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Sport: Der ganz große Wurf

Christina Obergföll hat in Helsinki alle überrascht

Christina Obergföll könnte sich vorkommen wie eine glückliche Wissenschaftlerin. Das ganze Jahr über steht sie, im übertragenen Sinne, im Labor, forscht engagiert, und gerade als sie ihre Ergebnisse einem großen Publikum präsentieren soll, passiert es: Sie macht eine großartige Entdeckung. Was die 23 Jahre alte Offenburgerin in ihrem Selbstversuch bei der Weltmeisterschaft in Helsinki herausgefunden hat, ist das Gefühl dafür, einen Speer mehr als 70 Meter weit durch die Luft zu schleudern. Auf der Welt gibt es nur eine, die auch hinter dieses Geheimnis gekommen ist, die Kubanerin Osleidys Menendez. Sie hatte Obergföll diese Fähigkeit am Sonntagabend kurz vorher noch demonstriert und mit 71,70 Metern einen Weltrekord aufgestellt. Dann kam Obergföll an die Reihe.

Für ihre Leistung von 70,03 Metern, den viertweitesten Wurf seit der Einführung des neuen Speers 1999, bekam Obergföll von allen Seiten ein „summa cum laude“ ausgesprochen und dazu noch die Silbermedaille. Weil die Leichtathletik eine exakte Wissenschaft ist, musste Obergföll ihren Wurf schon erklären, dazu war er einfach zu außergewöhnlich. Die Pädagogikstudentin (Sport, Anglistik) hatte ihre Bestmarke um 5,44 Meter übertroffen und zudem nicht bloß den deutschen, sondern auch noch den Europarekord verbessert.

Obergföll sprach gleich über zwei Kategorien des Speerwerfens: Technik und Thermik. „Ich hatte leichten Rückenwind, aber es lag auf jeden Fall an mir. Er ist mir gut aus der Hand gegangen. Vielleicht kann ich sogar noch weiter werfen.“ Ihr Trainer Werner Daniels sagte sogar: „Die Leistung kam nicht aus dem Himmel, aber auch nicht von Doping.“

Die Umstände waren gleichwohl so günstig wie selten, weshalb sich gleich mehrere Teilnehmerinnen dieses Finales selbst übertrafen. Der Himmel, in den sie ihre Speere schleuderten, war blau, nicht so dunkel wie an den vorangegangenen Tagen. Und sie wurden angefeuert von einem Publikum, das so viel versteht vom Speerwerfen wie sonst kaum eins auf der Welt. „Finnland the Javelin Country“, Finnland, das Speerwurfland, stand auf einem selbstgemalten Transparent.

Am Sonntag jedoch waren es eine Kubanerin und eine Deutsche, die ein Stück zur Geschichte des Speerwerfens beitrugen. Von Menendez war dies erwartet worden, Obergföll hatte bei der Kubanerin sogar mit einem Ergebnis von mehr als 72 Metern gerechnet. Die große Überraschung war ihr eigener großer Wurf. Dazu ist Obergföll wohl auch gekommen, weil sie anderes trainiert als ihre Konkurrentinnen. Das liegt schon an ihrem Trainer Werner Daniels. Der war früher Weitspringer und kümmert sich auch heute vor allem um Läufer und Springer. Obergföll fährt von Offenburg zu ihm nach Freiburg, wo sie außerdem noch studiert. Sie ist Daniels’ erste Speerwerferin.

Was Daniels in dieser Disziplin zu beachten hat, das hat er bei Kollegen erfragt und nachgelesen. Eines ist ihm dabei aufgefallen: Je mehr jemand im Training wirft, umso häufiger verletzt er sich. Obergföll wirft daher pro Woche nur 170-mal, während es andere auf 700 bis 800 Versuche bringen. Dafür hat sie eine ungeheure Wucht in ihren Würfen. „Ich frage mich, warum ihr nichts weh tut. Es sieht zum Zerreißen aus, wenn sie wirft“, sagte Steffi Nerius, die Bronze gewann. Die Experten halten jedenfalls eine Menge von Obergföll. Anfang August hatte sich Daniels mit dem Trainer von Menendez unterhalten. Der sagte ihm: In zwei Jahren werden Mendendez und Obergföll gemeinsam an der Spitze stehen. Aus den zwei Jahren sind zwei Wochen geworden.

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