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Sport: Der Geschlechterkampf

Im deutschen Judo ringen die Männer um Aufmerksamkeit – die Frauen haben mehr Erfolg

Düsseldorf . Der Mann läuft durch die Halle wie ein Hausmeister. Ohne Pause surrt Peter Frese zwischen Judomatten, Hallensprecherplatz und Ehrentribüne hin und her, gibt hier eine Anweisung, drückt dort einem Bekannten die Hand, hat immer etwas zu sagen. „Ich bin schon viel ruhiger geworden“, sagt der Mann, der nicht Hausmeister der Düsseldorfer Philipshalle ist, sondern Präsident des Deutschen Judo-Bundes (DJB). Kaum zu glauben.

Die Unruhe im Vorfeld der Judo-Europameisterschaft hatte nicht nur den Verbandschef erfasst. Speziell die Männerriege unter Bundestrainer Frank Wieneke stand unter Stress. Schlecht waren die Ergebnisse der vergangenen Jahre, und jetzt sollen sie, nachdem Athen die ursprünglich als Olympiatest geplante EM wegen finanzieller und baulicher Engpässe abgab, ihre erbetenen Fortschritte ausgerechnet vor deutschem Publikum unter Beweis stellen. „Athen wäre mir lieber gewesen“, sagte Wieneke und gestand, aufgeregt zu sein. „In den letzten Tagen bin ich sogar nachts aufgewacht und habe an die EM gedacht.“

Warten auf den Ruck

Erst am Freitagabend ist für Trainer Wieneke das Schlimmste überstanden. Andreas Tölzer, 23, hat in der Offenen Klasse Bronze geholt. Das vom Verband vorgegebene Minimalziel an die Männer, wenigstens eine Medaille zu holen, ist erfüllt. Gerade wird die Siegerehrung angekündigt, da unterbricht Wieneke das Gespräch und rennt auf die Pressetribüne, um seinen Athleten auf dem Medaillentreppchen zu bewundern. Er sieht so etwas nicht so oft. Immerhin, mit Florian Wanner gewann am Samstag ein zweiter Deutscher die Bronzemedaille.

Kein Zweifel, diese unerwarteten Erfolge zum Auftakt, waren wichtig. „Womöglich denken sich die anderen ja jetzt: Wenn der das schafft, dann kann ich das auch“, sagte der Bundestrainer bereits nach Tölzers Coup. Er erhofft sich „einen Ruck für das ganze Team“. Und zwar nicht nur in Düsseldorf, sondern auch bei der WM im September in Osaka. Dort bringen die Platzierungen eins bis fünf in jeder Gewichtsklasse ein Ticket zu den Olympischen Spielen 2004 in Athen. „Vier bis fünf von unseren Männern“ sähe Frese in Griechenland gerne am Start.

Und sechs Frauen. Zu denen hat der Judo-Präsident ohnehin volles Vertrauen. Erst recht, nachdem die Hannoveranerin Katrin Beinroth am Freitag überraschend zur Europameisterin gekürt wurde und jubelnd durch die Düsseldorfer Halle sprang. Die 21-Jährige war eigentlich nur Ersatzfrau gewesen für Katja Gerber, der an einer Knieverletzung laborierenden Titelverteidigerin in der Offenen Klasse. Doch die Ersatzfrau holte plötzlich den Titel. Frese konnte es kaum fassen: „Die eine fällt aus, und ihre Vertreterin holt Gold. So einfach kann das sein.“

Im deutschen Judo gibt es eine ganze Reihe hoffnungsvoller junger Damen wie Beinroth. So gilt Claudia Malzahn, 19, als eines der größten Talente im Land. Viele Erwartungen ruhen zudem auf der Böblingerin Anna von Harnier, die 22 Jahre jung ist, und der 21-jährigen Heide Wollert, die am Samstagabend überraschend Silber gewann. Für sie alle ist Überraschungssiegerin Beinroth ein Vorbild – auch wegen ihrer lockeren Einstellung. „Ich habe mir gesagt, dass es ein ganz normales Turnier ist und keine Europameisterschaft“, sagte Beinroth nach dem Sieg. „Das war ein ganz gutes Rezept.“

Wenn da nur nicht das Problem mit den Männern wäre. Viele Hoffnungen waren mit ihrem Trainer Frank Wieneke verbunden, als der nach dem Debakel der männlichen Judoka in Sydney den Job seines Vorgängers Dietmar Hötger übernahm. Zweieinhalb Jahre danach ist nach oben noch immer reichlich Platz. „Wir hatten durchaus einige Erfolge“, sagt Wieneke, selbst Olympiasieger von 1984. „Aber noch nichts, was die Öffentlichkeit wirklich wahrnehmen kann.“

Angst vor dem Fall

Stark verjüngt hat der Trainer, der mit seinen 41 Jahren noch immer aussieht, als könnte er sofort auf die Matte steigen, das Team nach dem Sturz in die vierte, die niedrigste Förderstufe des Deutschen Sportbundes. Der Kader wurde verkleinert. Frese sagt dazu: „Wir fördern nur noch diejenigen, die bereit sind, ihr Leben voll für Judo hinzugeben.“ Der dramatische Ton ist bewusst gewählt. Denn der Präsident, der manchen Euro aus der Kasse der Frauen (Förderstufe zwei) den darbenden Herren zufließen lässt, will die Solidarität der Damen nicht überstrapazieren. „Wir müssen raus aus der Stufe vier“, fordert er und fiebert der WM im Herbst entgegen: „Schaffen wir dort keinen Platz unter den ersten neun, holen also keine Punkte, wird es schlimm.“

Und so stellen die kontinentalen Titelkämpfe in Düsseldorf den Testlauf dar für den anstehenden Überlebenskampf der deutschen Judoka. „Die WM ist das Wichtigste. Haben wir dort und dann bei Olympia keinen Erfolg, könnte das Ganze ins Bodenlose fallen“, ahnt Wieneke. Und Frese ergänzt in nicht weniger hartem Duktus: „Wir kämpfen um unsere Zukunft.“ Genau deshalb kommt den Siegen des Nachwuchses in Düsseldorf eine heilsame Wirkung für die gesamte Sportart zu. Frese sagt: „Es ist schön, wenn die Jungen von hinten drücken.“ Schön – und dringend notwendig.

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