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Sport: Der Mann für gewisse Sekunden

BERLIN. Bis 67 Sekunden vor dem Ende der regulären Spielzeit war die Heimpremiere der Basketball-Europaliga für Christian Welp vom Deutschen Meister Alba Berlin ein Reinfall.

BERLIN. Bis 67 Sekunden vor dem Ende der regulären Spielzeit war die Heimpremiere der Basketball-Europaliga für Christian Welp vom Deutschen Meister Alba Berlin ein Reinfall.Schlappe drei Punkte hatte er bis dahin gegen Racing Paris auf seinem Konto, kaum ein Rebound landete in den Händen des 212 cm messenden Centers.In der ersten Spielhälfte hatte der 33jährige keinen dieser vom Korb zurückspringenden Bälle ergattert, obwohl dies doch zu den originären Aufgaben des Längsten in seinem Team gehört.Was folgte, kommentierte Albas Trainer Svetislav Pesic keineswegs mit großem Lob, sondern mit trockenen Worten: "Das erwarten wir von ihm." Keine niedrige Erwartungshaltung.Immerhin kann man mit Fug und Recht behaupten, daß Welp in den Schlußmomenten eines enorm emotionalen und intensiven Basketballspiels der entscheidende Mann war.Mit hängenden Köpfen schlichen die Mannen Pesics bei einem Vier-Punkte-Rückstand (64:68) zur Alba-Bank, um sich in einer Auszeit letzte Anweisungen zu holen, wie man diese Partie noch umbiegen könnte.In solchen Situationen gibt es nur eines: alles oder nichts.Es wurde gesucht der "Go-to-guy", der Mann ohne Nerven für die entscheidenden Punkte.Alba setzte alles auf die Karte Welp und knackte den Jackpot. Zunächst wurde der Center gefoult und verwandelte beide Freiwürfe ­ nur noch 66:68.Dann ein Ballgewinn und im nächsten Angriff wieder Welp: ein Wurf aus schwieriger Situation, keiner mag hinschauen, der muß jetzt treffen, und der frühere Leverkusener trifft ­ 68:68.Die Franzosen haben einen letzten Angriffsversuch, ihr Spielmacher Arsène Ade-Mensah probiert einen Wurf, doch den blockt: Christian Welp.Verlängerung, das Schicksal nimmt für Racing seinen Lauf.Noch zwei Schüsse blockt Welp, noch zwei Freiwürfe verwandelt er, und plötzlich holt er auch Rebounds.In der entscheidenden Phase ist Welp richtig rot im Gesicht geworden vor Anstrengung.Der erleichterte Pesic wird später sagen: "Chris läuft im Spiel sonst nicht so viel, deshalb muß er zum Schluß mehr Kraft und Konzentration haben als die anderen." Dazu gab es noch einen Schuß Kritik: "Chris muß mit mehr Power spielen." Der kühle Norddeutsche hat einmal gesagt, er stehe gern am Ende des Spiels auf dem Feld."Das war auch Glück", erklärte er bescheiden nach dem 79:71.Auch beim ersten Europaligaspiel in Bologna hatte Pesic bis zum Schluß gehofft, Christian Welp werde in der entscheidenden Phase einen Dreier verwandeln.In der vergangenen Woche gelang ihm dies nicht.Nun hat er einmal mehr bewiesen, daß er das Vertrauen des Trainers verdient, daß der nicht nur auf Glück vertraut.Wie schon 1993, als das Duo Pesic/Welp in der Nationalmannschaft zusammenarbeitete.Damals hatte der Spieler im Europameisterschafts-Viertelfinale gegen Spanien eine Sekunde vor Schluß der Verlängerung den entscheidenden Treffer zum 79:77 gesetzt.Auch im Finale gegen Rußland traf der "Go-to-guy".Drei Sekunden vor dem Ende gelang ihm das 70:70, dabei wurde er gefoult und bekam einen Bonus-Freiwurf.Natürlich hat Welp auch den verwandelt, Deutschland wurde Europameister, Welp als Held gefeiert.Vermutlich ist das übertrieben und gar nicht in Christian Welps Sinne.Aber im Spiel gegen Paris hat er wieder gezeigt, daß er der richtige Mann für gewisse Sekunden ist.

DIETMAR WENCK

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