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© AFP

Der neue EM-Pokal: Na, das ist ja ein Ding - England ist doch dabei!

15 400 Euro teuer, aus Silber und schlank wie Beckham: Der Europameister erhält eine nagelneue Trophäe. Wir haben kurz vor der Fußball-EM das schicke Designerbüro besucht, wo er entworfen wurde - ausgerechnet in London.

Der sanft gebräunte Mann mit dem rosa Hemd niest vorsichtig in sein seidenes Taschentuch. Die grazile Dame neben ihm ist um sein Wohl besorgt, wird der Pensionär ihr doch gleich eine kunstvoll geformte Vase für tausende Euro abkaufen. Seine Frau möge kleine Überraschungen, sagt er, und verlässt gut gelaunt die Londoner Luxusschmiede Asprey. Verschwitzte Fußballer und grölende Fans passen nicht in diesen Laden. In dieser Boutique im Londoner Nobelviertel Mayfair werden Schmuckstücke, Möbel und Kleider verkauft, die sich auch auf den VIP-Plätzen der Stadien nur wenige leisten können.

Dennoch plagt selbst mittellose Fußballfans derzeit vor allem eine Frage: Wer darf das wichtigste Werk der englischen Edelschmiede nach dem EM-Finale in den Händen halten? Denn bei Asprey, zwischen Diamanten und Kaschmirhemden, deckt sich nicht nur der britische Geldadel, sondern auch der Europäische Fußballverband Uefa mit dem Nötigen ein: 15 400 Euro hat die Uefa dem Traditionshaus für den neuen Europapokal gezahlt, Asprey hatte schon 1848 den America’s Cup entwerfen lassen.

„Das war es uns wert“, heißt es aus der Uefa-Zentrale im schweizerischen Nyon. Der neue Pokal besteht zu fast 93 Prozent aus reinem Silber, der Rest ist Kupfer. Es sei an der Zeit gewesen, denn der alte Pokal habe nach 48 Jahren ausgedient. Bei Siegesfeiern ist er runtergefallen, angeheiterte Spieler konnten die zehn Kilogramm schwere Trophäe nicht immer fest genug halten. Der Europapokal trägt den Namen des ersten Uefa-Generalsekretärs, Henri Delaunay. Das bisher vergebene Original wurde 1960 in Paris entworfen, mit Silber überzogen und für 20 000 französische Franc der Uefa vermacht. Als Wanderpokal bleibt er ihr Eigentum, zu seiner ersten Station ging es 1960 in die Sowjetunion. Nur wenn eine Mannschaft dreimal in Folge oder insgesamt fünfmal Europameister wird, erhält sie eine Reproduktion in Originalgröße. Ansonsten müssen Imitate 20 Prozent kleiner als die Vorlage und mit „Replika“ versehen sein.

Noch nie verteidigte ein Europameister seinen Titel bei der folgenden EM erfolgreich. Immerhin schafften es die Sowjetunion 1964 und Deutschland 1976 vier Jahre nach ihren Siegen wieder ins Finale, wo sie dann scheiterten. Deutschland führt die Siegerliste mit drei Titelgewinnen an. Das letzte Mal war der Pokal dem griechischen Kapitän Theodoros Zagorakis 2004 in Lissabon überreicht worden. Nun steht er in Nyon in einer Vitrine, dem Friedhof der Uefa-Trophäen.

„Als eines der beiden wichtigsten Fußballturniere der Welt brauchten wir einen größeren Pokal, der sich von den anderen Trophäen abhebt“, sagt William Gaillard, der bei der Uefa für große Worte zuständig ist. Zuerst habe man an Gold gedacht. Zu protzig, wurde entschieden. Ärgerlich sei aber gewesen, dass der alte Europapokal viel kleiner als die Trophäe der Champions League ist. „Also haben wir beschlossen, ihn einfach zu vergrößern“, sagte Gaillard.

Sechs Monate hat die Londoner Designerin Karen Marsden an ihrem Entwurf gefeilt, in ständiger Absprache mit dem Fußballverband. „Die Uefa wollte einen Blickfang haben, sie hat einen bekommen“, erklärt man bei Asprey stolz. Wochenlang wurde geschmolzen, gehämmert und gefräst. Und weil die Zeit kleiner, stämmiger Fußballstars vorbei ist, hat man sich offenbar am Typ eines David Beckham orientiert – der bei 1,82 Meter Körpergröße derzeit 69 Kilogramm wiegt. Schlank ist der neue Pokal, mit 7,7 Kilogramm zwei Kilo leichter als sein Vorgänger und mit stattlichen 60 Zentimetern zugleich 18 Zentimeter länger.

Asprey befreite den Pokal von Ballast: Die Figur, die auf der Rückseite des alten Modells mit einem Ball jongliert, ist ebenso verschwunden wie der schwere Marmorsockel. Geblieben sind die Namen der siegreichen Mannschaften, die auf der Rückseite des Kelches eingraviert sind. Der alte Pokal sei gut, die Qualität des verwendeten Silbers und die Ausführung seien beim neuen aber besser. „Sie werden keine bessere Trophäe finden“, teilt die Luxusmanufaktur mit.

Ein Diebstahl des neuen EM-Cups sei übrigens ausgeschlossen, heißt es aus Nyon. Groß war der Schrecken kurz vor der WM in England 1966. In einer Eilmeldung des britisches Senders BBC hieß es: „Der Pokal wurde trotz schärfster Bewachung gestohlen.“ Die 35 Zentimeter hohe und 3,8 Kilogramm schwere Trophäe konnte auch Scotland Yard nicht finden. Erst als eine Woche nach dem Diebstahl keiner glaubte, dass der Pokal noch auftauchen würde, schlug die große Stunde eines kleinen Hundes. Der Mischling Pickles spürte beim Gassigehen die in Papier gewickelte Statue in einem Gebüsch auf.

Der neue EM-Pokal hat schon jetzt mächtige Liebhaber. „Er ist wunderschön. Schön wäre es, wenn ich ihn nicht zum letzten Mal in den Händen gehalten hätte“, sagte Friedrich Stickler, Chef des Österreichischen Fußballbundes, als das Schmuckstück in Wien eintraf. Ein Titelgewinn von Österreich ist nahezu illusorisch, aber zumindest theoretisch möglich. England dagegen hat null Chancen – das Team hat sich nicht qualifiziert.

Doch bei Asprey empfindet man das Thema als unangenehm. Der Mann im rosa Hemd hat auf einmal keine Zeit, er muss zum Lunch. Und die adrette Dame in der Asprey-Lounge will sich erst später äußern. Offenbar sehr viel später. Sie hat nie mehr etwas von sich hören lassen.

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