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Sport: Der grätschende Brasilianer

Herthas Nené über die höchst unterschiedliche Wertschätzung eines Verteidigers in Deutschland und Südamerika

Karneval in Rio…

…interessiert mich nicht!

Caipirinha?

Lieber ein kaltes Bier.

Aber Sie tanzen Samba ?

Nein, ich tanze nicht besonders gerne.

Dann muss es sich hier um eine Verwechslung handeln. Können wir mal Ihren Pass sehen?

Sie können mir ruhig glauben, dass ich Brasilianer bin. Ich muss den Leuten keine Show bieten, ich brauche das ganze Spektakel nicht – und trotzdem bin ich Brasilianer.

Aber keiner, der als Fußballprofi unseren Vorurteilen entspricht. Ein Brasilianer, der freiwillig in der Abwehr spielt und sogar grätscht…

Wer sagt denn, dass ich freiwillig Abwehrspieler geworden bin. Bei uns zu Hause wollen alle stürmen und Tore schießen, das geht mir ganz genauso. Aber auch in Brasilien kannst du nicht mit elf Stürmern spielen. Weil aber keiner freiwillig nach hinten will, werden meist die größeren Spieler dafür ausgesucht. So war das auch bei mir.

Damit ist das Grätschen noch nicht vom Tisch.

Ich grätsche nur, wenn es unbedingt sein muss. In Europa häufiger als in Brasilien. Hier ist der Fußball härter, deswegen werden Abwehrspieler hier auch respektiert. Schauen Sie sich meinen Landsmann Luzio an. Der spielt bei Bayer Leverkusen riskant und spektakulär. Hier ist er ein Star, aber in Brasilien ist er eben nur ein Verteidiger, einer von vielen. Er hat längst nicht so ein Image wie Rivaldo oder Ronaldinho. Die brasilianischen Fans sind da sehr eigen. Das beste Beispiel dafür ist Carlos Dunga.

Der frühere Stuttgarter?

Ja. Der war bei der WM 1994 einer der wichtigsten Spieler. Er hat die Selecao damals zum WMTitel geführt, aber er war alles andere als ein begnadeter Techniker. Damit kommst du nicht an bei den brasilianischen Fans. Die haben Dunga verachtet.

Da müssen Sie sich als Verteidiger in Deutschland doch wie im Paradies fühlen.

Ich fühle mich hier sehr wohl und Ernst genommen. Auch wenn ich am Anfang meine Probleme hatte…

…weil auch hier die brasilianischen Stürmer mehr geschätzt werden als die Verteidiger. Anders als bei Ihren stürmenden Landsleuten Alves, Marcelinho und Luizao hat Hertha sich mit ihrer Verpflichtung lange geziert. Sie mussten ein Probetraining absolvieren, und das wurde auch noch zweimal verlängert.

Insgesamt waren das fünf Wochen Probetraining. So etwas kennen wir in Brasilien nicht. Ich dachte, ich komme hierher, unterschreibe einen Vertrag und spiele. Können Sie sich vorstellen, wie man sich bei so einem Probetraining fühlt? Ich war unglaublich nervös, hatte überhaupt kein Selbstbewusstsein, und als ich dann bei einem Testspiel gegen Inter Mailand einen schlechten Pass auf den Torhüter spielte, da habe ich mir gedacht: So, jetzt kann ich wieder nach Brasilien fahren. Ich war kurz davor aufzugeben.

Hertha BSC hat Sie dann doch für ein Jahr verpflichtet, und es hat sich für beide Seiten gelohnt. Für Hertha, weil Sie aus der Abwehr kaum noch wegzudenken sind. Und für Sie, weil Sie hier mit Nationalspielern wie Luizao und Marcelinho zusammenspielen. Wenn die vom Verband beobachtet werden…

…falle ich vielleicht auch auf. Genau! Ich hatte schon mal eine Chance, in die Selecao zu kommen. Das war zu meiner Zeit bei Gremio Porto Alegre. Als ich mich verletzte, war das kein Thema mehr. Mal sehen, was noch kommt. Ich bin 27 Jahre alt, im besten Fußballeralter.

Obwohl man sie überall als kleines Kind bezeichnet.

Ja, ja, Nené, mein Künstlername, der Kosename für Babys. Ich heiße ja eigentlich Fabio, aber so heißen in Brasilien viele, und als wir ein einer Jugendmannschaft mal drei Fabios hatten und ich der jüngste war, haben sie mich halt Nené genannt, das Baby. Wenn du einmal so einen Namen hast, dann wirst du ihn nicht mehr los. Egal, auch Pelé hat seinen Künstlernamen nicht gemocht, und der Rest der Welt hat sich herzlich wenig darum geschert.

Zieht man Sie mit diesem Namen bei Hertha auf?

Nein, das weiß da keiner, mal abgesehen von den drei Brasilianern. Die machen da schon ihre Witzchen, aber Sie meinen es lieb. Wir kennen uns ja schon aus Brasilien. Mit Luizao habe ich in in Porto Alegre zusammengespielt, und Alves war mal mein Gegenspieler. Er hat übrigens kein Tor gemacht, keine Torchance, keinen Stich hat er gegen mich gesehen. Das Spiel ging 0:0 aus. Das weiß ich noch so genau, weil das in Brasilien ein sehr untypisches Resultat ist.

Am Samstag gegen Werder Bremen haben Sie es mit einem anderen brasilianischen Stürmer zu tun. Einem sehr erfolgreichen: Ailton, der hat in dieser Saison schon Tore geschossen.

S ie werden lachen, das ist ein sehr guter Freund von mir. Ailton hat dünne Beine und einen dicken Bauch. Aber das täuscht: Er ist sehr schnell. Aber das bin ich auch.

Es soll am Samstag verdammt kalt werden – das mögen Brasilianer nicht besonders.

Ach was, ich habe in Portugal gespielt, da hat es geschneit. Es war dort ohnehin sehr kalt, auch menschlich. In Deutschland sind die Leute freundlicher.

Wir dachten, die Deutschen haben ein schlechtes Image.

Ich habe die Portugiesen kennen gelernt. Dort war ich in der Kabine der Ausländer, der den anderen den Arbeitsplatz weggenommen hat. Die Stimmung war sehr schlecht. Bei Hertha bin ich viel netter aufgenommen worden. Marcelinho hat mir gleich den Potsdamer Platz gezeigt. Dort haben wir uns das WM-Finale Brasilien – Deutschland angesehen.

Als Brasilianer, der Karneval, Samba und Caipirinha nicht mag – dürfen wir Sie fragen, wem Sie die Daumen gedrückt haben?

Ich kann Sie beruhigen: Als wir Weltmeister wurden, habe ich mich gefreut. Ich habe sogar gejubelt.

Das Gespräch führten André Görke und Sven Goldmann .

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