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Sport: Der Medaillenflirt

Anni Friesinger kämpft sich bei der Eisschnelllauf-WM über Silber zum Gold

Drüben, im Zelt des Verbandssponsors, warteten wichtige Leute, sie wollten gratulieren, klatschen, zuprosten, aber Anni Friesinger war das jetzt alles zu viel. Sie hatte zwei Rennen in den Beinen, sie hatte Fernsehinterviews in der Kälte gegeben und zwei Dutzend Fragen in der Sporthalle neben dem Inzeller Eisstadion beantwortet, jetzt war mal Schluss. Für ein paar Minuten nur. „Ich möchte jetzt erst mal kurz mit meiner Familie feiern“, sagte sie mühsam beherrscht.

Es war also wieder so weit, Anni Friesinger wird umklammert, vereinnahmt, als strahlende Medien- und PR-Figur präsentiert. Aber es hat länger gedauert als sonst. Erst am letzten Tag der Eisschnelllauf-WM in Inzell rückte sie in diese Rolle. Bis dahin hatte sie auf ihrer Hausstrecke, in ihrer Heimat, einmal Silber und einmal Gold gewonnen, war im 3000-m-Rennen in die Plastikmatten an der Bande gerutscht und hatte sich einen Finger in Gips legen lassen müssen. Das alles hatte nicht gereicht, um „Friesinger-Festspiele“ auszurufen. Aber dann gewann sie gestern erst Silber über 1000 m und danach, überraschend, Gold über 5000 m. Und nun war sie wieder der gefeierte Star. Claudia Pechstein, ihre große Rivalin, kam auf ihrer Spezialstrecke, den 5000 m, auf Platz zwei.

„Wahnsinn“, stieß Friesinger heraus, „das ist der Wahnsinn.“ Kein Beobachter hatte mit diesem Gold gerechnet. Nicht nach dem anstrengenden 1000-m-Lauf, bei dem sie bloß um 22 Hundertstelsekunden den Titel verpasst hatte. Die Holländerin Barbara de Loor, Friesingers Trainingskollegin, war schneller. „Nach dem Silber hatte ich keinen Druck mehr“, sagte Friesinger. Und über 5000 m lief dann alles so gut, so gleichmäßig. Sie spulte die immer gleichen Rundenzeiten ab, sie wich dem eiskalten Gegenwind aus, indem sie auf der Zielgeraden möglichst nahe an der Bande lief, „und als alles so gut lief, habe ich mit einer Medaille geliebäugelt“. Dass es Gold wird, „unglaublich“. Und „es ist die erfolgreichste Saison, die ich je hatte“. Das Silber über 1500 m, sagte sie, „das war der Schlüssel“. Da war der Druck weg, da hatte sie ihre Medaille. Hauptsache eine.

Natürlich hatte dieses Gold dann über 5000 m auch eine gewisse Symbolik. Friesinger ist doch stärker als Pechstein. Theoretisch kann man das so sehen. Pechstein hält den Weltrekord über die Strecke, sie wurde Olympiasiegerin auf dieser Distanz. „Natürlich ist es eine Ehre, eine Groß dieser Strecke zu besiegen“, sagt Friesinger. Aber dieser Sieg taugt nicht dazu, das alte Duell zum Konflikt zuzuspitzen. Weder Pechstein noch Friesinger ließen spitze Bemerkungen los. Für sie war es eine sportliche Entscheidung, mehr nicht. Auch der Teamwettbewerb – kein Thema mehr.

Pechstein war „zufrieden mit der Silbermedaille“. Sie hatte nicht damit gerechnet nach ihrer Grippe. Und vor allem nicht, als sie „drei, vier Runden lang das Gefühl hatte, das ich keine Luft bekomme und die Lunge vereist“. Der Gegenwind war so kalt, dass sich die Berlinerin zeitweise „nicht richtig auf den Lauf konzentrieren konnte“. Und die Saison? Die war doch in Ordnung. „Im Februar den Gesamt-Weltcup gewonnen, im März zwei Silbermedaillen.“ Bleibt nur noch das Problem mit dem Verband und speziell mit Chef-Bundestrainer Helmut Kraus zu lösen. Günter Schumacher, der Sportdirektor des Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft, signalisierte, dass am Sonntag, noch bei der WM, ein Gespräch stattfinden sollte. Pechstein, typisch für die interne Kommunikation, „wusste davon nichts“. Aber: „Ich bin gesprächsbereit.“

Friesinger hatte im Übrigen nach den vielen Fragen noch einen Termin. Der war wichtiger als das Treffen mit der Mama. Diesen Termin konnte sie nicht verschieben: die Dopingkontrolle.

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