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Sport: Der Gast, der den Willen mitbrachte

Wolfgang Sidka will den Fußball in Katar weiterentwickeln – keine leichte Aufgabe

Lutz Herdener kann sehr zufrieden mit sich sein. „Trainer!“, ruft ihm einer der Ersatzspieler durch den Mannschaftsbus zu. „Wie war das Aufwärmen?“ Herdener lacht. Der 25-Jährige ist Kotrainer beim katarischen Fußball-Erstligisten Al Gharafa, und vor einer Woche hat er seinem Chef berichtet, dass einer der Ersatzspieler dem Auftrag zum Warmmachen nur sehr sporadisch nachgekommen ist. Herdeners Chef heißt Wolfgang Sidka, und Sidka hat die Nachlässigkeit seines Ersatzspielers mit dem sofortigen Ausschluss aus dem Kader bestraft. Obwohl ihm fünf Leute für das Spitzenspiel gegen Umm Salal fehlen, hat er lieber zwei Spieler aus dem Nachwuchsteam nominiert, als den Übeltäter in Gnade wieder aufzunehmen. „Der hat das jetzt gelernt“, sagt Wolfgang Sidka.

Ja, es gibt das Klischee, dass deutsche Trainer großen Wert auf Ordnung und Disziplin legen. Und ja, es stimmt, dieses Klischee. „Man darf sich nicht von seiner Linie abbringen lassen“, sagt Sidka, „auch wenn es hier nicht immer einfach ist.“ Seit dem 1. Dezember arbeitet der 52-Jährige wieder in Doha, und es ist nicht so, dass er nicht gewusst hätte, was ihn in Katar erwartet.

„Er kennt den Fußball in der Region sehr gut“, sagt Hassan Hormathullah, der Trainer des Ligakonkurrenten Umm Salal. Im Oktober 2000 ist Sidka zum ersten Mal an den Golf gekommen. Eigentlich hat er sich damals nur aus Höflichkeit überhaupt zu Verhandlungen überreden lassen, doch dann ist er fünf Jahre geblieben. Sidka hat Al Arabi trainiert, einen der Klubs aus der katarischen Hauptstadt, davor und danach war er Nationaltrainer von Bahrain. Kurz vor den entscheidenden Qualifikationsspielen für die Weltmeisterschaft in Deutschland wurde er entlassen – telefonisch. Trotzdem: Fünf Jahre bis zum ersten Rauswurf, „wahrscheinlich halte ich damit den arabischen Rekord“, sagt Sidka.

Ende November kam dann wieder ein Anruf aus Katar, zwei Tage später saß Sidka im Flugzeug. Seitdem ist er nicht mehr in Deutschland gewesen. Bis zum Ende der Saison läuft sein Vertrag. Erst einmal. Sidka wohnt jetzt seit sechs Wochen in einem der vielen Luxushotels von Doha, genauso wie seine beiden deutschen Kotrainer Edmund Stöhr, der zwischen 1980 und 1985 für Hertha BSC gespielt hat, und Lutz Herdener. Der 25-Jährige hat gerade erst sein Studium an der Sporthochschule in Köln beendet. Sidka war es wichtig, jemanden an seiner Seite zu haben, der mit dem neuesten Stand der Wissenschaft vertraut ist.

Seitdem der Deutsche mit seinem Team Al Gharafa trainiert, hat die Mannschaft nicht mehr verloren. „Er hat seine Mannschaft in kurzer Zeit nach vorne gebracht“, sagt Hassan Hormathullah. In Deutschland hat man nicht einmal registriert, dass Sidka überhaupt wieder in Katar arbeitet. Seinem Heimatland ist er ein bisschen verloren gegangen, seitdem er 1998 bei Werder Bremen entlassen wurde. Sidkas letzter Verein in Deutschland war der MSV Neuruppin, ein Viertligist. Er wollte dem Vereinsvorsitzenden, einem Bekannten, einen Gefallen tun und ist im vergangenen Frühjahr für die letzten beiden Monate der Saison als Trainer eingesprungen. Die Frage ist, ob Wolfgang Sidka sich selbst damit einen Gefallen getan hat.

Image ist alles im Fußballgeschäft, und Sidka weiß, dass ein Engagement am Golf seinem Image in Deutschland und vor allem seinem Marktwert nicht förderlich ist. Es sieht aus wie ein öffentliches Eingeständnis, dass man in der Heimat nicht mehr gefragt ist. „Es heißt dann: Der kennt sich nicht mehr aus in der Bundesliga“, sagt Sidka. „Das ist natürlich völliger Quatsch. Als ich das erste Mal nach Katar kam, kannte ich nicht einen einzigen Spieler aus meiner Mannschaft und habe trotzdem alles gewonnen.“

An diesem Abend spielt seine Mannschaft im Grand Hamad Stadium, der Heimat seines alten Klubs Al Arabi. Die Nacht ist wie immer schon am frühen Abend hereingebrochen, der Vollmond klettert über die Tribüne, und weil sich Mond auf Nachthimmel über Fußballstadion immer gut macht, ist das Motiv zeitweise auch auf der Videowand zu sehen. Dem Fußball in Katar mangelt es an nichts – höchstens am Publikum. Der Eintritt kostet zehn Rial, etwas mehr als zwei Euro. Trotzdem sind gerade mal 1500 Zuschauer gekommen. „Dadurch wirkt alles ein bisschen künstlich“, sagt Wolfgang Sidka.

Der Fußball hat in Katar schon aufregendere Zeiten erlebt. Vier Jahre ist es her, dass die Sportart mit aller Gewalt nach vorne gebracht werden sollte. Mit steuerfreien Millionengehältern wurden gealterte Stars in die katarische Liga gelockt: Fernando Hierro, die Abwehrlegende von Real Madrid, der französische Weltmeister Marcel Desailly, Mario Basler oder die Brüder de Boer. Stefan Effenberg und Gabriel Batistuta spielten unter Sidka für Al Arabi, und Ailton wollte sich damals – gegen eine entsprechend großzügige Entschädigung – sogar von den Katarern einbürgern lassen, um fortan für deren Nationalmannschaft ins Abseits zu laufen. Wenn der Weltverband Fifa nicht kurzfristig seine Statuten geändert hätte, wäre es wohl auch so gekommen. „Um die Sache anzuschieben, war das sicherlich richtig“, sagt Sidka.

Die Stars sind längst wieder weg. Jay-Jay Okocha spielt noch in Katar, Emile Mpenza ebenfalls und auch Ronald de Boer, der im Mai 37 Jahre alt wird. Die beiden Ligen mit je zehn Mannschaften versuchen sich inzwischen am Alltag, und von den Zeiten des Aufbruchs zeugen nur noch die fünf modernen Stadien in Doha, einer Stadt, die kaum mehr Einwohner hat als Bremen.

Wolfgang Sidka erinnert sich an Spiele mit 10 000 Zuschauern zu Beginn seiner ersten Amtszeit, aber der Boom war schon damals flüchtig. In der Rückrunde kamen nur noch 6000. In den Kurven des Grand Hamad Stadiums sitzt an diesem Abend niemand, abgesehen von dem Polizisten hinter der Absperrung, der offenbar dafür Sorge zu tragen hat, dass niemand auf den Rasen stürmt. Auf der Gegentribüne sind wenigstens zwei Blocks mehrheitlich bevölkert. Ein Animateur mit Megaphon gibt den Vorsänger für die Anhänger. Vom Spiel sieht er nichts: Er steht mit dem Rücken zum Feld.

Immerhin hat vor einem Monat die katarische Olympiamannschaft bei den Asienspielen in Doha die Goldmedaille gewonnen, die einheimischen Spieler sind inzwischen alle Profis. Dass es früher anders war, hat Sidka die Arbeit nicht unbedingt erleichtert. Was sollte er denn sagen, wenn jemand einfach nicht zum Training erschien, weil er arbeiten musste? „Du brauchst gute Einheimische“, sagt Sidka. Jede Mannschaft darf nur vier Ausländer einsetzen, dazu zwei Spieler aus den Golfstaaten. Im Moment sucht Al Gharafa Ersatz für seinen verletzten brasilianischen Spielmacher Fabiano Rodrigo. Sidka denkt an Marcelinho, den früheren Berliner. Dessen Berater, so sagt er, habe zumindest Interesse bekundet.

Im Grand Hamad Stadium kann Al Gharafa mit einem Sieg an Umm Salam vorbei auf den zweiten Tabellenplatz vorrücken. Zehn Minuten vor der Pause schießt Younis Mahmoud Khalaf, ein Iraker, das 1:0 für Sidkas Mannschaft, es wird das einzige Tor des Spiels bleiben. Drei Spieler von Umm Salam haben sich zuvor im Mittelfeld gegenseitig über den Haufen gerannt, ein vierter schaut, was der Schiedsrichter macht, ein fünfter fälscht Khalafs Schuss so ab, dass der Torhüter nichts mehr ausrichten kann. Umm Salams Trainer Hassan Hormathullah sagt nach dem Spiel, man habe Al Gharafa von Anfang an den unbedingten Siegeswillen angemerkt. Man kann das durchaus als Kompliment verstehen für Wolfgang Sidka, den Trainer aus dem Land des unbedingten Siegeswillens.

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