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Sport: Der iranische Teenieschwarm von Hertha BSC

Irgendwie muss sich diese halbe Zigarettenschachtel in der Hand von Ali Daei bemerkbar gemacht haben. Sonst würde der Iraner nicht unvermittelt einen kleinen Kopfhörer in sein rechtes Ohr stöpseln und in ein verborgenes Mikrofon Wörter auf Farsi sprechen.

Irgendwie muss sich diese halbe Zigarettenschachtel in der Hand von Ali Daei bemerkbar gemacht haben. Sonst würde der Iraner nicht unvermittelt einen kleinen Kopfhörer in sein rechtes Ohr stöpseln und in ein verborgenes Mikrofon Wörter auf Farsi sprechen. "Entschuldigung", sagt Ali Daei kurz darauf wieder auf Deutsch "ich habe einen Anruf bekommen." Das war inzwischen klar, denn offensichtlich beherbergt das schmale Etui in seiner Hand das wahrscheinlich kleinste Handy der Welt. Daei wird es in den nächsten 20 Minuten des Gesprächs nicht weglegen. Das Telefonieren mit der Familie im Iran ist ihm wichtig. Obwohl er sonst bescheiden lebt, sogar selbst sein Geschirr abspült, ist ihm der tägliche Anruf viel wert. Genauer: 5000 bis 6000 Mark pro Monat.

Ali Daei kann sich das leisten. Schließlich überweist Hertha BSC seinem prominenten Zugang jährlich geschätzte 2,5 Millionen Mark, damit er dem Klub zu Toren in Bundesliga und Champions League verhilft. Vor seinem ersten wichtigen Einsatz, dem Qualifikationsspiel am Mittwoch zur europäischen Eliteklasse, steht allerdings noch ein Problem. Der rechte Oberschenkel zwickt und ist leicht gezerrt. "Ich will aber unbedingt spielen", sagt der Stürmer mit dem Schnauzbart, "wir haben einen Monat auf dieses Spiel hin trainiert." Die Erfahrungen der letzten Saison stärken nur seinen Wunsch. Mit dem FC Bayern München schaffte er es zwar ins Finale der Champions League - jedoch nur als Dauerreservist. Immer noch ärgert er sich: "Es war sehr schwer für mich, im Finale zuzuschauen."

Überhaupt, der FC Bayern. Nur achtmal schaffte es Ali Daei beim prominentesten Fußballklub Deutschlands in die Anfangsformation, 13 Mal wurde er eingewechselt. Damit ist er ein Opfer der vielgerühmten Münchner Rotation. Warum er nicht öfter in Rot und Weiss auflief, erklärt er so: "In München spielen Namen und nicht Spieler." Seiner hatte keinen Klang. Das stimmt eigentlich gar nicht. "Mein zweiter Vorname in der Familie und im Iran ist Shariar", erzählt Daei, "das heißt König." Doch in München gab es einen Kaiser und viele Könige. Oft wirkte der 30-Jährige wie ein Fremdkörper unter den Bayern-Stars, ohne sozialen Kontakt. Sonntags sah man ihn öfter beim A-Klassenverein und Taxifahrerklub FC Taxa auf der Tribüne sitzen. Dort spielten neun seiner Landsleute. Der obligatorische Oktoberfestbesuch des FC Bayern war ihm ein Graus. Als gläubiger Moslem hält er sich Alkohol vom Leib. Dennoch will er seinen einjährigen Abstecher nach München nicht als Fehler bezeichnen: "Ich habe fußballerisch viel gelernt; ich spiele jetzt technisch besser und einfacher Fußball."

Auch seine Deutschkenntnisse verbesserten sich, wenngleich dem freundlichen, aber zurückhaltenden Daei das Sprechen auch in seinem vierten Jahr in Deutschland noch schwer fällt. Auf Englisch lispelt er sogar ein wenig. In Berlin mit seinen 12 000 Iranern gefällt es ihm gut, nur hat der Fußballprofi fast noch nichts gesehen. Die fünfminütige Strecke von seiner Wohnung in Westend zum Trainingsplatz auf dem Maifeld, ein iranisches Restaurant und eine Moschee - das ist gegenwärtig das Berlin von Ali Daei. Wenn er irgendwann mal Zeit findet, will er "nach Mittel", wo angeblich so viel los ist.

Die 5,3 Millionen Mark, die Hertha BSC dem FC Bayern zahlte, plant er, mit 15 Toren in dieser Spielzeit zu entgelten. Seine große Stärke ist das Kopfballspiel. Dabei zeichnen ihn ein außergewöhnliches Timing und eine immense Sprungkraft aus. "Ich bin schon als Kind immer am höchsten gesprungen", erzählt der 59-malige iranische Nationalspieler. Seine Sportkarriere an einer iranischen Universität, wo er Volleyball und Basketball spielte, tat ein übriges.

Als gläubiger Moslem muss er täglich seine Gebete verrichten. Nach Abendspielen betet er zu Hause, im Trainingslager genügt das Hotelzimmer. Einen Gebetsteppich braucht er nicht. "Der Boden muss sauber sein", erklärt Ali Daei, "alles muss beim Beten sauber sein." Langsam streicht er sich über seine Oberarme, über seinen Kopf und die Füße, um dem unkundigen Gegenüber zu erklären, wo sich ein Moslem vor dem Beten zu waschen hat.

Seine Popularität im Iran ist trotz des oftmaligen "Bankdrückens" beim FC Bayern ungebrochen. "Die Leute wissen, was ich kann." Vier Mal muss ihn sein neuer Klub für Spiele des iranischen Nationalteams abstellen. Mit Ali Daei gewann Hertha BSC auch die Herzen vieler iranischer Fußballfans. "Letztes Jahr waren sie für den FC Bayern, in diesem Jahr mögen sie Berlin." Er ist der Mehmet Scholl iranischer Teenies, seine Poster hängen dort in den Mädchenzimmern. Wissen die eigentlich, dass ihr Volksheld in Berlin alleine lebt? "Manche wollen mich treffen", erzählt Ali Daei belustigt, "aber ich will nicht." Dann steht er auf, klopft seinem Gegenüber freundschaftlich auf den Oberschenkel, und stöpselt den kleinen Kopfhörer in sein rechtes Ohr.

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