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Berlin im Nahkampf. Helden brauchen Derbys.

© Erica Guilane-Nachez - Fotolia

Der große Berliner Derby-Check: Wo Legenden geboren werden

Hertha gegen Union wird langsam zu einem Derby von internationalem Format. Aber wo hat das Berliner Stadtduell noch Schwächen? Wo ist es schon Weltklasse? Der Derby-Check in zehn Kategorien.

1. NÄHE

Das Urkriterium.  Wie weit sind die Klubs und Stadien entfernt, wie nah sind sich die Fans – rein räumlich gesehen?

Maximum: FC Dundee gegen Dundee United. Die Stadien der schottischen Erstligisten liegen 52 Meter auseinander, Rekord im Profifußball. Nach dem Kriterium ist klar: Es reicht nicht, eine Himmelsrichtung vor das Wort „Derby“ zu hängen. Hertha/Union gegen Hansa Rostock (230 Kilometer) sind keine Ostderbys,  Stuttgart gegen Bayern (250 Kilometer) ist kein Südderby.

Hertha – Union: Die Stadien liegen etwa 30 Autokilometer auseinander, so weit wie bei Dortmund und Schalke. Mit Müh und Not noch ein Stadtderby, immerhin fährt die S-Bahn durch, daher 7 von maximal 10 Punkten. 

2. POLITIK

Wie sehr trennen soziale Schichten, Weltanschauung oder Religion die Fans?

Maximum: Glasgow Rangers gegen Celtic Glasgow. Protestanten gegen Katholiken, britisch geprägte Oberschicht gegen Arbeiter mit irischen Wurzeln. Auch wenn längst wie überall die Grenzen verschwimmen.

Hertha – Union: Beide sind vom Ursprung her Arbeitervereine. Die Rivalen aus dem Establishment waren stets andere bei Hertha (TeBe) und Union (BFC Dynamo). Nur die Mauer teilte beide in West- und Ostverein, komischerweise nach der Wende mehr als davor. 6 Punkte.

3. TRADITION

Seit wann gibt es das Derby?

Maximum: Nottingham Forest gegen Notts County. Das Nachbarschaftsduell in Nottingham ist erstmals 1866 belegt und gilt als das älteste Fußballderby der Welt.

Hertha – Union: 1914 spielten die Vorgängervereine BFC Hertha 1892 und Union Oberschöneweide erstmals gegeneinander. Nach 1951 Pause, ab 1990 Freundschaftsspiele. Erst 2010 kam das erste Pflichtspiel gegeneinander unter aktuellem Namen. Das reicht nur für 3 Punkte.

4. FREQUENZ

Wie oft gibt es oder gab es das Derby?

Maximum: Glasgow Rangers gegen Celtic Glasgow, das gab es schon 399 Mal. Das 400. Old Firm wird auf sich warten lassen, die Rangers sind nach Zwangsabstieg derzeit nur Viertligist.

Hertha – Union: Am Montag steigt erst das vierte offizielle Duell. Dennoch treten nach der „Das gibt’s nur einmal“-Euphorie vor zwei Jahren nun schon Abnutzungerscheinungen auf. 2 Punkte.

5. AUGENHÖHE

Wie hoch ist das Niveau der Vereine, wie offen der Spielausgang?

Maximum: Manchester United gegen Manchester City. Seit zwei Jahren geht es beim Stadtduell in Nordengland um den Meistertitel in einer der stärksten Ligen der Welt. Das schlägt aktuell kein anderes Derby.

Hertha – Union: Tabellenzweiter gegen -vierter, beide spielen um den Aufstieg – so attraktiv war die Konstellation noch nie, auch wenn es weiterhin nur die Zweite Liga ist. 7 Punkte.

6. SPEKTAKEL

Wie viele Zuschauer veranstalten wie viel Brimborium um das Spiel herum?

Maximum: River Plate gegen Boca Juniors. Auch zu Derbys in Ägypten (Al Ahly gegen Zamalek), Indien (East Bengal gegen Mohun Bagan) und im Iran (Esteghlal gegen Porouzi Teheran) kommen zwar bis zu 100 000 Zuschauer. Aber der Superclasico in Buenos Aires bleibt als Spektakel unerreicht, nirgendwo geht es lauter, bunter und leidenschaftlicher zu. Leider auch nirgendwo gewalttätiger: Die teils als kriminelle Banden organisierten Ultras sind für viel Stimmung verantwortlich, aber auch für Tote – beim letzten Duell im Oktober kamen erneut zwei Fans ums Leben.

Hertha – Union: Zum zweiten Mal kommen 75 000 Zuschauer ins Olympiastadion, in der Alten Försterei waren es immerhin jeweils etwa 18 000. Die Fans werden kreativ, ersinnen Gesänge, Choreos und Aktionen, mal mehr und mal weniger gelungen. Gewalt gab es bisher kaum. Daher 8 Punkte.

7. LEGENDEN

Welche Spiele, Tore, Helden leben fort und begründen einen Derby-Mythos?

Maximum: Jedes gutes Derby hat sie, wie will man das werten? Aus deutscher Sicht je 10 Punkte: Eintracht Frankfurt gegen Kickers Offenbach 1959. Das Endspiel vor 80 000 Zuschauern in Berlin gilt vielen als die Mutter aller deutschen Derbys: Eckehard Feigenspan schießt die Eintracht mit drei Toren, zwei davon in der Verlängerung, zum 5:3-Sieg gegen den Erzrivalen und zur einzigen Meisterschaft. Und 1997 Borussia Dortmund gegen Schalke 04: Jens Lehmann köpft in letzter Sekunde den 2:2-Ausgleich, trifft als erster Bundesliga-Torwart aus dem Spiel heraus.

Hertha – Union: Die Legenden sind zwei Freistöße, jeweils zum 2:1-Auswärtssieg: Torsten Mattuschka 2011 im Olympiastadion, Ronny 2012 in der Alten Försterei. Vorzeigbar für die kurze Zeit, 7 Punkte.

8. SPITZNAME

Welches Derby hat den eindrucksvollsten Namen?

Maximum: „Heiliger Krieg“, Wisla Krakau gegen Cracovia Krakau. In einem erzkatholischen Land wie Polen ist das eine Ansage. Das Aufeinandertreffen der beiden Fangruppen steht der Brutalität eines Kreuzzuges auch in nichts nach. Dicht gefolgt vom „Interkontinental-Derby“ (Galatasaray gegen Fenerbahce Istanbul), dem „Fla-Flu“ (Flamengo gegen Fluminense Rio de Janeiro) und dem „Derby der Laterne“ (Sampdoria gegen FC Genua).

Hertha – Union: Ein eindrucksvoller Spitzname fehlt noch, Berliner Derby oder Hauptstadtderby ist doch noch etwas langweilig. Nur 1 Punkt dafür.

9. GEFÜHL

Wie viel Zu- oder Abneigung herrscht zwischen Klubs, Fans und Spielern?

Maximum: In Sachen Zuneigung FC Liverpool gegen FC Everton, „The friendly Derby“. Kuscheliger geht es nicht. Bei der Abneigung liegt Olympiakos Piräus gegen Panathinaikos Athen vorne: Da wurde 2007 selbst bei einem Frauenvolleyball-Spiel beider Vereine ein Fan erstochen.

Hertha – Union: Sie können sich nicht so recht entscheiden. Früher mochten sie einander, dann nicht mehr, einige nähern sich an, andere schlagen über die Stränge, viele sind sich einfach egal. Dafür gibt es unentschiedene 5 Punkte.

10. PERSPEKTIVE

Wie viel Potenzial steckt im Derby, wie viel größer kann es noch werden?

Maximum: Hertha – Union. Viele Zutaten sind schon da: Die deutsche Hauptstadt als Bühne, dazu zahlreiche Fans, die fähig zu völliger Euphorie oder Verzweiflung sind. Fehlen eigentlich nur noch Legenden, ein klares Derbygefühl und ein cooler Spitzname. Nur an der Frequenz könnte es hapern, wenn nur einer von beiden aufsteigt. Schaffen es beide und spielen regelmäßig in der Bundesliga gegeneinander, könnte es eines der besten deutschen Derbys werden. 9 Punkte.

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