zum Hauptinhalt

Sport: Der Prinzessin entgleitet das Jojo

OBERSTDORF .Das Eiskunstlaufen ist mitunter wie ein Jojo-Spiel.

OBERSTDORF .Das Eiskunstlaufen ist mitunter wie ein Jojo-Spiel.Es geht immer rauf und runter.Keiner weiß das besser als Tanja Szewczenko.Bei den Deutschen Eiskunstlauf-Meisterschaften in Oberstdorf nahm die 21jährige Dortmunderin erneut Anlauf, den schwierigen Sprung von der hoffnungsvollen Eisprinzessin zur anerkannten Eisköngin zu schaffen.Doch das Jojo glitt ihr aus der Hand, es wurde nichts mit dem vierten Titelgewinn seit 1994.In der Kür stürzte Tanja Szewczenko gleich beim ersten Sprung, leistete sich in der Folge noch die eine oder andere Unsicherheit und mußte sich wie schon bei den Titelkämpfen vor zwei Jahren mit dem zweiten Platz hinter der 16 Jahre alten Münchnerin Eva-Maria Fitze begnügen.

Auf den großen Durchbruch wartet Tanja Szewczenko seit 1993, als sie mit 15 Jahren bei ihrem Europameisterschafts-Debüt gleich auf Platz vier landete.Es folgte ein sechster Rang bei den Olympischen Spielen 1994 in Lillehammer und anschließend der dritte Platz bei der Weltmeisterschaft.Doch dann stagnierte die Tochter polnischer Eltern sportlich, wandte einen Teil ihrer Konzentration PR-Auftritten und ihrer Vermarktung zu, mußte 19 Monate wegen des Pfeifferschen Drüsenfiebers pausieren und um die Fortsetzung ihrer Karriere bangen.Zu Beginn der Olympiasaison 1997/98 gelang das glanzvolle Comeback mit EM-Rang drei in Mailand.Ein Grippevirus verhinderte die Olympiateilnahme in Nagano.Es folgten eine hartnäckige Knochenhautentzündung und der Wettkampfverzicht zu Beginn dieses Winters.

Aber auch im Leben der Tanja Szewczenko ging es wie beim Jojo zu: neue Beziehung, kurzes Glück, tiefe Enttäuschungen, fette Schlagzeilen.Der Wechsel vom Manager Köster zu Wolfgang-Peter Flohr, vorzeitige Vertragsauflösung, Restschulden von 200 000 DM.Doch ein anonym bleibender Gönner zahlte Stunden vor dem Gerichtstermin den Betrag.Offiziell hält nun Mutter Vera, zwischenzeitlich geschieden von ihrem zweiten Mann, die Fäden in der Hand.Beraten wiederum vom Hamburger Werner Köster."Kasse macht sinnlich, sagt man bei uns im Rheinland", meint Angela Siedenberg, DEU-Vorsitzende."Die Familie ist durch Tanja sehr plötzlich zu sehr viel Geld gekommen.Da neigt man schon mal dazu, leichtfertig damit umgehen."

Im von Medien hochstilisierten Duell mit Eva-Maria Fitze ("Ausdrucksstärke gegen Sprunggewalt - keine Angst vor Tanja") sah es für Tanja Szewczenko nach dem Kurzprogramm noch gut aus, aber dann verlor sie wieder einmal die Kontrolle über ihre Nerven.Dazu beigetragen hat vielleicht eine auch in Bayern verbreitete Unart, sich in in der Heimat stets für das Beste und Größte zu halten und alle anderen abzuwerten.Jedenfalls hatte die Münchnerin Erika Schiechtl, langjähriges DEU-Vorstandsmitglied, vor dem Wettkampf verlauten lassen, Tanja Szewczenkos Zeit wäre vorbei.Nun sei die Münchnerin Fitze an der Reihe, erst recht mit dem Heimvorteil im bayerischen Oberstdorf.

"Nach zehn Monaten ohne Wettkampf diese Topleistung im Kurzprogamm, dann die Enttäuschung in der Kür - so etwas muß man erst einmal verkraften", befand Peter Jonas (57).In 30 Trainerjahren habe er noch nie solch eine Pechsträhne erlebt wie in den vergangenen vier Jahren mit Tanja Szewczenko."Aber weil sie sich nie hat unterkriegen lassen, Vertrauen und gegenseitiger Respekt da sind, habe ich nie einen Moment gezögert, ihr beizustehen und zu helfen." Die von ihm angeregte Gewichtsreduktion von vormals 52 kg auf nun 47 kg hat einer der elegantesten Läuferin überhaupt eine neue Erfahrung vermittelt: "Ich muß bei Dreifachsprüngen aufpassen, daß ich nicht zu hoch steige." Das bringe Landeprobleme, weil man bei etwa 0,75 Sekunden Luftfahrt dann "leicht überdreht".Genau das wurde ihr in Oberstdorf zum Verhängnis.

Jonas mochte sich in Oberstdorf nicht lange mit Trauerarbeit aufhalten.Obwohl er größten Respekt vor der Trainer-Legende Jutta Müller (70) aus Chemnitz habe, teilt er deren Skepsis nicht, die nächsten zehn Jahre käme keine Weltmeisterin aus Deutschland: Trotz der verpatzten Kür von Oberstorf sehe er "für Tanja eine reale Chance, wenn die Weltmeisterschaften 2002 wie angestrebt in Dortmund über die Bühne gehen".Bis dahin, einschließlich Olympia 2002 in Salt Lake City, gelte die Absprache mit Tanja, nicht zu den Profis zu wechseln.Aber, wie erwähnt, Eiskunstlaufen und das Leben gleichen wieder und immer wieder einem Jojo.

ERNST PODESWA

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false