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Sport: Der Punkt ist weit weg*

Mein WM-Moment (7) Der französische Stürmer Yannick Stopyra macht im Viertelfinale der WM 1986 das erste Tor beim Elfmeterschießen gegen Brasilien. Frankreich gewinnt – doch dann kommt das Halbfinale

Mein Schlüsselmoment bei der WM 1986? Das ist sicherlich die Szene, wie unser Trainer Henri Michel vor dem Elfmeterschießen gegen Brasilien zu mir kommt: „Yannick, schießt du?“ Es war das Viertelfinale, nach der Verlängerung stand es 1:1, es war eines der besten Spiele, das Frankreich je gemacht hat. Ich sage also zu Michel: „Frag doch erst mal die erfahrenen Spieler.“ Von denen wollten aber nur Michel Platini, Manuel Amoros und Luis Fernandez schießen, außerdem Bruno Bellone. Deshalb habe ich zugesagt. Unter der Bedingung, dass ich als Erster antrete. Ich wollte von dieser Last befreit sein, nicht bis zum Ende warten müssen.

Ich war mir meiner Sache sicher, ich hatte viel Selbstbewusstsein getankt. Vor dem Turnier hatte niemand gedacht, dass ich in der Europameisterelf von 1984 Stammspieler werden würde. Jean-Pierre Papin war eigentlich neben Dominique Rocheteau gesetzt. Doch im ersten Spiel hat er eine Reihe Chancen vergeben. Und die Mannschaft brauchte einen Stürmer, der sich sehr viel bewegt, der den Ball fordert. Also bekam ich meine Chance. Vor der WM in Mexiko hatte ich noch gesagt: „Falls ein Spieler seinen Platz verliert, bin ich zur Stelle und gebe ihn nicht mehr her.“ So kam es.

Mein Elfmeter also. Socrates schoss als Erster für die Brasilianer – und vergab. Danach war ich dran. Wenn du im Mittelkreis mit den Schützen stehst, denkst du, du bist ganz alleine im Stadion. Dann musst du an den Punkt laufen. Und der ist weit weg! Du musst da so normal wie möglich hinlaufen. Nicht rennen. Nicht dem Torwart in die Augen schauen, sonst merkt er, wie sehr du unter Druck stehst. Ich habe mir auf dem Weg die ganze Zeit gesagt: „Du wirst treffen! Du wirst treffen!“

Beim Elfmeterschießen musst du das Tor anvisieren. Ich habe mich auf meinen Anlauf konzentriert und den Ball hoch in die Mitte gedonnert. Das war riskant, aber der Torwart sprang in die linke Ecke. Und ich war mir meiner Sache eben sehr sicher.

Wir hatten dann das Glück auf unserer Seite. Bellones Elfmeter prallte vom Pfosten gegen den Torwart und dann ins Tor. Natürlich hat niemand gedacht, dass Platini unseren vierten Elfmeter über das Tor schießen würde. Aber damit stand es erstmal nur 3:3. Und direkt danach verschoss Julio Cesar. Fernandez trat für uns als Letzter zum entscheidenden Schuss an. Er liebte solche Situationen. Und er traf.

Es gab also wieder ein Halbfinale gegen Westdeutschland, wie schon 1982 in Sevilla. Bloß nicht schon wieder gegen Deutschland verlieren!, war unsere Devise. Der französische Fußball hatte damals wirklich einen Komplex mit dem deutschen Fußball. Gleich zu Beginn des Spiels hat mich ein Deutscher richtig hart getacklet. Da habe ich gemerkt: Heute Abend wirst du nichts zu lachen haben. In der Tat hielten wir dem Vergleich einfach nicht stand. Wir haben, glaube ich, nur ein oder zwei Mal überhaupt aufs deutsche Tor geschossen. Wir verloren wieder gegen Deutschland, diesmal 0:2. Im Spiel um Platz drei gegen Belgien durften dann die Ersatzspieler ran, da habe ich nicht gespielt. Wir gewannen 4:2 nach Verlängerung.

Die Generation um Platini trat also ohne WM-Titel ab. Aber immerhin hatten wir die Latte für künftige Mannschaften hoch gehängt: Dritter zu werden, das hatte vorher nur die Mannschaft um Just Fontaine bei der WM 1958 geschafft.

Aufgezeichnet von Matthias Sander. Nächste Folge: Hans Schäfer über das Wunder von Bern.

* WM 1986, Yannick Stopyra

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