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Sport: Der nationale Auftrag

Amélie Mauresmo will in Berlin siegen – und erst recht in Paris

Berlin. Die Psyche eines Menschen, so sagt man, wird ganz entscheidend durch frühkindliche Erfahrungen geprägt. Bei Amélie Mauresmo, der französischen Tennisspielerin, war es mehr als das. Im Juni 1983, kurz vor ihrem vierten Geburtstag, will sie zu Hause, in St. Germains en Laye, am Fernseher das Finale der French Open in Paris verfolgt haben. Yannick Noah spielte gegen den Schweden Mats Wilander, und nachdem ihr Landsmann Noah das Turnier gewonnen hatte, beschloss die Dreijährige, nun ebenfalls Tennisprofi zu werden. So jedenfalls erzählt Amélie Mauresmo ihre Geschichte.

Die Französin ist nicht nur eine professionelle Tennisspielerin geworden, sondern eine höchst erfolgreiche dazu. In der aktuellen Weltrangliste wird die 24-Jährige als Nummer drei geführt, und bei den German Open in Berlin ist sie nach dem Ausfall von Kim Clijsters die höchstgesetzte Spielerin. Ihre ersten beiden Matches in Berlin hat sie ohne größere Mühe jeweils 6:1, 6:2 gewonnen. Das gestrige Viertelfinale gegen die Russin Swetlana Kusnetzowa war etwas beschwerlicher, aber Mauresmo siegte schließlich 6:7, 6:3 und 6:1. Im Halbfinale trifft sie nun auf die Amerikanerin Jennifer Capriati.

Mauresmo spielt gern in Berlin, weil dieses Turnier in ihrer Geschichte ebenfalls eine wichtige Rolle einnimmt. Im Mai 1998 trat die Französin zum ersten Mal auf der Anlage des LTTC Rot-Weiß an. Sie war 18, lag in der Weltrangliste auf Platz 65 und musste sich erst durch die Qualifikation ins Hauptfeld kämpfen. Am Ende der Turnierwoche dann stand sie nach Siegen gegen Lindsay Davenport und Jana Nowotna im Finale der German Open, und obwohl Mauresmo das Endspiel in zwei Sätzen gegen Conchita Martinez verlor, hatte sie Tennisgeschichte geschrieben: Nie zuvor war eine Qualifikantin ins Finale eines Turniers dieser hohen Kategorie vorgedrungen.

„Es ist immer schön, dorthin zurückzukommen, wo vor sechs Jahren alles angefangen hat“, sagt Mauresmo. Sie mag die familiäre Atmosphäre des Turniers im Berliner Grunewald, „die Zuschauer sind mir gegenüber immer sehr positiv eingestellt“. 2001 hat sie die German Open gewonnen, doch ihren größten Sieg wird sie in Berlin nicht feiern können. Im Grunde ist das Turnier nur das Vorspiel zu einem viel größeren Ereignis. „Es ist eine gute Vorbereitung auf die French Open“, sagt Mauresmo.

21 Jahre sind inzwischen seit Noahs Erfolg in Roland Garros vergangen, und seitdem hat kein Franzose das wichtigste Sandplatzturnier der Welt gewonnen. Eine Französin auch nicht. Zum 20-jährigen Bestehen im vorigen Jahr hat sich die gesamte Sehnsucht des Landes auf Amélie Mauresmo fokussiert, und obwohl sie bei den acht Versuchen zuvor nie über die vierte Runde hinausgekommen war, akzeptierte sie den nationalen Auftrag. Ganz Paris war im Frühjahr 2003 mit ihrem Gesicht plakatiert, sie stand auf den Titelseiten der Zeitungen, und bis zum Viertelfinale verlor sie keinen einzigen Satz. Doch dann spielte Amélie Mauresmo gegen Serena Williams – und verlor 1:6, 2:6.

Für einen französischen Tennisspieler gibt es nichts Wichtigeres als die French Open. Mauresmo stand daher vor ihrem ersten Spiel in Berlin vor einer schwierigen Entscheidung. Sie litt Anfang des Jahres unter Rückenproblemen und hat deshalb überlegt, ob sie lieber auf einen Einsatz verzichten solle. Andererseits benötigt sie Spielpraxis, um in Paris mithalten zu können. Wenn das Grand-Slam-Turnier in zwei Wochen beginnt, wird Mauresmo wieder zu den Favoritinnen zählen, zumal die Vorjahrsfinalistin Kim Clijsters wegen ihrer Handverletzung, die sie schon in Berlin gestoppt hatte, nicht am Start ist.

Amélie Mauresmo sagt, die familiäre Atmosphäre, die sie an Berlin so schätzt, gebe es dort nicht. „Ich werde versuchen, sie zu finden. Aber es ist nicht einfach.“ In Wirklichkeit weiß sie, dass es für eine Französin unmöglich ist.

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