platz im Fußball und wir stellen sicher, dass die Schuldigen aus dem Spiel genommen werden.“ Überhaupt bemühten sich alle Fifa-Mitarbeiter, Blatter möglichst weit von den Beschuldigten zu distanzieren, obwohl es teils alte Vertraute sind.
Ein ausführliches Blatter-Porträt - zu Besuch in seiner alten Heimat - finden sie hier

Wer profitiert von dem Skandal?

Prinz Ali bin al-Hussein ist der einzige Herausforderer von Sepp Blatter bei der Wahl zum Fifa-Präsidenten.
Prinz Ali bin al-Hussein ist der einzige Herausforderer von Sepp Blatter bei der Wahl zum Fifa-Präsidenten.

© dpa

Zuerst natürlich Prinz Ali bin al-Hussein, obwohl der Jordanier in einem ersten Statement verkündete: „Das ist ein trauriger Tag für den Fußball.“ Aber der 39-Jährige ist der einzige Herausforderer Blatters bei der Wahl für den Präsidenten. Und er könnte nun natürlich von dem neuen Skandal profitieren, wenn sich die Blatter-Unterstützer distanzieren oder Ermittlungen gegen sich selbst fürchten – schließlich gibt es auch zahlreiche Vorwürfe gegen Verbände in Afrika und Asien. Beide Konföderationen hatten sich eigentlich deutlich für Blatter ausgesprochen. „Das könnte das Wahlverhalten noch einmal ändern“, sagte der Generalsekretär eines afrikanischen Verbandes. Prinz Ali bin al-Hussein nutzte die Gelegenheit gestern, um sich als Erneuerer darzustellen. „Wir können nicht so weitermachen mit der Fifa-Krise, einer Krise, die immer weitergeht“, hieß es in einer Pressemitteilung. „Die Fifa braucht eine Führung, die die Nationalverbände schützt. Eine Führung, die die Verantwortung für ihre Taten annimmt und die Anschuldigungen nicht weitergibt.“

Auch die Uefa sprang al-Hussein bei. Die europäische Dachverband teilte mit, er sei „geschockt und betrübt“ über die Enthüllungen und forderte am Abend sogar die Wahl zu verschieben. Deutliche Worte fand auch der Präsident des Deutschen Fußball-Verbands (DFB), Wolfgang Niersbach, der ab Freitag neu im Exekutivkomitee der Fifa sitzen wird. „Es ist schockierend und schädlich für den gesamten Fußball. Es wäre erschütternd, wenn sich die im Raum stehenden, schweren Vorwürfe gegen Mitglieder der Fifa als richtig herausstellen.“

Was kann noch kommen?

Festnahmen, Anklagen, neue Vorwürfe: Die Fifa gerät immer wieder unter Druck. Diesmal wird es ernst.
Festnahmen, Anklagen, neue Vorwürfe: Die Fifa gerät immer wieder unter Druck. Diesmal wird es ernst.

© AFP

Die Ermittlungen gegen bisher 14 Personen, neun davon Fifa-Mitglieder, seien noch nicht das Ende, heißt es. Das FBI habe zahlreiche Daten gesammelt und könnte noch weitere Funktionäre ins Visier nehmen. Joseph Blatter fürchtet offenbar nicht, dass auch gegen ihn ein Haftbefehl ergehen könnte. Der Präsident wolle zum WM-Finale der Fußballerinnen im Juli nach Kanada und im kommenden Jahr in die Vereinigten Staaten reisen, sagte Fifa-Sprecher de Gregorio. Die Ermittler hätten zum jetzigen Zeitpunkt zugeschlagen, da alle Verdächtigen zeitgleich an einem Ort auffindbar gewesen seien. Und weil die Aufmerksamkeit am höchsten ist. Zur Fifa-Wahl sind derzeit die Medien aus aller Welt versammelt. Der Zeitpunkt war in der Tat perfekt gewählt - und lange geplant. Auch die New York Times muss schon seit einiger Zeit davon gewusst haben. Reporter der Zeitung waren vor Ort, als die Fifa-Exekutivmitglieder im Baur au Lac verhaftet wurden, und veröffentlichten kurz danach einen ausführlichen Artikel über den Skandal. Zudem wusste der Fotograf, der die Bilder der Verhaftung machte, schon seit zwei Tagen von dem Termin.  Bis zu Ergebnissen der Untersuchungen und Urteilen könnte es jedoch noch lange dauern. Die Schweizer Bundesanwälte wollen noch zehn Personen befragen, die über die WM-Vergaben an Russland und Katar mit entschieden haben. Die Fifa wiederum will den Report des ehemaligen hauseigenen Fahnders Michael Garcia, der den Schweizer Behörden vorliegt, erst veröffentlichen, wenn alle Ermittlungen beendet sind. Doch weitere Enthüllungen drohen über die kommenden Wochen und Monate.

Welche Rolle spielen die Amerikaner?

US-Justizministerin Loretta Lynch äußert sich zu den Festnahmen in der Schweiz die auf Antrag von US-Behörden vorgenommen wurden.
US-Justizministerin Loretta Lynch äußert sich zu den Festnahmen in der Schweiz die auf Antrag von US-Behörden vorgenommen wurden.

© dpa

Am frühen Mittwochmorgen ging es vor dem vierstöckigen Bürogebäude an der Ecke Mission Avenue und 5th Street ziemlich belebt zu. Polizisten versammelten sich in der Garageneinfahrt, andere verschwanden im Gebäude. Hier am südlichen Zipfel der Miami vorgelagerten schmalen Insel hat die Zentrale der Confederation of North, Central America and Caribbean Association Football (CONCAFAF) ihren Sitz.

Ein lokaler Sender war rechtzeitig an Ort und Stelle, die Bilder waren dann in jeder Nachrichtensendung zu sehen: Die Frau, die mit der dunkelblauen Jacke und den gelben Buchstaben „FBI“ vor die Kamera tritt. Der Mann, auf dessen Shirt „IRS“ (US-Steuerbehörde) steht und mit noch gefalteten Umzugskartons unter dem Arm das Haus betritt. Im dritten Stock der CONCAFAF werden derweil die Kartons mit allem gefüllt, was weitere Beweise für die Korruption der Fifa bringen könnte. Dass es jetzt die Amerikaner sind, die die Anklagen vorlegen und die Verhaftungen beantragen, erklärt sich mit CONCACAF. Mit dem FIFA-Ableger für Nord und Mittelamerika und die Karibik, ist die ganze Ermittlung überhaupt erst in Gang gekommen. Im Jahr 2011 bekamen US-Ermittler einen ersten Hinweis auf den Fall, der sich nun zur möglicherweise größten internationale Korruptionsaffäre in der Fußballgeschichte entfalten könnte. Einen Wendepunkt nennt den Tag das „Wall Street Journal“. Die Zeitung hat offenbar früh Einblick in die Akten der Ankläger bekommen und schon in ihrer Mittwochsausgabe von der bevorstehenden Durchsuchung berichtet. Vor rund vier Jahren hat demnach Charles Blazer, von 1990 bis 2011 Generalsekretär der CONCACAF, begonnen, mit den Ermittlern zusammenzuarbeiten. In seiner Funktionärszeit hatte er Millionen für seinen eigenen luxuriösen Lebensstil abgezweigt und die Umsätze von CONCACAF nicht versteuert. Das FBI setzte ihn mit einer Steuerklage unter Druck und Blazer erklärte sich bereit, heimlich Gespräche mitzuschneiden und auf andere Weise Informationen zur Verfügung zu stellen. Dass sie die Ermittlungen an sich gezogen haben, erklären das US-Justizministerium und das FBI mit dem Tatortprinzip: Der Betrug habe auf US-Boden stattgefunden, sei über amerikanische Banken abgewickelt worden und betreffe CONCACAF-Turniere betrifft. Außerdem gehe es um Milliarden, die auf dem wohl größten Fernsehmarkt der Welt umgesetzt wurden. Amerikaner ist auch der Ermittler, den die Fifa selbst für eine interne Untersuchung eingesetzt hatte, der später aber frustriert sein Amt niedergelegt hatte: Michael Garcia ist ein früherer Staatsanwalt im Southern District in New York. Sein Vorgänger war James Comey, der am Mittwoch als FBI-Chef an der Seite von US-Justizministerin Loretta Lynch vor die Presse trat.

Lynch machte deutlich, dass die USA nun Auslieferungsanträge stellen werde. Einen Prozess anzusetzen, sei zu früh. Allerdings gibt es ja auch Beschuldigte in den USA. Deren Prozesse würden nun anstehen.

Was geschieht nun mit den Beschuldigten?

Diese Funktionäre sollen zu den Angeklagten zählen
Diese Funktionäre sollen zu den Angeklagten zählen

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Die angeklagten Funktionäre sitzen noch in Schweizer Gefängnissen. Der Weg in die Haft in den Vereinigten Staaten dürfte ein langer werden. Zwar haben die beiden Länder ein Auslieferungsabkommen. Und das Schweizer Bundesamt für Justiz erklärte gestern, dass es ein vereinfachtes Verfahren durchführen wolle, sobald sich die gesuchte Person bei der Anhörung mit der sofortigen Auslieferung einverstanden erkläre.  Die Justiz könne dann unverzüglich die Auslieferung an die USA bewilligen und den Vollzug veranlassen. Nach Angaben der Schweizer Justiz ist dazu bisher nur ein Funktionär bereit. Ohne Einwilligung müssen die USA einen formellen Auslieferungsantrag stellen. Der Experte für Sportrecht an der Universität New Hampshire, Michael McCann, schaltete sich in die in den USA lebhaft geführte Debatte per Twitter ein: Es ist unwahrscheinlich, dass die Fifa-Chefs irgendwann bald in einem amerikanischen Gerichtssaal erscheinen werden. Auslieferungen sind kompliziert und können Jahre dauern, manchmal viele Jahre.

Wie ist WM-Land Russland betroffen?

Die Vergabe der WM 2018 in Russland war hoch umstritten.
Die Vergabe der WM 2018 in Russland war hoch umstritten.

© dpa

Es war wohl Zufall. Aber kurz bevor bekannt wurde, dass zur Vergabe der WM 2018 in Russland ermittelt wird, hatte der russische Rechnungshof Unregelmäßigkeiten bei der Vorbereitung in einem Prüfbericht gerügt. Eine Kopie des Berichtes ging neben Parlament und Regierung auch an die Generalstaatsanwaltschaft. Beziffert wird der mögliche Gesamtschaden auf bis zu 700 Milliarden Rubel – rund 11,8 Milliarden Euro. Die Mängelliste der Rechnungsprüfer ist lang: Ein Teil der Arenen werde nach veralteten Plänen gebaut, heißt es. Für einige Aufträge habe die dem Sportministerium unterstellte „Hauptverwaltung für Organisation von Sportveranstaltungen“ nicht einmal Angebote von Bewerbern eingeholt. In mindestens vier Fällen gehen die Prüfer davon aus, dass potenzielle Auftragnehmer sich millionenschwere Verträge dadurch ergatterten, dass sie bei Ausschreibungen gefälschte Unterlagen einreichten. Die WM-Pläne, heißt es wörtlich in dem Report, der inzwischen auch auf der Website des Rechnungshofes steht, müssten überarbeitet und in Teilen sogar revidiert werden. Bei 43 Prozent der insgesamt 124 WM-Objekten müssten „Auftragnehmer und Finanzierungsbedarf aktualisiert“ werden.

Allerdings ist der tatsächliche Schaden womöglich sogar noch größer, denn der Bericht untersucht nur das Jahr 2014.

Finanzielle Entlastung könnte eine Vorlage zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes bringen. Sie liegt der Duma bereits vor und soll den Einsatz von Häftlingen auf WM-Baustellen ermöglicht. Derzeit dürfen sie nur in Werkstätten von Vollzugseinrichtungen arbeiten. Alexei Hinstein, Mandatsträger der Kreml-Partei „Einiges Russland“ und bekannt für exzentrische Initiativen, vermeidet im Text zwar jeden direkten Bezug auf die WM. Doch die Formulierung „Einsatz bei Unternehmen aller Organisations- und Eigentumsformen“ interpretieren die Regionen bereits als Blanko-Scheck für die Beschaffung billiger Arbeitskräfte. Auch die Vollzugsbehörde steht dem Vorhaben aufgeschlossen gegenüber. Deren Vizechef Alexander Rudy sagte in einem Interview, gerne werde man Häftlinge „für Aufgaben zur Verfügung stellen, denen gewöhnliche Bürger nicht viel abgewinnen können“. Der Einsatz solle jedoch freiwillig sein. Die Moskauer Stadtregierung hat auf die Mitwirkung von Häftlingen bei den WM-Bauten aber verzichtet. Es gehe um sehr komplexe und teilweise hochkomplizierte Vorhaben, der Nutzen von Ungelernten sei daher begrenzt.

Wer braucht die Fifa noch?

Festnahmen, Anklagen, neue Vorwürfe: Die Fifa gerät immer wieder unter Druck. Diesmal wird es ernst.
Festnahmen, Anklagen, neue Vorwürfe: Die Fifa gerät immer wieder unter Druck. Diesmal wird es ernst.

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Ein einzelner offizieller Weltverband ist in den meisten Sportarten sehr wichtig, um einheitliche Regeln, Wettbewerbe und vergleichbare Leistungen zu garantieren. Doch jeder Nationalverband ist freiwillig Mitglied und kann jederzeit austreten. Die größten europäischen Verbände könnten also theoretisch einen alternativen Verband gründen und mit Gastmannschaften eine eigene WM austragen. Doch bisher hatte niemand ein echtes Interesse daran. Denn die Fifa hat alle ihre 209 Mitgliedsländer bestens mitverdienen lassen, auch wenn immer wieder Geld durch Korruption versickerte. Zudem kämen teure Rechtsstreits um Marken wie die Fußball-WM auf einen neuen Verband zu. Es erscheint realistischer, dass die Blatter-Kritiker im Weltverband weiter auf Reformen drängen, sollte sich der Schweizer wie erwartet am Freitag durchsetzen. Und doch könnten sie noch mit dem großen Bruch drohen. Am Tag nach der Wahl sollen, Stand jetzt, weiterhin die Startplätze bei den WM-Turnieren 2018 und 2022 neu verteilt werden. Darf Europa künftig nicht mehr mit 13 Teams teilnehmen, wird die Uefa protestieren. Der finanzstarke europäische Verband würde seine Muskeln spielen lassen, selbst wenn es nur bei einer Austrittsdrohung bleibt. Doch es erscheint fraglich, ob Blatter das Risiko eingehen wird, Europa zugunsten seiner Wähler aus Afrika und Asien zu benachteiligen.

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