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Sport: Der lange Weg zurück zum Gipfel

Robert Ide über Jan Ullrichs Versuch, ein neuer Mensch zu werden Die alten Spuren hat Jan Ullrich geschickt verwischt. Als sich Deutschlands bester Radfahrer am Mittwoch in Essen beim neuen Team Coast vorstellte, war von seinem bisherigen Leben nicht mehr viel zu sehen.

Robert Ide über Jan Ullrichs Versuch,

ein neuer Mensch zu werden

Die alten Spuren hat Jan Ullrich geschickt verwischt. Als sich Deutschlands bester Radfahrer am Mittwoch in Essen beim neuen Team Coast vorstellte, war von seinem bisherigen Leben nicht mehr viel zu sehen. Ullrich hat an Körpergewicht verloren und an Selbstsicherheit gewonnen. Er spricht jetzt in einem ruhigeren Ton als früher, in längeren Sätzen. Jan Ullrich wirkt befreit über seinen Neuanfang. Befreit, die alten Belastungen hinter sich zu haben. Die vielen Schlagzeilen über seine Fahrerflucht und sein Drogenproblem. Die vielen Tage des Verletztseins und des Gesperrtseins. Die vielen Spötter, die sich lustig gemacht haben über einen, der mit seinem frühen Ruhm nicht klarkam und sich von seinem alten Team Telekom bemuttern ließ wie ein kleines Kind.

Jan Ullrich ist erwachsener geworden. Der 29Jährige hat Konsequenzen aus seiner Lebenskrise gezogen. Die erste lautete: Ich habe Fehler gemacht, ich muss was ändern. Also suchte sich Ullrich eine neue Wohnung, neue Freunde und ein neues Radteam. Das tut ihm sichtlich gut. Aber reicht das, um wieder Deutschlands bester Mann auf dem Rad zu werden? Reicht das, um noch einmal die Tour de France zu gewinnen? Die Antwort lautet: Nein, das reicht noch nicht.

Die sportlichen Fakten sprechen gegen große Siege in naher Zukunft. Jan Ullrich hat einen Trainingsrückstand von 30 000 Kilometern aufzuholen. Im Trainingslager seines neuen Teams in Spanien wird der Kapitän den anderen hinterherradeln. Bei den ersten Rennen, die er nach Ablauf seiner Sperre Ende März fahren kann, wird es nicht anders sein. Auch bei der Tour durch Frankreich sind höchstens Etappensiege drin, zumal nicht klar ist, wie gut die Knieverletzung bis dahin ausgeheilt ist. Immerhin hat Jan Ullrich seine begrenzten Möglichkeiten erkannt und sich erst für die Weltmeisterschaften im Herbst viel vorgenommen. Das spricht für seinen neuen Realismus.

Das Problem ist allerdings: Die Öffentlichkeit wird dem Radprofi für sein Comeback wenig Zeit gönnen. Jan Ullrich wird als Star verehrt, dafür verlangt das Publikum sportliche Spitzenleistungen. Wie wird der Star reagieren, wenn die Medien ihn wieder angreifen? An dieser Frage wird sich viel entscheiden. Wichtig ist deshalb das Umfeld von Ullrich, aber auch hier sind Zweifel am Neuanfang angebracht. Jan Ullrich hat seinen alten Sportlichen Leiter Rudy Pevenage vom Team Telekom mitgebracht. Der hatte es zuletzt versäumt, Ullrich seine Trainingsfaulheit auszureden und ihm von so mancher Lieblingsspeise abzuraten. Pevenage war Teil eines Umfeldes, das Ullrich bei jedem Konflikt abschottete und ihm die Kompetenz nahm, Probleme selbst zu lösen. Nun hat Jan Ullrich genau diesen Rudy Pevenage von seinem alten Leben mit in sein neues genommen.

Ein Neuanfang besteht aus mehr als einer ruhigeren Sprache. Jan Ullrich muss jetzt weiter arbeiten, weiter lernen wollen. Wenn ihm das gelingt, wird er Deutschlands neuer Superstar werden. Wenn nicht, wird er in seinen alten Trott zurückfallen. Jan Ullrich will sich ein neues Leben erstrampeln. Bis jetzt hat er nur den Prolog gewonnen.

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