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Nackte Kanonen. Das Panorama von Garmisch-Partenkirchen mit Schneewerfern.Foto: AFP

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Sport: Der große Graben

Heute stimmt Garmisch-Partenkirchen darüber ab, ob es sich für die Winterspiele 2018 bewerben soll

„Wie ein Messer geht das selbst durch die Familien“, sagt Thomas Goetze. Mancher Ehemann sei dafür, die Frau dagegen. Kinder stellten sich in Fundamentalopposition zu den Eltern. Goetze, ein 71 Jahre alter Mann aus Garmisch-Partenkirchen, spricht über den Streit in seinem Heimatort, den Streit über die Olympischen Winterspiele 2018. Die Marktgemeinde bewirbt sich zusammen mit München und Schönau am Königssee als Ausrichter. Heute stimmen die Garmisch-Partenkirchener in einem Bürgerentscheid ab: Sollen die Spiele kommen oder nicht? Einig sind sich Gegner und Befürworter in der Marktgemeinde mit 25 000 Einwohnern nur in einem: Die vergangenen Monate der Zwietracht haben keinem im Ort gutgetan. Es gab demolierte Autos und anonyme Drohbriefe hier im Werdenfelser Land, ganz im Süden der Republik.

Thomas Goetze gehört seit eh und je der CSU an. Doch wurde er vom Befürworter zum Gegner. Die CSU-Gemeinderatsfraktion ist mit vier zu drei Stimmen gespalten, die SPD mit zwei zu zwei. Manche Hoteliers sind für die Spiele, andere lehnen sie ab. „Der Wintertourismus im Ort verliert seine Bedeutung“, argumentiert Goetze, „warum sollen wir weiter darin investieren?“

Damit liegt er auf einer Linie mit Axel Doering, dem in ganz Garmisch bekannten 64 Jahre alten Förster. Er ist gleichzeitig Vorsitzender des Bundes Naturschutz und an der Spitze des Anti-Olympia-Bündnisses „Nolympia“, das den Bürgerentscheid initiiert hat. „Der UN-Klimabericht sagt, dass Wintersportorte unter 1500 Meter Höhe keine Chance haben“, sagt Doering. Garmisch liegt im Ort auf 708 Metern. „Wir bräuchten dann immer mehr Schneekanonen“, sagt Doering. Immer mehr Natur werde dadurch zerstört.

Axel Doering und seine Mitstreiter halten die geplanten Spiele für viel zu teuer, finanziell für hoch riskant und sehen sie als Signal in die falsche Richtung: „Die Dauerbaustellen bis 2018 vergraulen uns dann auch noch die Sommertouristen, die uns bisher die Treue halten.“

Keiner wagt eine Prognose, wie die Abstimmung ausgeht. Erhalten die Gegner mehr als 35 Prozent der Stimmen, so sagen die Befürworter, dann würde das Internationale Olympische Komitee (IOC) dies als deutliches Misstrauensvotum werten – die Chancen der Bewerbung wären geschrumpft. Bei einer mehrheitlichen Ablehnung gar wären sie vernichtet.

Im Skistadion sitzt Heinz Mohr an seinem Schreibtisch und scheint seine Garmischer wegen der Olympia-Kritik nicht mehr zu verstehen. Mohr, 63 Jahre alt, war ein bedeutender Mann im Skisport: Als Trainer des Deutschen Ski-Verbands führte er einst Rosi Mittermaier zu ihren Erfolgen. Jetzt leitet er den Olympia-Stützpunkt Garmisch-Partenkirchen und steht der Gruppe vor, die sich „OlympiJA“ nennt. Er fühlt eine „klare Mehrheit“, sagt Mohr, und sieht eine „kleine, lautstarke Gruppe der Gegner“. Es komme nun darauf an, die Befürworter zu mobilisieren – „denn die anderen gehen alle zur Wahl“.

Das Skistadion ist marode, klagt nicht nur Heinz Mohr. „Olympia ist unsere Jahrhundertchance“, hofft Mohr. Er nickt zustimmend, wenn man sagt, der Ort mache einen „verschnarchten Eindruck“. Die Gästehäuser heißen „Edelweiß“, „Clementine“ und „Herta“. Die Urlauber sind betagt und tragen am liebsten beige Windjacken. In den Rankings von bayerischen Kommunen steht Garmisch am unteren Ende. Der Ort ist nicht attraktiv, die wirtschaftliche Entwicklung stagniert, die Schulden steigen. „Es geht rapide abwärts“, fürchtet Heinz Mohr.

Und Olympia soll die Wende bringen, den dringend benötigten Schub. Mohr gibt zu, dass es in der Vergangenheit Fehler bei der Bewerbung gab. Die Zuständigen hätten „unsensible Äußerungen“ gemacht, „ein bisschen von oben herab“. Etwa Bekleidungsunternehmer Willi Bogner, einst Chef der Olympia-Bewerbungsgesellschaft, der meinte, die Bauern sollten ihre hochsubventionierten Wiesen für diese nationale Aufgabe hergeben. Olympia-Aktivist Heinz Mohr wünscht sich eine „sachliche Diskussion“ und wirft den Gegnern vor, weiter Falsches zu verbreiten. So sei es etwa unseriös, dass sie in ihren Info-Blättern weiterhin riesige Flächen im Ort in roter Farbe als mögliche neue Parkplätze markierten, denn diese Pläne seien längst vom Tisch.

Am Hausberg soll die olympische Halfpipe entstehen, auch auf oder ganz in der Nähe des Hofes und der Wiesen von Agnes und Theo Geyer. Doch das Ehepaar will seinen Grund nicht hergeben. 1941 wurde die Familie von den Nazis zwangsenteignet, um die Olympia-Sportanlagen zu erweitern. Mit Journalisten möchten die beiden nicht reden, aber Förster Doering kennt sie ganz gut. „Die Schneekanonen sind schon jetzt direkt bei ihrem Hof“, sagt er. „Das macht einen Höllenlärm. Und durch die Feuchtigkeit entsteht Nebel – wenn überall die Sonne scheint, sieht man dort fast nichts mehr.“ Die Menschen leiden ebenso wie die Kühe im Stall, die dadurch erkrankten.

Von Olympia profitieren würde hingegen nur das IOC, ist sich Axel Doering sicher. Die Verträge seien immer nach dem gleichen Muster abgefasst: Die Risiken lägen beim Austragungsort, den Gewinn streiche das IOC ein. „Es geht um Geschäft, Geschäft, Geschäft – und ein bisserl um Sport.“

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