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Sport: Der kontrollierte Raser

Von Frank Bachner Plötzlich zuckt dieses knallrote High-Tech-Auto nach links und nach rechts, als wäre es auf eine meterlange Ölspur geraten. Aber Michael Schumacher hat in seinem Ferrari nur mal wie wild am Lenkrad gerüttelt.

Von Frank Bachner

Plötzlich zuckt dieses knallrote High-Tech-Auto nach links und nach rechts, als wäre es auf eine meterlange Ölspur geraten. Aber Michael Schumacher hat in seinem Ferrari nur mal wie wild am Lenkrad gerüttelt. Anders kann er, in diesen Sekunden, seine riesige Freude nicht zeigen. Es soll ja nicht bloß ein normaler, routinierter Jubel werden, die erhobene Faust, die jeder kennt. Nachdem er den Zielstrich des Rennkurses von Magny-Cours in Frankreich passiert hat, muss der 33-Jährige demonstrieren, dass gerade etwas ganz Besonders geschehen ist. Michael Schumacher ist Formel-1-Weltmeister, zum fünften Mal. So schnell in einer Saison wie noch nie jemand sonst. Aber es ist mehr: Schumacher ist jetzt zusammen mit dem Argentinier Juan Manuel Fangio, der zwischen 1951 und 1957 fünf Mal den Titel holte, der einzige Formel-1-Fahrer, der so viele WM-Titel gewonnen hat.

Jetzt ist er der Größte. Der größte Rennfahrer aller Zeiten. Zumindest sehen ihn unzählige Fans so und nahezu alle Journalisten und technischen Experten. Klar, Fangio hat auch fünf WM-Titel gewonnen, aber eigentlich war das eine andere Zeit.

Mit Zahlen formen sie das Denkmal Schumacher, alle, die über ihn reden. Die meisten Grand-Prix Siege (61), die meisten Siege für Ferrari (42), die meisten WM-Punkte (897) und die meisten Punkte in einer Saison (123). Aber je mehr Zahlen diesen schmalen Mann aus Kerpen zum Superstar veredeln, umso unpersönlicher wird er. Er wirkt wie eine Maschine, wie eine perfekte Maschine. Jetzt hat er mal geweint. Aber die Tränen hat er schnell wieder unter Kontrolle.

Es ist ja kein Wunder, dass man Schumacher auf Zahlen reduziert. Es ist das Einzige, das er seinen Fans lässt. Schumacher bietet ihnen nichts Emotionales, keine Gefühle, keine Ängste, keine Zweifel, nichts, was den Formel-1-Piloten Schumacher nach einem Rennen zum Menschen macht. Deshalb mögen ihn so viele nicht. Er ist ein Perfektionist, und er ist unglaublich ehrgeizig. Es ist eine fatale Mischung. Den Ehrgeiz würden sie akzeptieren, wenn er doch nur mehr Gefühle zeigte. Aber weil er die Fans nicht mitnimmt auf seine Siegesstour, lassen sie ihren Frust an seinem Siegeswillen ab. An jenem Schumacher, der 1997 Jacques Villeneuve in die Seite fuhr, um zu verhindern, dass der Kanadier Weltmeister wurde. Stattdessen landete Schumacher im Kies, und er brauchte Stunden, um seinen Fehler zuzugeben. Später wurde ihm die Vize-Weltmeisterschaft aberkannt. Vor ein paar Wochen dann, beim Großen Preis von Österreich, musste ihn sein Teamkollege Rubens Barrichello gewinnen lassen, damit Schumachers WM-Sieg nicht in Gefahr geriet. Es war eine plumpe, verheerende Manipulation, und beim nächsten Rennen in Monaco mussten Schwarzhändler ihre Karten zu Schleuderpreisen verscherbeln. Viele Fans boykottierten das Rennen.

Das Verhältnis zwischen Michael Schumacher und seinen Fans unterliegt einem dauerhaften Missverständnis. Die Millionen Zuschauer verstehen nicht, dass es einzig dieser Perfektionismus Schumachers ist, der ihm Erfolge garantiert. „Ich kenne keinen Menschen, der sich so gut konzentrieren kann wie Michael Schumacher“, sagt seine Pressesprecherin Sabine Kehm. Wenn Schumacher arbeitet, ist er absolut kontrolliert. Er gibt präzise Anweisungen, seine Ingenieure schwören auf ihn. Er fuhr für Benneton und wurde Weltmeister, er wechselte zu Ferrari und wurde ebenfalls Weltmeister.

Schumacher ist wahrscheinlich der am stärksten kopfgesteuerte Fahrer, der je in der Formel 1 fuhr. Nur absolute Kontrolle gibt ihm ein Gefühl von Sicherheit. 2001 raste er bei Tests in Monza mit 310 Stundenkilometern in einen Reifenstapel. „Zuerst“, sagte er später, „denkst du nur an dich und deine Knochen.“ Aber schon ein paar Stunden später hatte er sich wieder gefasst. „Ich weiß ja, was passiert ist. Ich habe ja keinen Fahrfehler begangen.“ Schumacher liefert keine Bilder von Blut, Schmerzen und Trauer. Sonst könnte er nicht fahren.

Aber keiner sieht den anderen Schumacher, den weichen, den gefühlsbetonten Piloten. Sabine Kehm hat ihn mal zu Hause beobachtet, in Vufflens am Genfer See. „Da spricht er viel langsamer, da geht er auch langsamer“, sagt sie. Da spielt er mit einer Zärtlichkeit, die man nur erahnen kann, mit seinen Kindern. Diese Seite seiner Persönlichkeit kann Schumacher einfach nicht inszenieren. Er fühlt sich unwohl in der Öffentlichkeit, jeder Pressetermin ist für ihn ungeliebte Pflicht.

Einmal aber hat die Öffentlichkeit den Gefühlsmenschen Schumacher gesehen. 2000 war das; er hatte gerade in Monza gewonnen und nun genau so viele Grand-Prix- Siege wie der Brasilianer Ayrton Senna. Irgendjemand fragte ihn nach Senna, und Schumacher begann plötzlich zu weinen. Denn Schumacher bewunderte Senna, den Formel-1-Piloten, der 1994 tödlich verunglückte. Er bewunderte ihn, seitdem er ihn zum ersten Mal bei einem Kartrennen in Holland gesehen hatte. Sennas Tod war wie ein Keulenschlag für ihn. „Da hatte ich zum ersten Mal eine intensive Berührung mit dem Thema Tod“, sagte Schumacher.

Als Senna beerdigt wurde, fehlte Schumacher. Er wollte nicht hingehen, bewusst nicht. Bei der Beerdigung waren Tausende Menschen und Fotografen und Kamerateams. Senna war ein Idol in Brasilien. Schumacher wusste, dass dort jede Bewegung von ihm beobachtet, schlimmer noch: interpretiert würde. Er hätte es als Inszenierung betrachtet, wenn er sich ans Grab gestellt hätte und die Welt ihn dabei beobachtet hätte. Aber er wollte ehrlich trauern. Also ging er im Jahr darauf zu Sennas Grab. Nur seine Frau war dabei. Ob er dort weinte, weiß außer ihr niemand. Doch die Zeitungen kritisierten Schumacher scharf. Er war nicht bei der Beerdigung, er hatte offenbar keine Gefühle für Senna, sagten sie. Sie transportierten das Bild, das jeder kennt.

In Magny-Cours, als er sein Auto abgestellt hat, fällt Schumacher seinem Teamchef Jean Todt um den Hals. Drei Sekunden lang drückt er dem kleinen Mann seinen Kopf gegen die Schultern. Und als er loslässt, sieht man, dass er weint.

Michael Schumacher, die Maschine – das Bild wird bleiben. Auch nach dem fünften WM-Titel. Auch nach den Tränen von Monza und denen von Magny-Cours.

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