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Sport: Der letzte Kampf des Leitwolfs

Kugelstoßer Ralf Bartels hat Probleme mit dem unerwartet schnellen Aufstieg seines Gegners David Storl

Ja, was ist denn das? Das ist doch nicht zu fassen, der Schrank ist nicht verschlossen, der Geräteschrank im Kraftraum. Die Täter stehen verschüchtert in einer Ecke, zwei Jugendliche, vor denen Ralf Bartels mit seinem mächtigen Bauch steht wie ein riesiger Felsbrocken. Bartels raunzt sie an, sein rundes Gesicht hat alle Züge verloren, die bei ihm an einen Teddybären erinnern.

Ralf Bartels ist eine große Nummer hier, der Kraftraum im Sportkomplex Neubrandenburg, das ist sein Revier. Hier redet er ganz besonders mit der Autorität eines Europameisters und zweimaligen WM-Dritten, eines Kugelstoßers, der schon 21,37 Meter erreicht hat.

Man muss Ralf Bartels mal im Kraftraum erleben, den Respekt, den er dort erfährt, dann versteht man besser, warum Bartels am Samstag in Gotha eine gute Weite stoßen musste; Bartels erreichte letztlich 20,17 Meter. Und warum er bei den deutschen Meisterschaften in Kassel kurzfristig absagte, aus „privaten Gründen“. Mehr sagt er nicht dazu.

Private Gründe? Bartels war sauer auf Trainer Gerald Bergmann, das waren die privaten Gründe. Bartels habe die Nase voll gehabt, dass Bergmann ihn behandle wie einen 17-Jährigen. Das sagen Leute, die Bergmann und Bartels gut kennen. Bergmann betreut Bartels seit 21 Jahren, mitunter vergesse er, dass der Stoßer erwachsen ist. Bartels wird bald 34.

Weil der Hallen-Europameister in Kassel fehlte, hatte ihn der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) nur unter Vorbehalt zur WM nominiert. Bartels musste Leistungsnachweise nachliefern. Den entscheidenden erbrachte er am Dienstag, in Cuxhaven stieß er 20,11 Meter, das war die Weite, die der DLV sehen wollte. Bartels wurde Zweiter, den Sieg holte David Storl mit 21,05 Meter. Storl ist längst nominiert, Bartels aber musste auch in Gotha seine WM-Form beweisen.

Doch dass der Zoff mit Bergmann alleiniger Grund für die Kurzschlussreaktion war, ist eher unwahrscheinlich. Dafür riskierte Bartels mit der Absage zu viel. Einiges spricht dafür, dass sich mit dieser Entschluss nur der Druck entladen hat, der auf Bartels lastete. Seit Wochen war er nicht auf Weite gekommen. Die Wahrheit dürfte hinter einem Satz von Sven Lang stecken. Lang ist der Trainer von Storl, sie trainierten vor kurzem im Bundesleistungszentrum Kienbaum. Lang blickte zu Boden und murmelte: „Ralf hat nicht richtig verkraftet, dass David so schnell nach oben gekommen ist.“

Das ist dann die Geschichte des väterlichen Mentors, dessen Schützling sich plötzlich nicht mehr ans gewohnte Rollenspiel hält. Der Empfänger guter Ratschläge wird zum unangenehmen Gegner.

Storl ist erst 20, ein rasanter Aufsteiger, U-18- und U-20-Weltmeister, vom Junioren-Bundestrainer als „Jahrhunderttalent“ bezeichnet. Aber erst mal ungeschult in der rauen Szene der Weltklassestoßer. Bartels hat ihn sanft an diese Welt herangeführt. „Ein bisschen helfe ich ihm schon“, sagte er 2010. Ein Jahr zuvor hatte Storl bei der WM psychisch versagt, Bartels aber gewann Bronze. Er braucht das Wissen um das Potenzial des Jüngeren, um sich zu pushen; die väterliche Attitüde hatte auch stets damit zu tun, dass Bartels damit rechnete, dem hoch talentierten Gegner im Ernstfall psychisch überlegen zu sein.

Aber dieses Auftreten hat schon seit langem wenig mit souveränem Selbstbewusstsein zu tun, vielmehr stemmt sich Bartels immer verbissener gegen den drohenden Verlust der Leitwolf-Rolle. Seine ratlose Diagnose: „Mir fehlt das Gefühl für die Kugel“, mit der er im Juni seine schwachen Weiten beschrieb, die hatte er in ähnlicher Form schon 2009 und 2010 verkündet. Und immer schob er, in abgewandelter Form, auch jenen Satz nach, den er nun auch im Juni erzählte: „Gegen Storli will ich nicht klein beigeben.“

Es hatte ihn gleichzeitig gewurmt und angestachelt, dass die Medien Storl entdeckten. Es ist nichts Persönliches, Storl und Bartels kommen gut miteinander aus. Aber Storl stieß im Juni erstmals über 21 Meter, als 20-Jähriger. Damit hatte Bartels nicht gerechnet. Er musste 27 werden, bis er diese Marke übertraf. Bartels hatte oft fast verständnisvoll erklärt: „Entscheidend ist, wie David den Sprung zu den Erwachsenen schafft.“ Unausgesprochen klang stets mit: Das dauert noch.

Nur geht es jetzt schneller als gedacht. Das muss für die WM erstmal wenig bedeuten. Storl hat noch nicht bewiesen, dass er auch bei einer WM weit stößt. Und Bartels ist für Wettkampfhärte bekannt. Bronze bei der EM 2010 ist der letzte Beweis. Aber der Druck auf ihn wird trotzdem immer größer.

Auch Gotha entlastete den 33-Jährigen nicht wirklich. Der Pole Tomasz Majewski gewann mit 21,30 Meter. Bartels wurde Dritter. Vor ihm lag ein Athlet mit 20,42 Metern. Es war David Storl.

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