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Sport: Der gesperrte Karnevalist

Hertha muss in Mainz ohne Marcelinho auskommen – denn der besitzt so etwas wie Narrenfreiheit

Berlin - Marcelinho wird heute eine nicht unwichtige Entscheidung zu treffen haben. Wird der Spielmacher von Hertha BSC nach einem Foto-Termin beim Hauptsponsor des Vereins bei seiner Mannschaft bleiben, die am Samstag zum Bundesligaspiel beim FSV Mainz antritt, oder wird er noch heute Abend in Frankfurt am Main ein Flugzeug besteigen und die Heimreise nach Berlin antreten? Schiedsrichter Thorsten Kinhöfer hatte Marcelinho am vergangenen Sonntag im Spiel Herthas gegen den FC Bayern die fünfte gelbe Karte gezeigt. Damit ist der 29 Jahre alte Brasilianer für das Spiel in Mainz gesperrt. Herthas Manager Dieter Hoeneß zeigte sich großzügig: „Beim Pflichttermin ist er noch dabei, danach ist ihm alles freigestellt“, sagte Hoeneß.

Marcelinho genießt beim Berliner Bundesligisten so etwas wie Narrenfreiheit. Diese verdankt er vor allem seiner Bedeutung für die Mannschaft. In seinem Fall ließe sich das Wort Bedeutung durch das Wort Abhängigkeit ersetzen. Dreieinhalb Jahre spielt Marcelinho für Hertha. Seit dieser Zeit verhält sich Marcelinhos Leistung proportional zum sportlichen Abschneiden des Vereins. Läuft es beim Brasilianer, dann läuft es auch bei Hertha. In den Bundesligaspielen (110 Spiele) mit Marcelinho erreichte Hertha im Schnitt 1,57 Punkte. In den Spielen ohne Marcelinho (11) waren es durchschnittlich nur 1,00 Punkte.

Hertha hatte im vergangenen Sommer auf die bestehende Abhängigkeit zu Marcelinho reagiert und zwei offensivstarke Mittelfeldspieler verpflichtet. Gilberto und Yildiray Bastürk sollen Marcelinho entlasten und Hertha für den Gegner weniger ausrechenbar machen. Phasenweise ist das gelungen. Doch Marcelinho ist immer noch Herthas „Schlüsselspieler“, wie Trainer Falko Götz sagte. In den bisherigen 19 Saisonspielen erzielte Marcelinho neun Tore und bereitete noch einmal neun Treffer direkt vor. Vor allem in Auswärtsspielen überzeugte Marcelinho als hängende Spitze. Er erzielte fünf der 16 Auswärtstore.

Marcelinho wird nicht gleichwertig zu ersetzen sein. Daher bastelt der Trainer daran, wie er den Ausfall des brasilianischen Spielmachers und Torjägers am ehesten kompensieren kann. Am wahrscheinlichsten ist, dass er das auf zweierlei Weise versuchen wird: personell und durch eine leichte Änderung im Spielsystem. „Es wird einen geben, der für ihn spielen wird“, sagte Götz. „Wir haben Spieler auf der Ersatzbank, die lange Zeit gewartet haben und auf einen Einsatz brennen.“ Allerdings besitzt nicht einer Marcelinhos Qualitäten als Torevorbereiter und Torschütze. Die größten Chancen dürfte Andreas Neuendorf besitzen, für Marcelinho in die Startelf zu rücken. Neben Yildiray Bastürk ähnelt er am ehesten Marcelinho. Allein aber kann er die Aufgabe nicht lösen. Götz will die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen. „Unsere starke Offensive soll im Zusammenspiel den Ausfall Marcelinhos kompensieren. Ich traue ihr zu, genügend Torchancen herauszuspielen.“ Voraussetzung dafür ist, dass die Mannschaft im Mittelfeld Überzahlsituationen herstellt.

So bedauerlich der Ausfall Marcelinhos für die Berliner ist, so wenig geraten sie öffentlich ins Jammern. Götz unternimmt sogar den Versuch, das seinen Spielern gegenüber als Chance zu verkaufen. Doch einen Beigeschmack hat Marcelinhos Sperre zu diesem Zeitpunkt schon. Es ist die Zeit des Karnevals. In der Vergangenheit hat Marcelinho mehrfach bewiesen, dass er großen Gefallen an der fünften Jahreszeit findet. So war er beispielsweise vor zwei Jahren direkt nach dem Spiel gegen Boavista Porto und dem Aus im Uefa-Cup bis in die Morgenstunden Karneval feiern gewesen. Nur zwei Tage später spielte er gegen den Hamburger SV schlecht und ging anschließend wieder ausufernd feiern. Damals hatte ihn der Verein zu einer Geldstrafe (angeblich 10 000 Euro) verdonnert. Dieses Mal geht er mit einer Sperre einer möglichen Strafe aus dem Weg. So heißt es jedenfalls hinter vorgehaltener Hand bei einigen Mitspielern.

Falko Götz konnte sich nach dem Spiel gegen den FC Bayern einen Seitenhieb in Richtung Marcelinho nicht verkneifen. In der 88. Spielminute hatte sich Marcelinho für ein überflüssiges Foul die fünfte gelbe Karte abgeholt. Das Bemerkenswerte daran ist, dass Marcelinho mit vier gelben Karte vorbelastet sieben Bundesligaspiele durchspielte, ohne verwarnt zu werden. Götz’ Kommentar: „Irgendwann musste es ja passieren.“

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