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Sport: Der letzte Sieg

Zehnkämpfer Busemann gibt zermürbt auf – und ist glücklich

Berlin. Es gab da diese Szene, 1996, Atlanta, Olympische Spiele, kurz vor Beginn des Zehnkampfs. Die Athleten saßen im Aufwärmraum, plötzlich stand Dan O’Brien auf, der Weltrekordler aus den USA, und fragte: „Who is Busemann?“ Dieser komische Deutsche, den keiner kannte, hatte Wochen zuvor in Götzis bemerkenswerte 8522 Punkte erreicht. Aber Frank Busemann verstand auf seinem Platz nur „Wo ist der Busfahrer?“, sein Englisch war sehr unvollkommen damals, als er 21 war. Er wusste nicht, wo der Busfahrer war, und er sah auch keinen Grund, dies dem Weltrekordler zu sagen. Zwei Tage später hatte Busemann Silber gewonnen, mit 8706 Punkten, nur 116 Punkte hinter O’Brien, dem Olympiasieger.

Und damit hatten die Deutschen einen neuen Star. Genau gesagt: einen Star, den PR-Strategen am Reißbrett hätten erfinden können. Busemann war unverkrampft und lachte viel, er kam quasi aus dem Nichts, er triumphierte auf der größten Bühne, die der Sport zu bieten hat, in der Kernsportart der Olympischen Spiele, der Leichtathletik, und in der Disziplin, die in Deutschland mit Mythen behaftet ist. Dem Zehnkampf.

Jetzt tritt dieser Star ab. Frank Busemann beendet seine Karriere, sieben Jahre nach Atlanta. Es geht nicht mehr, der Körper macht nicht mehr mit, er macht eigentlich schon lange nicht mehr mit, Busemann sieht keine Perspektive mehr. Dem Sportinformationsdienst sagt er: „Dieser Entschluss ist mein größter Sieg.“ Man kann das nur verstehen, wenn man weiß, wen Busemann dafür überwinden musste: sich selbst. Seinen Ehrgeiz, sein extremes Durchhaltevermögen. Frank Busemann aus Recklinghausen hat nach Atlanta nur einen bedeutenden Zehnkampf erfolgreich bestritten. 1997, die WM. Er holte Bronze (8652 Punkte). Bei Olympia 2000 quälte er sich zu Rang sieben.

Der Rest war Leidensgeschichte. Kapselriss, Muskelriss, Hüft- und Rückenprobleme, Knochenstauchung, die ganze Palette, Busemann wurde nie mehr richtig gesund. Bei der WM 1999 gab er nach zwei Disziplinen verletzt auf. 2001 verletzte er bei der WM-Qualifikation beim Speerwerfen den linken Wurfarm. Busemann musste auf rechts umstellen, „die Hölle“, sagte er.

Hölle, Qualen, Schmerzen, Busemann kokettierte mit solchen Ausdrücken. Er hatte ja immer das Gefühl, dass sie ihn nicht wirklich aufhalten könnten, die Qualen, nicht ihn, nicht solange er seinen Traum vom Super-Zehnkampf nicht erfüllt hatte. Von den 9000 Punkten oder vom Olympiasieg und dem WM-Titel. Aber das ließ sein Körper nicht zu. Der schmale, empfindliche Körper war nicht geschaffen für diese Willensstärke, das ist das Drama des Frank Busemann. „Frank hat Beine wie ein Pfingstochse und Arme wie die Krampfadern eines Spatzen“, sagte sein Vater und Trainer Franz-Josef. Der Sohn glich alles mit überragendem Talent aus. Damit wurde er schon mit 18 Junioren-Weltmeister im Zehnkampf. Aber als er mal einen Sack Kartoffeln tragen musste, sprang ihm ein Brustwirbel heraus.

Experten taxierten 1996 Busemanns Marktwert auf fünf Millionen Mark. Sein Ausrüster bezahlte ihm nach Atlanta 200 000 Mark pro Jahr, bis 2000. Aber ein Star darf nicht zu lange nur leiden, Busemann hatte das unterschätzt. Als vor drei Jahren Sponsoren absprangen, war er völlig fertig. Frank Busemann ist 2003, man muss es so sehen, nur noch eine flüchtige Erinnerung. Zuletzt hatte er gerade noch einen Sponsor. Eine Drogerie.

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