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Sport: Der nette Gegner

Die Cottbuser haben nichts gegen die Stuttgarter – trotzdem sollen sie ihren Titelgewinn verhindern

Von Sandra Dassler

Die Flanke von Rivic kommt mustergültig. Shao, Radu und Munteanu starten durch, aber das Tor macht Vragel da Silva mit dem Kopf. Keine Chance für den Torwart. „Jaaa“, schreit Uwe Lemke: „Ja, ja – genauso musst Du es am Sonnabend auch machen!“ Dann schlägt sich der 48-Jährige mit der flachen Hand an die Stirn: „Mist. Der ist ja gesperrt. Der spielt ja am Samstag gar nicht.“

Die etwa 30 Zuschauer, die das letzte Heimtraining von Energie Cottbus im Eliaspark verfolgen, lachen. Einige hämisch, die meisten eher mitleidig. Lemke ist Schalke-Fan, er ist extra an diesem Himmelfahrtstag von Gelsenkirchen nach Cottbus gefahren. Na gut, er hat auf dem Weg seine Freundin in Finsterwalde besucht, aber hauptsächlich wollte er den Lausitzern nochmal klar machen, wie wichtig sie heute sind: Nur bei einem Cottbuser Sieg oder einem Unentschieden gegen den VfB könnte Schalke noch nach der Schale greifen.

Deshalb hat Lemke auch eine riesige blau-weiße Decke mit Schalke-Initialen an den Zaun des Trainingsplatzes gehängt und streckt den Cottbusern anklagend eine Zeitungsseite entgegen: „Armes Schalke. Cottbus liebt Stuttgart“ steht da. „Quatsch“, sagt ein Rentner am Spielfeldrand. „Uns ist doch egal, ob Schalke oder Stuttgart Meister wird – Hauptsache nicht Bayern.“

Ein etwa 30 Jahre alter Energie-Anhänger klärt Lemke auf: Die dieser Tage von einigen Medien behauptete Fanfreundschaft zwischen Cottbus und Stuttgart beziehe sich nur auf zwei Gruppen: „Inferno Cottbus“ und „Commando Cannstatt“. Beide seien so genannte Ultras, fielen aber zahlenmäßig kaum ins Gewicht.

Allerdings, das hört man in Cottbus dieser Tage immer wieder, habe man an Stuttgart gute Erinnerungen: Vor genau zehn Jahren ging Energie nämlich schon einmal ohne großen Druck in ein Spiel mit dem VfB: in das Pokalfinale im Berliner Olympiastadion. Auch da konnten die Lausitzer entspannt sein: Sie waren wenige Tage zuvor erstmals in die Zweite Bundesliga aufgestiegen.

Im Aufstiegskampf hatten sie sich gegen Hannover 96 durchgesetzt. Sie gewannen nicht nur, weil im entscheidenden Spiel im Stadion der Freundschaft minutenlang das Licht ausfiel. Es war auch ein besonderes Gefühl des Zusammenhalts entstanden, ein Auflehnen gegen den reichen Westen. Die Niedersachsen – nicht die Spieler, sondern Management und Sponsoren – hatten mit überheblichen Sprüchen und Aktionen „Kein Kartenverkauf an Leute mit ostdeutschem Akzent“ diesen Ost-Trotz kräftig bedient.

Ganz anders die Schwaben: VfB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder wurde nicht müde, die Cottbuser vor dem Pokalfinale zu umgarnen. Man habe sich doch schon früher bei Spielen in Ungarn oder Bulgarien so gern mit Sportfreunden aus der DDR getroffen, erzählte er im Interview. Und immer den „Kicker“ für sie gesammelt. Zum Sieg gegen Hannover gratulierte der VfB gar in einer ganzseitigen Anzeige in der Lausitzer Rundschau. Das wirkte. Statt West-Ost-Frust herrschte beim Pokalfinale im Olympiastadion eine freundschaftliche Stimmung. Stuttgart gewann 2:0, und der damalige VfB-Trainer Joachim Löw streichelte die sensiblen Ost-Seelen auch nach dem Spiel mit anerkennenden Worten. Das hat das Lausitzer Publikum nicht vergessen. Mag sein, dass Stuttgart deshalb etwas mehr Sympathien besitzt als Schalke. Auch wenn Gelsenkirchen die Partnerstadt von Cottbus ist, woran Schalkes Vorstandsvorsitzender Gerhard Rehberg dieser Tage ständig erinnerte.

Eine Anzeige, um beispielsweise Energie zum Klassenerhalt zu gratulieren, hat der VfB diesmal nicht geschaltet. Wozu auch? Die Energie-Profis kennen ohnehin keine von den alten Geschichten. Sie wissen nur, dass sie kaum eine Chance haben – ohne vier gesperrte oder kranke Stammspieler. Sie wissen aber auch, dass heute ganz Deutschland auf sie schaut: „Im Fußball ist alles möglich“, sagt der ungarische Nationalspieler Zoltan Szelesi: „Die Stuttgarter sind eine junge Mannschaft. Vielleicht zeigen die Nerven. Wir haben bewiesen, dass wir auswärts vor großer Kulisse gut spielen können.“ Die Cottbuser fürchten ein oder zwei schnelle Führungstore der Stuttgarter. Gelingt ihnen hingegen ein Konter, könnte es spannend werden.

Energie-Trainer Petrik Sander hat seinen Spielern klar gemacht: „Jeder einzelne kann sich in Stuttgart vor einem Millionenpublikum präsentieren.“ Und hinzugefügt: „Wer da nicht alles gibt, hat seinen Beruf verfehlt.“

Die Drohung war offenbar nötig. Immerhin haben die Cottbuser in den zwei Spielen nach Erreichen des Klassenerhalts – den ihnen kaum einer zugetraut hatte – ziemlich abgebaut. Sander, der seine Spieler beim Training nicht geschont hat, weiß, dass das nicht an der Fitness liegt, sondern am Kopf. Wenn man ein Jahr lang auf ein Ziel hinarbeitet, jeden Sieg, jedes Unentschieden mit höchster Kraftanstrengung erkämpft, und es tatsächlich schafft – dann fällt man eben erstmal in eine Art Loch. Daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, Cottbus könne das Spiel heute verschenken, oder gar Mauschelei zu unterstellen, findet Sander ehrabschneidend.

Dass der einsame Schalke–Fan Uwe Lemke nach dem Training am Donnerstag noch einmal an ihn appellierte, nahm er hingegen nicht übel. „Wir haben euch doch schon brav sechs Punkte geschenkt“ sagte Sander, gewohnt sarkastisch. Weil Lemke aussah, als ob er gleich losheulen würde, fügte er aber hinzu: „Wir tun unser Bestes. Versprochen.“

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