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Sport: Der ganze Stolz

Die irakischen Fußballer lenken ihre Landsleute ein wenig von ihren Sorgen ab

Es ist schwer zu sagen, worauf Adnan Hamd Maajid im Moment stolzer ist. Es gibt so vieles. Dass er mit seiner Fußball-Mannschaft auf Medaillenkurs liegt und sie vielleicht alle am Montag in einer Woche als Volkshelden nach Bagdad fliegen können. Erst einmal zuvor hatte der Irak eine Medaille gewonnen, der Gewichtheber Abdul Aziz hatte 1960 in Rom Bronze geholt. Oder sind es die Glücksgefühle, die Trainer Adnan und seine Fußballer ihren kriegsgeplagten Landsleuten übermitteln, wenn sie nun als Sieger ihrer Gruppe vor dem Turnierfavoriten Portugal stehen? Dass man nicht nur im Fußball eine Chance hat, wenn man nur richtig will und nie aufgibt.

Adnan hat nicht einmal aufgegeben, als die Bomben fielen. Er telefonierte die Mannschaft zusammen zum Training, täglich pendelte er die 100 Kilometer zwischen der Provinzstadt Sammara, wohin er seine Familie in Sicherheit gebracht hatte, und Bagdad hin und her. Als die GIs das Sha’ab-Stadion als Garage für ihre Panzer beschlagnahmten, fand er andere Plätze zum Trainieren, „was oft lebensgefährlich war, weil fast überall in Bagdad geschossen wurde“.

Solche Erlebnisse schweißen zusammen. Nach dem offiziellen Kriegsende mussten die Fußballer erst recht zusammenrücken. Weil das Nationalstadion unbrauchbar geworden war, wurden alle Qualifikationsspiele auswärts angesetzt, die Heimpartien auf neutralem Terrain. Die Olympia-Vorbereitung geriet zu einer Tournee über mehrere Kontinente: Deutschland, England, Australien, Japan, Südkorea, Thailand, diverse Golfstaaten und zum Abschluss die Asien-Meisterschaft in China, wo die Auswahl einen hervorragenden Eindruck hinterließ und bis ins Viertelfinale kam.

Dieses Leben im Exil verlangt Disziplin und Demut, aber auch Mannschaftsgeist und Nationalstolz – lauter Tugenden, die beim 4:2-Sieg gegen Portugals erfolgsverwöhnte Auswahl um den EM- Helden Ronaldinho den Unterschied ausgemacht haben. Man spürt, dass das Team Irak von anderen Kräften zusammengehalten wird als die übrigen Mannschaften. Wie lange aber trägt die irakische Solidargemeinschaft? Ihre Konkurrenten könnten bald aus einer ganz anderen Welt kommen; die Argentinier Kiki Gonzales, Ayala, Saviola oder Tevez sind genauso Multimillionäre wie die meisten der italienischen Serie-A-Profis. Die werden nicht vom Sozialfonds der Fifa subventioniert oder müssen dankbar sein, wenn irgendein Verband ein paar Wochen Hotel- und Trainingslager spendiert.

Es werde schwer werden, die Mannschaft noch lange zusammenzuhalten, glaubt Bernd Stange, der ehemalige Nationaltrainer, der bis vor acht Wochen noch Adnans Vorgesetzter war. Zwei Spieler haben gerade erst bei einem Klub in Kairo unterschrieben, andere haben Angebote aus Profi-Ligen in Jordanien und Syrien oder spielen bereits in Katar. Und um Hajdar Jabah, den Abwehrchef, bemüht sich angeblich ein deutscher Zweitligist. Die olympischen Auftritte sollen als berufliches Sprungbrett in eine sichere und komfortablere Welt dienen. Andererseits spüren die Iraker dieser Tage stärker denn je ihre Wurzeln. Tausende Exil-Iraker, die einst vor Saddam Husseins Regime geflohen sind, ziehen ihren Landsleuten hinterher durch die griechischen Stadien. Adnans Leute haben endlich wieder Heimspiele.

„Meine Spieler haben unser Volk stolz gemacht“, sagt Adnan. 20 der 25 Millionen Iraker säßen zu Hause bei ihren Spielen vor dem Fernseher. Das seien glückliche Stunden, in denen nicht geschossen werde. Am Dienstag haben alle Spieler der Nationalmannschaft einschließlich des Trainerstabs eine Petition an die irakische Übergangsregierung in Bagdad und das Hauptkommando der amerikanischen Streitkräfte geschickt, doch bis zum Ende der Spiele „die alten olympischen Regeln zu beachten und kriegerische Handlungen auszusetzen“. Auf diese E-Mail ist Adnan besonders stolz.

Martin Hägele[Athen]

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