zum Hauptinhalt

Sport: Der Himmel so weit

Das neue Wembley-Stadion ist vor allem groß – und von einer deutschen Berglandschaft inspiriert

Von Markus Hesselmann

Es dauerte nur 29 Sekunden bis zum ersten Treffer. Gianpaolo Pazzini schoss gestern das 1:0 im Freundschaftsspiel der italienischen U21 gegen Gastgeber England. Das wäre für sich genommen nicht weiter dramatisch, Juniorenländerspiele interessieren im Zweifel in England noch weniger Leute als in Deutschland. Doch dies war das erste Tor in einem offiziellen Fußballspiel im neuen Wembley-Stadion. Und so pfiffen die allermeisten Zuschauer, als die italienischen Spieler ihr historisches Tor auf dem heiligen englischen Rasen erst einmal frech feierten. Pazzini traf noch zweimal und geht damit gleich am ersten Tag in die Geschichte des neuen Stadions ein. Am Ende stand es 3:3. Die jungen englischen Spieler wurden der Größe des Anlasses doch noch halbwegs gerecht.

Das neue englische Nationalstadion ist vor allem eines: groß. 90 000 Zuschauer passen hinein. Zum großen Test am Samstag waren aus Sicherheitsgründen zunächst nur rund 60 000 zugelassen. Die Bauherren wollen sich der vollen Kapazität langsam annähern. Als der Vorverkauf begann, waren die Karten innerhalb von sechs Stunden ausverkauft. Der schiere Raum der Arena überwältigt, die Architektur überzeugt nicht auf den ersten Blick. Wie der Looping einer Achterbahn ragt ein gigantischer Stahlbogen über dem Dach in den Himmel. Die Scheinwerfer an dieser spektakulären Konstruktion wirken von fern wie verspätete Weihnachtsbeleuchtungen. Architekt Norman Foster, der auch den neuen Berliner Reichstag entwarf, sagt, er sei von einer deutschen Berglandschaft inspiriert worden und habe deshalb seinen ursprünglichen Plan mit vier Trägermasten verworfen. „Ich dachte, ein Bogen macht alle Masten überflüssig und sagte mir: Benutze weniger Stahl, sei eleganter, schaffe ein starkes und einzigartiges Symbol“, sagte Foster.

Der Gedanke an bayrische Berge kommt sicher nicht jedem Fußballfan, der sich Wembley nähert. Durch einen wenig repräsentativen Gang zwischen schmucklosen Bürobauten strömen die Fans auf das Stadion zu. Viele machen schon auf den Treppen am Ausgang der U-Bahnstation Wembley Park die ersten Erinnerungsfotos. Handys hoch: Der Koloss am Ende des Weges ist von einer Mobilfunkkamera kaum einzufangen. Über zwei riesige Rampen gelangen die Zuschauer ins Stadion. Drinnen herrscht nicht die wohlige Enge traditioneller englischer Fußball-Arenen. Das war im alten Wembley-Stadion, in dem eine ausgediente Windhundrennbahn die Fans vom Rasen trennte, allerdings atmosphärisch ganz ähnlich. Die Zuschauerrränge in New Wembley steigen sanft in die Höhe. Kein Vergleich mit steilen Konstruktionen wie dem Meazza-Stadion in Mailand. Das Rot des Georgskreuzes der englischen Flagge ist in Wembley die bestimmende Farbe. Wirkt das Stadion von außen eher wie eine riesige Halle, eine Art überdimensionierte Arena Auf Schalke, so herrscht drinnen Offenheit. Licht dringt hinein zwischen den geschwungenen Enden der Tribünen und der funktionalistischen Dachkonstruktion. Der Himmel über London wölbt sich weit. Das 7000 Tonnen schwere Dach kann bei Bedarf zusammengeschoben werden. Ist es offen und einer der typischen Londoner Regenschauer setzt ein, dann bekommen die Zuschauer auf den unteren Rängen sicher einiges ab.

Die wetterfesten englischen Fußballfans nehmen das gern in Kauf. Zu lange mussten sie auf ihr neues Stadion warten, das schließlich 1,2 Milliarden Euro statt der ursprünglich veranschlagten 480 Millionen Euro gekostet hat. Immer wieder wurde das englische Pokalfinale nach Cardiff verlegt. Dabei sollte das neue Wembley-Stadion eigentlich schon 2003 und zum zweiten Mal vor zwei Jahren fertig sein.

Diesmal aber soll alles gut gehen und das FA-Cup-Finale am 19. Mai angepfiffen werden. Der FC Chelsea und Manchester United sind sich im Halbfinale aus dem Weg gegangen. England darf auf einen Kampf der ganz Großen hoffen. Am 8. Juni gibt dann George Michael das erste Popkonzert im neuen Stadion. Und am 22. August geht es gegen Deutschland. Dann wollen die Engländer sich für einen anderen historischen Treffer revanchieren. Das letzte Tor im alten Wembleystadion hat schließlich ein Deutscher geschossen. Durch Dietmar Hamann verlor England dort vor sieben Jahren sein letztes Spiel 0:1.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false