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Sport: Der Gott der kurzen Pässe

Real wollte ihn nicht mehr, nun trifft der lange verletzte Fernando Redondo mit dem AC Mailand auf seinen alten Verein

Kein Zweifel, das ist er, im Zentrum, mit der Nummer 5. Zwar sind die Haare mit den Jahren merklich kürzer geworden, doch die kühle Bemessenheit seines Schrittes und die souveräne Eleganz seiner Körperhaltung bleiben unverwechselbar. Ganz gleich, wie diese für Real Madrid vorentscheidende Partie gegen den AC Mailand am heutigen Mittwoch ausgehen mag, den 80 000 Zuschauern im Stadion wird der Abend vor allem wegen ihm, dem Mann mit der Nummer 5 im Trikot des AC Mailand, in Erinnerung bleiben: ihm, Fernando Redondo, und seiner kaum noch erhofften Rückkehr ins Estadio Santiago Bernabéu.

Für den 33-jährigen Argentinier bedeutet das heutige Spiel der beiden Champions-League-Favoriten einen fußballerischen Neuanfang. Nach zweieinhalbjähriger Verletzungspause kehrt er in den großen Weltfußball zurück. Für den Anhang Madrids hingegen stellt sein Comeback die kaum noch erhoffte Gelegenheit dar, den einstigen Kapitän würdig zu verabschieden. Denn damals, vor knapp drei Jahren, ging alles furchtbar schnell. In einer hastigen und geheim gehaltenen Aktion wurde der Argentinier nach Mailand verkauft. Der Transfer Redondos war eine der ersten Amtshandlungen des Präsidenten Florentino Perez und deutliches Zeichen einer neuen Personalpolitik. Es galt, eine Ära zu verabschieden. Für die vergleichsweise läppische Summe von 18 Millionen Euro wurde die Mannschaft deshalb über Nacht ihres spielerischen Zentrums beraubt - und die weiblichen Fans ihres Objekts der Begierde. Die Anhänger liefen Sturm.

Zu stolz und vor allem zu angewidert, um sich öffentlich zu beklagen, verließ Redondo Madrid, ohne in den darauf folgenden zweieinhalb Jahren auch nur eine einzige weitere Partie bestreiten zu können. Während der chronisch am Knie verletzte Argentinier bei seinem neuen Verein ausdrücklich darum bat, sein Millionengehalt bis auf weiteres auszusetzen, machte sich Florentino Perez in Madrid daran, seine sündhaft teuren Versprechungen einzulösen. Erst kam Figo, dann Zidane, schließlich Ronaldo. Doch ungeachtet dieser Neueinkäufe hat der Name Redondo bei den Anhängern der Königlichen nichts von seinem Klang eingebüßt. Denn Redondo, fünf lange Jahre Herzstück des Madrider Mittelfeldes, war ein fußballerisches Ereignis. Und echte Ereignisse, mit deren Auftreten sich also die Struktur des Spiels auf neue Weise erschließt, sind im Fußball, und sogar in Madrid, etwas höchst Seltenes.

Tatsächlich gibt es gute Gründe, in Fernando Redondo den eigentlich stilprägenden Mittelfeldspieler der vergangenen Dekade zu erkennen. Denn mit seiner eleganten Interpretation des defensiven Mittelfeldparts schuf der Argentinier ein neues Positionsverständnis, das – analog zu Beckenbauers beispielhafter Umakzentuierung der Rolle des letzten Mannes – in der Folge weltweit wirksam wurde. Spätestens seit Mitte der neunziger Jahre nämlich vermochte Redondos konsequent kluges Kurzpassspiel die Zone mit der höchsten Zweikampfintensität als eigentliches Zentrum spielerischer Gestaltung freizulegen. Unantastbar im Zweikampf, kultivierte Redondos feines Raumgespür den so unscheinbar wirkenden 10-Meter-Pass zur eigentlich spielbestimmenden Konstruktionsform. Wie kein anderer verstand er es, die gegnerische Abwehr, mit der filigranen Nutzung kleinster Lücken und Nischen, vorentscheidend zu destabilisieren. Und müsste man die wesentliche spielstrukturelle Veränderung der letzten dreißig Jahre in einem Satz zusammenfassen, so böte sich der Verweis auf die räumliche Distanz an, die Beckenbauers kaiserliche Nummer 5 von der souveränen Neuinterpretation Redondos trennt. Etwa 15 Meter sind es. So viel enger ist das Spiel seither geworden.

Genau dort, im engen Zentrum, wird Redondo heute Abend auch auf die andere Nummer 5, auf Zinedine Zidane, treffen. Das zu erwartende, direkte Duell zwischen Redondo und Zidane steht dabei für zwei grundverschiedene Visionen, Fußball zu spielen und Fußball genießen zu lassen.

Wo Zidanes unsagbare Ballfertigkeit und Einfallskraft beispielhaft für das neue stilistische Ideal von Real Madrid stehen, da verkörpert Redondos edles Kontrollvermögen und seine fein bedachte Kurzpassästhetik eine Spielauffassung, mit der sich die schwarz-roten aus Mailand bereits für das Viertelfinale qualifiziert wissen. Redondo und Zidane, das ist die Wahl zwischen zwei Formen der Meisterschaft. In Madrid kennt man sie beide und wird sie, zumindest am heutigen Abend, auch beide gebührend zu feiern verstehen.

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