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Hoffenheim, wir hören nichts. Die mit Verstärker ausgestattete Beschallungsanlage für missliebige Fans hat die Polizei inzwischen beschlagnahmt und fotografieren lassen. Foto: dpa

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Sport: Der Lautsprecher der Liga

Die Lärmaffäre weitet sich aus: Bei fünf Spielen soll ein Mitarbeiter der TSG Hoffenheim die Störanlage gegen Gästefans aufgebaut haben. Der DFB ermittelt nun, ob der Klub davon wirklich nichts wusste

Die neu aufgetauchten Details können belastender nicht sein. Sie erhärten den Verdacht, dass die TSG Hoffenheim die Lärmattacke auf Dortmunder Fans zumindest still geduldet, wenn nicht gar unterstützt hat. Inzwischen liegen mindestens fünf Strafanzeigen wegen Körperverletzung gegen Hoffenheim vor, ein BVB-Fan aus Pforzheim soll arbeitsunfähig sein. Die Staatsanwaltschaft Heidelberg und die Polizei ermitteln genauso wie der DFB-Kontrollausschuss. Dem Klub drohen wegen der unerlaubten Beschallung Strafen von einer Geldbuße bis hin zu einem Geisterspiel ohne Publikum oder einer Platzsperre. Zumal Hoffenheims Geldgeber Dietmar Hopp am Dienstag auch noch Verständnis für die Tat aufbrachte. Im „Kurpfalz Radio“ sagte er: „Man sollte ja nicht vergessen, dass das nur eine Reaktion auf eine jahrelange Aggression war. Und der Mann hat halt noch irgendwo ein Gerechtigkeitsgefühl. Dass er über das Ziel hinaus geschossen ist – okay.“ Hoffenheims Geschäftsführer Frank Briel sprach im Hinblick auf die Strafanzeigen gar von einem „schlechten Scherz“.

Dabei ist die Hoffenheimer Affäre weit mehr als das. Im Zentrum steht inzwischen die Frage, ob der Klub das eigenmächtige Vorgehen gegen unliebsame Äußerungen von Gästefans zumindest geduldet hat. Der Mann habe ein „Gegenmittel“ für die niveaulosen Schmähgesänge der Gästefans gegen Hopp gesucht und beschallte sie deshalb mit einer Lautsprecher-Apparatur mit nervenden Geräuschen, was den Tatbestand der Körperverletzung erfüllen könnte. Aus dem Umfeld des Klubs heißt es, es handle sich um einen Mitarbeiter des Stadion-Hausmeisterdienstes. Ihm drohen nun arbeitsrechtliche Bestrafungen durch den Klub – wie die ausfallen sollen, wurde zunächst offen gelassen. Hoffenheim teilte lediglich mit, der Angestellte habe die „selbst konstruierte und eigenverantwortlich betriebene Apparatur“ mit auf die Dienststelle gebracht. Dabei handelte er offenbar nicht allein: Polizeisprecher Harald Kurzer erklärte, eine zweite Person sei an dem Vorfall beteiligt gewesen, ein Bekannter des Hauptbeschuldigten, „aber kein Mitarbeiter der TSG Hoffenheim. Er hat bei der Konstruktion geholfen.“ Betrieben worden sei der Lautsprecher über ein 60 Meter langes Kabel von der anderen Stadionseite aus.

Laut Kurzer gibt es „derzeit aber keine Anhaltspunkte dafür, dass jemand von der Vereinsführung das mitgekriegt hat“. Die Mitwisserschaft bei einem geplanten Vergehen ist anders als bei einem Verbrechen strafrechtlich nicht relevant. Es bleibt dennoch die Frage, wie in einem Hochsicherheitsbereich ein solches Gerät unbemerkt installiert werden konnte. Der Geräuscheherd stand unbehelligt in einem Tunnelzugang unter dem Fanblock der gegnerischen Fans, der Strom für die tischgroße Anlage kam aus einer Stadionsteckdose. Hoffenheims Pressesprecher Markus Sieger konnte sich schlicht nicht erklären, „wie das Gerät vor den abgesperrten Bereich des Gästeblocks gelangen konnte“.

Der DFB-Kontrollausschuss versucht nun, genau das herauszufinden. Ungewöhnlich ist auf jeden Fall, dass mehrere Ordner Ohrenschützer getragen haben sollen. Laut Thilo Danielsmeyer vom Dortmunder Fanprojekt sollen Ordnerdienst und sogar Polizisten nicht nur über die Existenz, sondern auch über die Funktionsweise der Apparatur im Bilde gewesen sein. Polizeisprecher Kurzer hält es „für denkbar, dass einzelne Beamte, die zur Fanbetreuung im Gästeblock waren, von der Existenz und der Funktionsweise des Geräts gewusst haben – ohne sich aber groß Gedanken darüber zu machen.“

Vermutlich rührte die Gedankenlosigkeit auch daher, dass der Lautsprecher nicht zum ersten Mal dort gestanden hatte. Die Klubführung erklärte, sie habe davon Kenntnis erhalten, „dass die Apparatur bereits bei vier Spielen der abgelaufenen Saison aufgebaut wurde“, aber wohl nicht immer zum Einsatz kam. Es soll sich um die Spiele gegen Dortmund, Mainz, Köln und Frankfurt handeln.

Eintracht Frankfurts Fanbeauftragter Marc Francis bestätigt, dass es beim Spiel seines Klubs in Hoffenheim im April während Schmähgesängen sirenenartige Störgeräusche gegeben habe. Es habe nach dem Spiel Kontakt zu dem Fanbeauftragten der TSG Hoffenheim gegeben, in dem über die Beschallung gesprochen wurde, sagt Francis. Angesichts dessen verwundert es, dass man in der Hoffenheimer Vereinsführung erst jetzt bemerkt haben will, dass die Apparatur bereits mehrfach zum Einsatz kam. Auch der Soundcheck, der laut Ohrenzeugen einige Stunden vor dem Spiel am Wochenende im Stadion durchgeführt wurde, blieb offenbar unbemerkt – genauso wie die Geräusche während des Spiels, die andere selbst auf der Haupttribüne deutlich vernommen hatten.

Die Polizei lässt nun prüfen, ob diese Geräusche gesundheitsschädlich sind. Ein Akustiker soll klären, ob die Soundmaschine nur belästige, was keine Straftat wäre, oder tatsächlich Hörstürze hervorrufen kann, wie ihn mindestens ein Dortmunder Fan erlitten haben soll. Unabhängig davon muss sich Hoffenheim nun mit der Hauptquelle für die Störgeräusche befassen: Der Verein muss sich fragen lassen, wie das Klima eines vorauseilenden Gehorsams gegenüber dem Finanzier Hopp derartige Blüten treiben konnte.

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